Wissenschaft und Gesellschaft: Großes Vertrauen

Das neue „Wissenschaftsbarometer“ zeigt: Der Graben zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft ist nicht sehr tief.

Ein junger Mann geht über eine Trümmerfeld

Die Wetterextreme nehmen zu, so wie es Wissenschaftler vorausgesagt haben Foto: reuters

BERLIN taz | Hoch die Transparente! Die Deutschen sind damit einverstanden, dass Wissenschaftler ihres Landes nicht nur das Klima erforschen, sondern sich zu seinem Schutz auch politisch engagieren. Das ist ein Ergebnis des jüngsten „Wissenschaftsbarometers“ zum Verhältnis von Gesellschaft und Wissenschaft, das erstmals auch die Meinung zur Forscherbeteiligung bei Fridays for Future erfragte.

So waren drei Viertel der insgesamt 1.017 repräsentativ befragten Bürger ab 14 Jahren der Meinung, „dass sich Wissenschaftler öffentlich äußern sollen, wenn politische Entscheidungen Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen“. 50 Prozent meinten, dass es „auch die Aufgabe von Wissenschaftlern“ sei, „sich in die Politik einzumischen“. Allerdings waren auch 29 Prozent gegen ein solches politisches Mandat.

Jährlich lässt die Kommunikationsplattform „Wissenschaft im Dialog“ (WID), die von den führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen getragen wird, in einer großen Meinungsumfrage durch die Demoskopiefirma Kantar Emnid der Bevölkerung den Puls fühlen: Wie stehst du zur Wissenschaft? 22 Fragen standen in diesem Jahr auf dem Programm; der Auswertungsbericht bietet auf seinen 484 Seiten vertiefte Einblicke, wie Generationen, Regionen, Bildungsschichten und Parteianhänger zur Arbeit der Menschen in Hochschulen und Forschungslaboren stehen.

Eine Basiszahl der Wissenschaftsnation Deutschland lautet 13. 5 ­Prozent der Deutschen arbeiten derzeit im Wissenschaftssystem, und 8 Prozent hatten dort früher einmal eine Beschäftigung. 85 Prozent indes antworteten: „Nein, ich habe noch nie in Wissenschaft und Forschung gearbeitet.“

Großes Interesse an Themen aus Wissenschaft und Forschung bekunden 59 Prozent

Dafür ist das Interesse an den Abläufen in der akademischen Welt und den dort produzierten Erkenntnissen durchaus vorhanden. Großes Interesse an Themen aus Wissenschaft und Forschung bekunden 59 Prozent der Bundesbürger. Zum Vergleich: Für Politik interessieren sich 53 Prozent und für Kultur 49 Prozent der Befragten. Allerdings ist das Interesse auch nicht wachsend, sondern bewegt sich seit Jahren an der Grenze zu 60 Prozent.

Unterschiedliche Prioritäten

Bei den Themen besteht das größte Interesse an der Medizin (73 Prozent), gefolgt von den Naturwissenschaften (66), neuen Technologien (56) sowie Sozial- und Geisteswissenschaften (50). Bei der Frage, in welchen Bereichen stärker als bisher geforscht werden sollte, hat sich das Themenfeld Klima und Energie mit 41 Prozent der Nennungen jetzt auf Platz eins geschoben, vor Gesundheit und Ernährung mit 39 Prozent. Hier ist es in der Feinauswertung erstaunlich, dass die Westdeutschen mit 42 Prozent die Klimaforschung an erste Stelle setzen, während für die Ostdeutschen mit 46 Prozent die Gesundheitsforschung Priorität haben sollte.

Auch bei den Generationen tritt diese Spaltung auf. Noch krasser ist das Votum vor dem Hintergrund der parteipolitischen Präferenzen. So wollen die SPD-Anhänger zu 52 Prozent mehr Klimaforschung, während Gesundheit nur auf 32 Prozent kommt. Bei den Wählern von CDU und CSU ist das Verhältnis mit 32:44 genau andersherum.

An den Rändern wird es noch extremer: Die Linke-Anhänger wollen mit dem Topwert von 66 Prozent am meisten Klimaforschung, während das nur 17 Prozent der AfD-Fans wünschen, der absolute Minimumwert. Es folgen im Themenranking abgeschlagen Mobilität und Verkehr (8 Prozent) sowie Sicherheit (7), während sich für das Hypethema Kommunikation und Digitalisierung erstaunlicherweise nur 4 Prozent der Bürger mehr Forschung wünschen.

