Exoplaneten, Zellatmung und Lithium-Akkus

Ein Quote bei den Nobelpreisen gibt es nicht. Kaum jemand fordert sie auch. Doch wenn man sich die diesjährigen Nobelpreisträger in den Disziplinen Physiologie/Medizin, Physik und Chemie anschaut, dann kommt man nicht umhin, eine extreme Schieflage festzustellen. Neun Männer sind auserkoren. WissenschaftlerInnen waren keine dabei

Für die Nobelpreisträger gingen Träume in Erfüllung Foto: Mauro Ladu/Aurora/laif

Ein Nobelpreis für Lithiumbatterien

Aktueller kann ein Nobelpreis kaum sein. Die Auszeichnung auf dem Forschungsfeld Chemie ehrt in diesem Jahr grundlegende Untersuchungen zur Entwicklung vom Lithium-Ionen-Batterien, die mobiles Telefonieren und Elektrofahrzeuge möglich machen. Eine Basisinnovation für die Energie- und Verkehrswende, die zur Zeit politisch heiß diskutiert und auf der Straße herbeiprotestiert wird. Geehrt werden drei Batterieforscher: der US-Amerikaner John Goodenough, der in Großbritannien geborene Stanley Whittingham und der Japaner Akira Yoshino. Goodenough ist mit seinen 97 Jahren der älteste Nobelpreisträger überhaupt.

„Lithium-Ionen-Batterien haben unser Leben revolutioniert“, verkündete die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften bei der Bekanntgabe ihrer Entscheidung. „Sie haben die Grundlage gelegt für eine drahtlose, von fossilen Brennstoffen freie Gesellschaft und sind für die Menschheit von größtem Nutzen.“

Die Arbeiten der drei Preisträger bauen aufeinander auf. So entwickelte Whittingham in den 1970er Jahren – angestoßen durch die erste Ölpreiskrise – für den Ölkonzern Exxon die erste funktionsfähige Lithium-Batterie, die allerdings noch anfällig für Explosionen war. Goodenough gelang 1980 der Schritt zu wesentlich leistungsstärkeren Batterien, indem er Lithium-Cobalt-Oxid (LCO) verwendete. Yoshino schuf 1985 schließlich das erste kommerziell verwertbare Produkt. 1991 kam die Lithium-Ionen-Batterie auf den Markt. Die Folge war eine Revolution in der Elektronikindustrie. Handys wurden kleiner, es gab plötzlich tragbare Computer und in der Folge auch Tablets und MP3-Player.

Die Forscher hätten mit ihrer Arbeit „den Grundstein für eine kabellose Gesellschaft ohne fossile Energieträger gelegt“, erklärte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften. Die aufladbaren Batterien hätten das Leben der Menschen revolutioniert. Energiespeicher werden auch für das Stromnetz immer wichtiger. Je mehr erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraft eingespeist werden, deren Produktion aber stark schwankend ist, desto notwendiger werden Batteriepuffer für eine gleichmäßige Versorgung mit Elektrizität. „Hier werden noch etwa die nächsten zehn Jahre die Lithium-Ionen-Batterien vorherrschen“, sagt der Leiter des Institutes für Theoretische Chemie in Ulm, Axel Groß.

Allerdings soll es langfristig auch andere Lösungen geben. Lithium-Ionen-Batterien haben indes nicht nur Vorteile, da die Gewinnung von Lithium zumeist unter umweltschädigenden Bedingungen stattfindet. Zudem ist der Bau der Batterien noch sehr energieaufwendig. Damit hat der diesjährige Chemie-Nobelpreis auch eine Berührung mit der aktuellen Forschungs- und Industriepolitik in Deutschland. Derzeit dominieren bei den Lithium-Ionen-Akkus die Batteriezellenhersteller aus Südkorea (LG, Samsung) und China (CATL) den Weltmarkt. Die Autohersteller sind bei Elektrofahrzeugen hochgradig abhängig von den Zellen, die sie zu vollständigen Batterien zusammenbauen. Weil Deutschland als Herstellerland bisher eine eher untergeordnete Rolle spielt, will die Bundesregierung die Forschung in der Batterietechnologie mit 500 Millionen Euro ankurbeln, um im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können. So soll eine große Batterieforschungsfabrik in Münster entstehen, wobei die Standortfrage derzeit für Unruhe im Forschungsministerium sorgt.

