Flucht als Computerspiel: Die Challenge namens Integration

Die Regisseurin Lola Arias bringt im Maxim-Gorki-Theater in Berlin mit minderjährigen Flüchtlingen deren Geschichten auf die Bühne.

Acht Mädchen und Jungen sitzen nebeneinander auf einer Bühne.

Alle da: B. Kanan, M. Saada, M. Allou Diallo, S.Safi, M. Haj Younis, F. Bhuiyan, A. Azrati, S. Odowa Foto: Ute Langkafel/Maifoto

„Wie heißt du?“, fragt eine Computerstimme jeden der acht Neuankömmlinge, die die Bühne betreten. Acht junge Männer und Frauen landen in Futureland. Sie stehen am Anfang eines makabren Spiels. Wer bleiben will, muss Aufgaben erfüllen und sich von Level zu Level weiterarbeiten. „Alles, was du machst, wird ständig ausgewertet“, sagt die Computerstimme. „Auch, wenn du alles richtig machst, kann es sein, dass du nicht bleiben darfst.“

Mamadou, Ahmad, Fabiya, Mohamed, Bashar, Sagal, May und Sarah sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, wie der Fachbegriff heißt. Das Stück „Futureland“, das am 18. Oktober am Maxim-Gorki-Theater in Berlin Premiere feierte, erzählt, welche Geschichten hinter diesem Terminus stecken.

Regen prasselt auf den Container, der als Übergangsspielstätte während der Sanierung des großen Hauses auf dem Theatervorplatz steht. Währenddessen entspinnt sich drinnen ein rasantes Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, das das Draußen schlagartig vergessen lässt. Die Regisseurin Lola Arias hat für ihr neues Projekt am Gorki beeindruckende junge Menschen gefunden, die Einblicke in ihre Erfahrungen geben. Ihr Ziel: in Futureland zu bleiben. Doch das ist gar nicht so einfach. „Du hast einen langen Weg vor dir – und der heißt: Integration“, sagt die Computerstimme.

Sicheres Bleiberecht haben sie nur, bis sie 18 sind. Deshalb müssen sie ihr Alter nachweisen, das einige von ihnen gar nicht so genau kennen. Sie erzählen, wie sie vermessen und untersucht wurden. Die 17-jährige Sarah stammt aus Kabul. Im Interview sei entschieden worden, dass sie 16 ist. „Dabei war ich eigentlich erst 15.“

Der Asylprozess als Spiel

Alle Erwachsenen – Leh­re­r*in­nen, Be­treue­r*innen, Inter­vie­wer*innen – erscheinen als animierte Avatare, die Anweisungen und Aufgaben geben. Futureland ist eine animierte Welt in 3D (Animationen: Luis August Krawen) mit kalten hohen Häuserschluchten, zwischen denen sich ab und zu ein paar Bäume im Wind bewegen. Es klingt makaber, den Asylprozess der Jugendlichen als Computerspiel darzustellen. Viel unheimlicher aber ist, dass die Parallele so gut funktioniert.

Das Aufnahmeland als kalte Welt, in dem die Menschen in ihren Funktionen nicht unbedingt unfreundlich und bedrohlich, aber roboterhaft und unnahbar erscheinen. Der Asylprozess ist ein immer gleiches Spiel mit bestimmten Regeln. Ein zentrales Ereignis in diesem Prozess ist das Interview, das alle über sich ergehen lassen müssen – und das so viel entscheidet.

Die Jugendlichen berichten von ihrer Angst, etwas Falsches zu sagen – und der Sorge, dass ihnen nicht geglaubt wird. Der 17-jährige Ahmad spielt sein eigenes Interview nach. Er erzählt, wie er als Zwölfjähriger mit einer Gruppe von Jungs aus Afghanistan in den Iran floh. Einen Monat waren sie zu Fuß unterwegs, hatten zu wenig zu essen und keine Kleidung gegen die Kälte. In Isfahan fanden sie Arbeit, aber wurden häufig von Polizisten geschlagen. Sein Weg führte ihn schließlich zu Fuß in die Türkei und mit dem Boot nach Griechenland. Eines der Boote sank, erzählt er.

Möglichst klein und jung wirken

Die acht Jugendlichen haben Krieg erlebt, Tod, Armut, Leid. Die 14-jährige Fabiya kommt aus Bangladesch und hat ihre Eltern auf dem Weg verloren. Die 17-jährige May aus Syrien sollte zwangsverheiratet werden.

Sie haben Schreckliches erfahren und bleiben Jugendliche mit Wünschen, Hobbys und Flausen im Kopf. In Futureland angekommen, müssen sie möglichst klein und jung wirken, um bleiben zu dürfen. „Die Reise hat dich altern lassen. Aber du darfst nicht altern. Du musst ein Kind bleiben“, heißt im Stück.

Die acht Jugendlichen interviewen einander, singen, tanzen und spielen vor 200 Leuten in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist. Ihre Auftritte werden mit einem Jubel quittiert, der nichts mit einem etwaigen Jugend-Bonus, sondern mit Talent und Überzeugungskraft zu tun hat.

„Futureland“ von Lola Arias läuft wieder am 4. und 5. November im Maxim-Gorki-Theater in Berlin.

Die bestechende Idee, das Stück im Setting eines Computerspiels zu platzieren, ist während der Proben entstanden. In den Pausen der Proben hätten die Jugendlichen ein Spiel gespielt, bei dem 100 Leute auf einer Insel landen und nur einer überlebt. „Die Überlebenden spielten ein Überlebens-Spiel“, sagt Lola Alias im Programm.

In ihren Projekten spielt die Autorin, Theater- und Filmregisseurin und Performerin mit Überlappungen zwischen Realität und Fiktion. Die realen Geschichten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge hat sie jetzt zu einem rasanten, witzigen und bewegenden Stück verwoben, das einen angesichts der Präsentation der Jugendlichen voller Rührung und Bewunderung zurücklässt.

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