„Öffentlichkeit ist bitter nötig“

Die Zeiten, in denen islamische Gemeinden der Gesellschaft den Rücken zudrehten, sind vorbei, sagt der Migrationsforscher Werner Schiffauer. Ihnen sollte ein Vertrauensvorschuss zugestanden werden

INTERVIEW ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Schiffauer, bei der Islamwoche wird es auch um das Image des Islam gehen, seine Werte und um die Angst vor ihm. Gehen die islamischen Gemeinden die schwierigen Themen jetzt aktiv an?

Werner Schiffauer: Innerhalb der islamischen Gemeinden gibt es schon lange erhebliche Diskussionen – aber eben hinter verschlossenen Türen. In der deutschen Öffentlichkeit artikulieren die Migranten diese Themen eher reaktiv. Sie sollten aber, so wie es auch die Kirchen tun, Position beziehen. Ich finde es ausgezeichnet, dass die Organisatoren der Islamwoche die heißen Eisen anpacken wollen.

Dabei ist die Lust zur Konfrontation doch eher verhalten, wie das Programm zeigt.

Ich tendiere auch immer dazu, zu denken, da könnte man noch einen Schritt weiter gehen. Andererseits verstehe ich, dass Einzelne auch mal ein positives Bild vom Islam zeichnen wollen, um damit aus der defensiven Ecke herauszukommen. Es macht tatsächlich mehr Sinn, über das islamische Ideal von Liebe und Ehe zu sprechen, als über Zwangsheiraten. Da lässt sich schnell konstatieren, dass das gegen den Geist der Religion ist.

Veranstaltungen wie die Islamwoche und der Tag der offenen Moschee werden seit dem 11. September 2001 zum Gradmesser der Dialogfähigkeit. Was hat sich geändert?

Es hat seitdem eine wachsendes Bewusstsein bei den Migranten dafür gegeben, dass es bitter nötig ist, an die Öffentlichkeit zu gehen. Der von der ersten Migrantengeneration gepflegte Umgang, dass man der deutschen Öffentlichkeit den Rücken zuwendet, ist nicht mehr beizubehalten. Das wurde allen klar.

Warum?

Weil alle Migranten mit den Misstrauensstrukturen konfrontiert sind, die in den vergangenen Jahren gewachsen sind. Diese Veranstaltungen sind der Versuch, dagegen aktiv anzugehen.

Immer wieder, jüngst nach den Anschlägen in London, erhebt die Mehrheitsgesellschaft die Forderung, die islamische Community möge sich deutlicher gegen Gewalt aussprechen. Ist diese Forderung noch angemessen?

Ich kann diese Forderung nicht mehr nachvollziehen. Die Äußerungen der Dachorganisationen wie Zentral- und Islamrat und auch der einzelnen Gemeinden sind doch bemerkenswert klar. Es ist allerdings ein Teufelskreis entstanden: Die deutsche Öffentlichkeit verlangt stets eine Distanzierung. Wenn sie dann erfolgt, kommen gleich wieder Zweifel hoch, ob das jetzt überhaupt authentisch sei.

Bekenntnisse sollte man nicht verlangen?

Wir müssen tatsächlich zu einer anderen Kultur des Umgangs miteinander kommen: Den positiven Vertrauensvorschuss, den wir anderen Organisationen einräumen, sollten wir durchaus auch den islamischen Gemeinden entgegenbringen.

Meist wird das negative Image und ein Mangel an Offenheit seitens der islamischen Community über die Berichterstattung transportiert. Wo sehen Sie da die Ursache?

Es herrscht bei vielen Journalisten eine große Unsicherheit. Statt erst mal neugierig zu sein, wird von den Migranten lediglich eine Stellungnahme, zum Beispiel zum Kopftuch, abgefragt. Die Organisationen und Gemeinden selbst fühlen sich in der Presse weitestgehend unfair behandelt. Man kann schon sagen, dass da was dran ist.

Öffnen sich denn umgekehrt die islamischen Gemeinden der Öffentlichkeit?

Ja, man hat verstanden, dass Kommunikation notwendig ist. Ich habe den Eindruck, dass die gefährdeten Zirkel, wie die Anschläge von London gezeigt haben, wenig mit einer konservativen Gemeindereligiosität zu tun haben, die wir hier antreffen. Gefährdet sind meist junge islamische Akademiker, selbst ernannte Revolutionäre – die organisieren sich aber selbst, jenseits einer Gemeinde, die sie als viel zu kompromisslerisch erachten.