Staatliche Ballettschule in Berlin: Schluss mit der Schleiferei

Der Unterricht in der Staatlichen Ballettschule verstoße gegen das Kindeswohl, lauten Vorwürfe. Sie stellen die Existenz solcher Schulen in Frage.

die Beine ballett

Sieht leicht aus, ist aber harte, manchmal brutale Arbeit Foto: dpa

BERLIN taz | An sich ist es ein wahr gewordener Traum, dass Kinder sich in Berlin an einer regulären, kostenfreien, landeseigenen Schule zu Profitänzer*innen und -akro­ba­t*innen ausbilden lassen können. Genau das macht die Staatliche Ballettschule in Prenzlauer Berg: Rund 300 Schü­ler*innen werden dort ab Klasse 5 unterrichtet. Eigentlich ist das ein große Chance, gerade auch für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Doch wie das mit Träumen so ist: Manchmal werden daraus Albträume. Vergangenen Montag wurden die beiden Chefs der Ballettschule zumindest vorübergehend „freigestellt“. Schon seit September vergangenen Jahres kursieren anonyme Vorwürfe, die Ausbildung sei teilweise zum Drill verkommen, das Kindeswohl sei gefährdet gewesen, es sei zu Mobbing und Bodyshaming – also Erniedrigung aufgrund körperlicher Merkmale – gekommen.

Zuletzt hatten sich die Anschuldigungen gehäuft. Die zuständige Senatsverwaltung für Bildung reagierte, führte Krisengespräche. Eine Kommission soll nun die Vorwürfe, die inzwischen offenbar nicht mehr nur anonym sind, aufklären. Dass die Führung der Schule von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) nun erst mal abberufen wurde, darf als Hinweis gelten, dass die Anschuldigungen als rea­listisch eingeschätzt werden.

Zugleich wies die Bildungsverwaltung bei einem Treffen mit den Schüler*innen aber auch darauf hin, dass die Staatliche Ballettschule eine „leistungsorientierte Eliteschule“ sei. Und ob sich das Land diesen „modernsten und bestausgestatteten Ballettausbildungscampus der Bundesrepublik Deutschland“ (Eigenwerbung auf der Webseite der Schule) weiterhin leisten soll, war in diesem Zusammenhang wohl als rhetorische Frage gemeint.

Die brutale Selektion auf Kosten der Körper und der Kindheit ist überholt.

Doch die bessere Antwort darauf ist eine andere: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mit den landeseigenen sportlichen Eliteschulen und ihren Idealen zu brechen. Berlin steht im bundesweiten allgemeinen Schulvergleich bestenfalls bescheiden da, die Bundesrepublik im internationalen Vergleich ebenso. Die brutale Selektion auf Kosten der Körper und der Kindheit junger Menschen ist überholt, zumal es nur sehr wenigen jungen Menschen letztlich gelingt, tatsächlich zur gewünschten tänzerischen oder sportlichen Elite zu gehören. Ist es das wert? Sollte der Staat hier Ansporn sein?

Muss für die Kunst gelitten werden?

Gleichzeitig nimmt die Akzeptanz des Leistungssports – wozu Ballett zweifellos zu zählen ist – in der Gesellschaft ab. Immer weniger Menschen wollen zum Beispiel, dass bei ihnen um die Ecke Olympische Spiele ausgetragen werden. Doping, sprich das Eingeständnis, dass nur wer betrügt, erfolgreich ist, hat viele Profisportveranstaltungen diskreditiert. Deutsche Spitzenteams im sportlichen wie kulturellen Bereich sind längst breit international aufgestellt: Dafür braucht es keine eigene nationale Spitzenförderung mehr. Und im Zweifelsfall sind viele andere Länder damit erfolgreicher, weil dort Drill und Dissen eben noch als Teil der Schleiferei widerstandslos akzeptiert wird.

Dabei ist deren Ablehnung ein gesellschaftlicher Fortschritt. Im 21. Jahrhundert brauchen Berlin, Deutschland, Europa statt einiger in der Jugend unter großem Druck geformter Helden junge Menschen, die teamfähig sind, die die Gleichheit aller Menschen achten, die Fortschritt nicht als Auslese denken. Das muss auch das Vorbild für unsere Schulen sein.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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