Dass die Forschung an Batterien noch nicht am Ende ist, weiß auch Nobelpreisträger Goodenough, der als Kind US-amerikanischer Eltern bei deren Forschungsaufenthalt an der Uni Jena in Deutschland geboren wurde. Der 97-Jährige forscht trotz seines hohen Alters noch immer an der Universität von Texas. Sein Ziel: nachhaltigere und energieeffizientere Materialien für Batterien. Manfred Ronzheimer

Die Suche nach neuen Erden

Im Wechselspiel der großen Domänen der Physik – zwischen Teilchenphysik, angewandter Physik und Astrophysik – sind in diesem Jahr die kosmologischen Welterklärer an der Reihe. Der Physik-Nobelpreis 2019 geht an drei Wissenschaftler, die wichtige Beiträge zum Verständnis des Universums und des Platzes der Erde im Kosmos geleistet haben.

Die Auszeichnung geht zur einen Hälfte an den in den USA und Kanada tätigen Forscher James Peebles, während sich das Schweizer Duo Michel Mayor und Didier Queloz die andere Hälfte des Preisgeldes teilt. Peebles Arbeiten lieferten die Grundlage für unser Verständnis der Geschichte des Universums vom Urknall bis heute, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften zur Begründung ihrer Wahl mit. Die beiden Schweizer Forscher hatten 1995 den ersten Exoplaneten entdeckt, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist.

Der 1935 in Kanada geborene Philip James Edwin („Jim“) Peebles studierte zunächst an der Universität Manitoba Ingenieurswissenschaften, wechselte dann aber zur Physik, weil er „in dem Studiengang mehr Freunde gehabt habe“, wie er einmal bekannte. 1958 ging er an die Elite-Universität Princeton in den USA, wo er bis zum Ende seiner Karriere tätig war. In Princeton wird der Forscher – der sowohl die kanadische als auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt – als emeritierter „Albert Einstein Professor der Wissenschaft“ geführt.

Peebles schuf mit seinen Forschungen zum Kosmos den „theoretischen Rahmen“, der die Grundlage für das moderne Verständnis der Geschichte des Universums, vom Urknall bis zu Gegenwart, bildete. Er bekam zahlreiche Preise; sogar ein Kleinplanet ist nach ihm benannt: „18242 Peebles“.

Der 77-jährige Mayor und der 53 Jahre alte Queloz hatten bei ihren astronomischen Forschungen an der Universität Genf 1995 den ersten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt, der einen sonnenähnlichen Stern mit der Bezeichnung „51 Pegasi“ umkreist. Mit dieser Entdeckung hätten sie, so das Nobel-Komitee, „eine Revolution der Astronomie“ gestartet.

Seither wurden viele weitere Exoplaneten in der Milchstraße gefunden, „und fremde neue Welten werden noch immer entdeckt, in unglaublichen Größen, Formen und Umlaufbahnen“. Diese Entdeckungen hätten die Vorstellungen von der Welt für immer verändert.

Derzeit sind etwa 4.000 Exoplaneten in fast 3.000 Systemen bekannt, mehrere Dutzend davon sogar in der sogenannten „habitablen“ (lebensfreundlichen) Zone. Auf manchen, so die jüngste Entdeckung, kommt sogar Wasser vor – was als Voraussetzung für die Entstehung von Leben gilt.

Die beiden Schweizer Forscher freuten sich über die Ehrung. Die Entdeckung sei die aufregendste in ihrer gesamten Karriere gewesen, und dafür mit dem Nobelpreis geehrt zu werden, sei außergewöhnlich, zitierte die Universität Genf die beiden Forscher. Niemand habe vor 24 Jahren gewusst, ob Exoplaneten existierten oder nicht. Renommierte Astronomen hätten jahrelang vergeblich nach ihnen gesucht.

