Leistungssportlerin erhält Asyl: Das viel zu frühe Ende der Laufbahn

Annet Negesa, Mittelstrecklerin aus Uganda, erhält endlich Asyl in Deutschland. Gegen den Leichtathletikverband erhebt sie schwere Vorwürfe.

Eine Läuferin

Annet Negesa 2012 im südafrika­nischen Stellenbosch Foto: Gallo Images/imago

Happy. Ein Wort, das man bisher nicht mit dem Schicksal von Annet Negesa in Verbindung bringen konnte. „I am happy“, sagt sie dennoch und lächelt. Die ehemalige Mittelstreckenläuferin aus Uganda hat eine positive Antwort auf ihren Asylantrag bekommen und kann nun dauerhaft in Deutschland bleiben. Das macht sie glücklich.

Annet Negesa hatte in einer ARD-Dokumentation über Sportlerinnen mit natürlichen erhöhten Testosteronwerten den Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) beschuldigt, ohne ihre Zustimmung einen operativen Eingriff an ihr vorgenommen zu haben. Der Athletin seien innen liegende Hoden entfernt worden; dadurch sollte ihr Testosteronspiegel gesenkt werden.

„Meine Aussagen wurden auch in meiner Heimat bekannt, und dort werden Menschen mit intersexuellen Anlagen sowie Homosexuelle verfolgt oder sogar getötet“, sagt Annet Negesa. „Ich hatte Angst, zurückzugehen“, erklärt sie bei einem Treffen in Berlin. Nun aber schaut die 27-Jährige mit neuen Hoffnungen in die Zukunft.

Eine vielversprechende sportliche Zukunft lag einst vor der Läuferin. 2011 war sie afrikanische Meisterin über 800 Meter, bei den Olympischen Spielen in London rechnete sie sich Chancen auf eine Medaille aus.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.

Doch kurz vor den Spielen wurde bei Annet Negesa bei einer Dopingkontrolle ein erhöhter Testosteronwert festgestellt, der nicht auf die Einnahme unerlaubter Mittel zurückzuführen war. Er lag über dem Grenzwert für Frauen, den die IAAF in ihrem Regelwerk festgelegt hatte. Annet Negesa durfte nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen.

Anklage in einer ARD-Dokumentation

Der großen Enttäuschung folgte ein noch schwerwiegenderer Schlag: Annet Negesa hatte erstmals in der ARD-Dokumentation „Kampf ums Geschlecht – Die verstoßenen Frauen des Sports“ berichtet, dass sie 2012 von Stéphane Bermon, einem Arzt der medizinischen Kommission der IAAF, in Nizza untersucht worden sei. Kurz da­rauf unterzog sie sich einer „Behandlung“, die – so verstand sie es – ihr wieder die Teilnahme an Wettkämpfen erlauben würde. Die Behandlung stellte sich als Gonadektomie heraus, als chi­rurgische Entfernung der innen liegenden Hoden. Dadurch sollte der Testosteronspiegel Negesas gesenkt und in IAAF-Norm gebracht werden.

Annet Negesa

„In Uganda werden Menschen mit inter­sexuellen Anlagen sogar getötet“

Annet Negesa bekräftigt erneut, wie bereits in der ARD-Doku, dass sie nichts von einer Operation gewusst habe. Sie sei von einer „Injektion“ ausgegangen. Der Eingriff sei gegen ihr Wissen und ihren Willen vollzogen worden. Die IAAF bestreitet das. „Ich bin ein ehrlicher Mensch, ich sage die Wahrheit“, versichert hingegen Annet Negesa.

Über Sportlerinnen mit erhöhten Testosteronwerten wird vor allem seit den Erfolgen der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya diskutiert. 2011 wurde die sogenannte Testosteronregel eingeführt, die Frauen mit mehr als 10 Nanomol körpereigenem Testosteron pro Liter Blut vorschreibt, diesen Wert medikamentös zu senken. Testosteron gilt als leistungssteigernd. Die indische Läuferin Dutee Chand klagte gegen diese Regelung, der Weltverband musste sie zurücknehmen. Nach mehreren von der IAAF in Auftrag gegebenen Studien – an denen wiederum andere Wissenschaftler Zweifel hegen – wurde im Mai 2019 die Testosteronregel modifiziert und wieder eingeführt; der neue Grenzwert liegt nun bei 5 Nanomol, und betroffen sind nur noch Frauen in den Mittelstreckenwettbewerben. Eine Klage von Caster Semenya vor dem Internationalen Sportgerichtshofs wurde abgewiesen.

Sehnrsucht nach der Familie

Das Bestreben der IAAF, für Chancengleichheit zu sorgen, mündet in Diskriminierung – und im Fall von Annet Negesa in eine entwürdigende Körperverletzung sowie die Vernichtung sämtlicher Träume und Per­spek­tiven. „Das Laufen bedeutet mir alles“, sagt Negesa, die mit ihrem Sport ihre große Familie finanziell unterstützte.

Nach der Operation wurde sie alleingelassen – ohne notwendige medizinische Nachbehandlung, ohne Medikamente, ohne psychologische Unterstützung. „Ich war so traurig und depressiv, ich fühlte mich nach dem Eingriff so schwach.“ Dass sie Ärzten vertraut hatte in der Hoffnung, ihre Karriere fortsetzen zu können, weil Funktionäre eine umstrittene Regelung eingeführt hatten, brachte sie ans bittere Ende ihrer sportlichen Laufbahn.

Doch Annet Negesa ist eine Kämpferin. Sie greift wieder an. Mittlerweile ist sie bei einem Arzt in Behandlung und fühlt sich wohl. Sie läuft jeden Tag. „Ich suche jetzt einen Coach“, sagt sie. Im Januar beginnt sie einen Deutschsprachkurs in Berlin. Sie schaut sich nach einer kleinen Wohnung um. Unterstützer haben ein Crowdfunding für ihren Neustart organisiert. Zugleich sehnt sich Negesa nach ihrer Familie in Uganda. „Meine kleinen Geschwister haben am Telefon gefragt, ob ich an Weihnachten nach Hause komme“, erzählt sie.

Ist das nicht ein hoher Preis, den sie für ihre Offenheit zahlt? „I am happy“, sagt sie erneut, „ich bin glücklich, dass ich da­rüber gesprochen habe, was mir passiert ist.“ Sie wolle damit verhindern, dass anderen jungen Athletinnen dasselbe zustoße wie ihr, und wolle, dass das Unrecht aufgeklärt wird. „Ich will nicht, dass noch mehr Leben zerstört werden.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.