Zentrale Größe für die Akzeptanz von Wissenschaft ist das Vertrauen, das ihr die Bevölkerung entgegenbringt. Der Vergleich verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ergab, dass die Wissenschaftler in den öffentlichen Einrichtungen wie staatlichen Hochschulen und Forschungsorganisationen mit 55 Prozent das höchste Vertrauen genießen. Die Forscher in der Wirtschaft, wo nicht der gesellschaftliche Nutzen, sondern die kommerzielle Verwertung von Wissenschaft dominiert, kommen mit 30 Prozent auf einen bescheideneren Vertrauenswert. Den würden sich aber Journalisten und Politiker auch gerne wünschen, die im Vergleich mit 18 beziehungsweise 17 Prozent das geringste Bürgervertrauen zugesprochen bekamen.

Insgesamt lässt sich aus dem diesjährigen Ergebnis keine Spaltung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ablesen. „Seit dem ersten Wissenschaftsbarometer 2014 bewertet eine weitestgehend stabile Mehrheit von 60 bis 70 Prozent der Befragten den Nutzen von Wissenschaft und Forschung positiv“, schreiben die Autoren. Die Zahl der dezidierten Wissenschaftsskeptiker („schadet mehr als sie nützt“) ist zwar von 11 auf 9 Prozent geschrumpft. Gleichwohl sollte Beachtung finden, dass die Zahl der Indifferenten, die keine Meinung zum Wissenschaftsnutzen haben, inzwischen auf 28 Prozent angestiegen und damit so hoch wie noch nie ist. Alle Anstrengungen der Wissenschaftskommunikation fruchten offenbar nur begrenzt.

Diese Sachlage ist wahrscheinlich auch einem weiteren Faktor im Vorfeld der Wissenschaft anzulasten: dem Schulsystem. Obwohl zu erkennen.sich in den vergangenen Jahren gerade in der außerschulischen Wissenschaftsvorbereitung einiges getan hat – Stichworte „Haus der kleinen Forscher“ und Jugendforschungszentren –, erstaunt es doch, dass den Satz: „In der Schule wird oder wurde mir vermittelt, wie Wissenschaft und Forschung funktionieren“, nur 30 Prozent bejahten. Das lässt auf einen dringenden Verbesserungsbedarf im Austausch zwischen dem sekundären und dem tertiären Bildungssektor schließen. Noch eine Schul-Aufgabe neben Pisa.

Als „bemerkenswert“ registriert WID, „dass sich rund jeder Zweite mehr Teilhabe an Wissenschaft und vielleicht sogar Zusammenarbeit mit Forschern wünscht“. 49 Prozent der Befragten würden gerne einmal in einem wissenschaftlichen Projekt mitforschen; vor zwei Jahren lag dieser Wert noch bei 40 Prozent – was eine Wirkung der in Deutschland noch jungen Bewegung der „Bürgerforschung“ (citizen science) sein könnte. „Offensichtlich wollen viele Menschen mit Forschenden ins Gespräch kommen und mehr über deren Arbeitsweise erfahren“, kommentierte Katrin Rehak-Nitsche, die in der Robert-Bosch-Stiftung den Bereich Wissenschaft leitet. „Das ist eine große Chance, die die Wissenschaftsgemeinde nutzen sollte, um ihre Werte und Methoden möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen näherzubringen.“

Hilfreich wäre wahrscheinlich auch ein weniger weichgespültes Befragungsdesign. Erneut wurden auch in diesem Jahr kritische Themen des gesellschaftlichen Wissenschaftsdiskurses – wie etwa das Verhältnis zur grünen Gentechnik oder dem CRISPR/Cas-Einsatz in der Medizin ist, bis hin zu den ethischen Implikationen der künstlichen Intelligenz – außen vor gelassen. Themen wie die Homöopathie- und die Impfdebatte, die die Grünen derzeit in Wallung bringen, sollten auf dem nächsten Wissenschaftsfragebogen nicht fehlen. Vielleicht sollte der auch von einem weniger wissenschaftsaffinen Ausrichter der Befragung erstellt werden.

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