„Es ist wieder ein tolles Beispiel dafür, wie verbesserte Messmethoden ein neues Fenster zum Universum aufstoßen“, kommentierte Dieter Meschede, der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), den diesjährigen Nobelpreis für Physik. Zudem zeigten die Arbeiten der drei Forscher, „wie moderne Beobachtungsmethoden ganz neue Modelle vom Kosmos hervorbringen.“

Meschede hatte zusammen mit Journalisten und Gästen im Magnus-Haus Berlin, der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die Liveübertragung der Nobelpreisbekanntgabe aus Stockholm verfolgt. Manfred Ronzheimer

Ausgeklügelte Regulation der Zellatmung

Die Anpassung an den Sauerstoffgehalt in der Luft ist einer der grundlegenden Prozesse der Evolution. Für die Aufklärung wie das auf molekularer Ebene beim Menschen geregelt ist, erhalten zwei US-Amerikaner und ein Brite den diesjährigen Nobelpreis für Medizin. Gregg Semenza und William Kae­lin, beide aus den USA sowie Peter Ratcliffe aus Großbritannien hätten mit ihren Arbeiten gezeigt, wie Zellen den Sauerstoffgehalt in ihrer Umgebung wahrnehmen und sich daran anpassen, teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit. Dies eröffne neue Ansatzpunkte für die Entwicklung von Therapien gegen Blutarmut, Krebs und zahlreiche andere Erkrankungen, bei denen die Sauerstoffkonzentration im Blut eine Rolle spielt.

Ohne Sauerstoff gäbe es auf der Erde kein Leben. Tiere und auch der Mensch benötigen Sauerstoff, um aufgenommene Nahrung in den Zellen in lebenserhaltende Energie umzuwandeln. Allerdings kann sich die Menge des dort verfügbaren Sauerstoffs ändern – etwa wenn die Muskeln vermehrt Sauerstoff benötigen oder beim Aufenthalt auf hohen Bergen. Auf diese Änderungen müssen die Zellen reagieren. Wie das gelingt, sei bis zu den wegweisenden Arbeiten der drei Forscher unklar gewesen, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees. Gregg Semenza vom Johns Hopkins Institute for Cell Engineering in Baltimore fand in den frühen 1990er Jahren heraus, dass ein bestimmter Proteinkomplex namens HIF wesentlich an der Reaktion auf Sauerstoffarmut beteiligt ist.

Der 1956 in New York geborene Biologe zeigte, dass ein Bestandteil des Komplexes, bei niedrigem Sauerstoffgehalt das Erythropoietin-Gen aktiviert. Dies führt zu einer besseren Versorgung der Zellen mit Sauerstoff – wirkt also dem Sauerstoffmangel entgegen.

Als „ein wunderschönes System“ hatte Gregg Semenza diesen Mechanismus bezeichnet, als er 2016, ebenfalls gemeinsam mit Ratcliffe und Kaelin, den renommierten Lasker-Award bekam. Der Brite Ratcliffe von der Oxford University, 1954 in Lancashire geboren, erweiterte das Wissen um die Funktion des HIF-Proteins. Er und Semenza zeigten, dass nicht nur das Blutzellenhormon EPO, sondern bis zu 300 weitere Gene davon reguliert werden und dass der Mechanismus in nahezu allen Zellen vorhanden ist.

Bei normalem Sauerstoffgehalt wird HIF schnell im Körper abgebaut. Bei der Klärung der Frage, wie das genau geschieht, spielten die Forschungen des Mediziners Kaelin von der Harvard Medical School in Boston, geboren 1957 in New York, eine wichtige Rolle.

Er hatte eine Krebserkrankung, das Hippel-Lindau-Syndrom, untersucht. Dabei ist ein Gen verändert, wodurch der Abbau von HIF gestört wird. Die Zelle empfindet einen Sauerstoffmangel, obwohl keiner vorliegt. Die daraufhin eingeleiteten Gegenmaßnahmen, etwa das Wachstum neuer Gefäße für eine bessere Sauerstoffversorgung, führen zu den typischen Kennzeichen dieser Krebserkrankung.

Die Aufklärung dieser Grundlagen könnten neue Krebstherapien ermöglichen, hoffen Experten. Weitere Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich auch bei die Behandlung von Blutarmut. Hier können Präparate helfen, die den HIF-Abbau verhindern. Der Körper reagiert auf die vermeintliche Sauerstoffarmut dann mit Gegenmaßnahmen für eine bessere Sauerstoffversorgung.

Nach Angaben des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa) werden entsprechende Arzneimittel bereits erprobt. In China und Japan sei sogar schon eins dieser Medikament zugelassen. (taz, dpa)