Aufbruch beim Staatsballett Berlin: Wärst du lieber Bär oder Androide?

Sprung in andere Zeiträume: Mit Tanzstücken von Alexander Ekman und Sharon Eyal kann das Staatsballett Berlin neue Seiten zeigen.

Im Vordergrund ist die Silhouette einer Figur zu sehen, hinten stehen viele Tänzerinnen und Tänzer eng zusammen.

Szene aus „Strong“ von Sharon Eyal im Berliner Staatsballett Foto: Jubal Battisti

Das Staatsballett Berlin, seit dieser Spielzeit von Sasha Waltz und Johannes Öhman geleitet, verändert sich. Zwischen den klassischen Handlungsballetten wie „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky oder „La Bayadère“ stehen jetzt häufiger Arbeiten von zeitgenössischen Choreografen auf dem Spielplan, darunter Jefta van Dinther und Emanuel Gat, die man in Berlin zuvor eher während des Festivals Tanz im August oder im HAU sehen konnte.

Am Sonntag (8. Dezember) hatten nun zwei Stücke von Alexander Ekman aus Schweden und Sharon Eyal aus Israel in der Staatsoper Unter den Linden Premiere, die das Potential des Ensembles anders als in vielen zurückliegenden Jahren einsetzten und aus der Ballettromantik vorwärts in neuere Zeiträume schossen. Beide Choreografen haben schon für große Tanzensembles und Ballettcompagnien gearbeitet.

Alexander Ekmans Stück „Lib“ für vier Ballerinen und einen Solisten rührt nicht nur mit der Musik an die Hippiezeit, sondern auch mit Kostümen aus langen Haaren von dem auf Haariges spezialisierten Künstler Charlie Le Mindu. Doch bevor die Zotteln zum wild schwingenden Einsatz kommen, treten die vier Tänzerinnen auf Spitze an, als ginge es um einen Leistungswettbewerb in Beinhöhe, Spagat und Sprüngen, die tatsächlich auf der Spitze landen, das tut doch weh! Zwischendurch flattern die Hände, wölben sich die Arme, winkeln sich die Ellbogen, trippeln die Füße auf der Stelle, als wären sie junge Schwäne ohne Federn.

Eine spielerische Wildheit

Es ist eine Mischung aus vorgeführtem Drill und romantischen Gesten, die hier anders vernäht sind, in einem hellen Laborlicht. Dann aber kommt mit den langen Mähnen eine spielerische Wildheit auf, die Strähnen verlängern die Armschwünge, falten die Piouretten in große Figuren auf, umgeben die Körper in den Sprüngen mit vielen kleinen Wirbeln, lassen jedes Rollen des Beckens und der Pobacken weithin sichtbar werden.

Der Abend "Ekman/Eyal" läuft wieder am 12.,18. + 19. ­Dezember in der Staatsoper unter den Linden in Berlin

Es entsteht eine pittoreske und barocke Verzierung jeder Bewegung. Sie hat durchaus noch etwas mit dem Ursprung des Balletts als höfische Kunst aus der Zeit der Allongeperücken zu tun, aber auch mit karnevalesken Verwandlungen. Es ist eine Leichtigkeit, Sexyness und Verrücktheit in diesen Bildern, die vorher nicht da war. Und doch knüpft dieses Feiern einer Befreiung (auf die der Titel „Lib“ wie Liberation anspielt) mit seiner animalischen Energie auch wieder an die Romantik an und ihre Sehnsucht nach Transzendenz des irdischen Körpers.

„Strong“ nennt die Choreografin Sharon Eyal ihr Stück, passend für dieses strenge Exerzitium für 17 Tänzerinnen und Tänzer, die fast fünfzig Minuten lang miteinander einen Körper, ein Corps de ballet bilden, das ebenso viel von einer Maschine wie von einer amorphen Masse hat, aus der erkennbare Individuen nur für Momente herausragen, sich ausstülpen aus dem vibrierenden, dampfenden, stampfenden Haufen Mensch.

Die Körper stehen unter Spannung

Die Bühne ist anfangs dunkel, nur ein Streifen Licht erfasst die Oberkörper, erst langsam erkennt man, wie viele es sind. In das Schwirren von Stimmen mischt sich ein Beat, der immer durchdringender wird in langen Technosequenzen. Die Körper stehen unter Spannung, die Rippen sind rausgedrückt, oft werden die Becken vorgeschoben, jeder Muskel ist angespannt. Selbst die Hände, die an den Hals greifen, sich an die Hüften oder unter die Brust legen, wirken wie aus Eisen. So viel Energie ihre Körper auch zu durchlaufen scheint, nie ist sie expressiv nach außen gerichtet, sondern wird eng am Körper gehalten.

Sind das Androide der Zukunft, die in einer Clubnacht versuchen, den Zuständen von Ekstase und Trance auf die Spur zu kommen? Sind das auf einem fernen Stern vergessene Irdische, die von etwas träumen, was sie zwischen den Zeiten verloren haben? Manchmal halten sie, in den weit gespreizten Knien tief gebeugt, an, fast friert das Bild ein, bis ganz kleine Ruckler, wie unterirdische Vibrationen durch die Gruppe hindurchgehen, als stünden sie alle auf dem Dach bebender Maschinen, die in ihnen weiter schwingen.

Interessant machte den Abend, wie unterschiedlich sich Alexander Ekman und Sharon Eyal auf die Geschichte des Balletts und die Versprechen des Tanzes bezogen. Während bei Ekman das Rauschende, Animalische, nicht Einzufangende letzten Endes das Spiel bestimmen durfte, verschluckt bei Eyal am Ende Dunkelheit die Gruppe. Auf ihrem Weg ist das Programm, dem alle gehorchen, immer stärker als die kurzen Momente der Einzelnen. Es ist eine düstere Vision vom Hybriden zwischen Technik und Mensch, die nach dem Ende des Menschen kommen könnte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.