Kurzer Auftritt, weltweiter Ruhm

SOLIDARITÄT Aktivisten, Künstler: Die Frauenband hat viele Unterstützer

MOSKAU taz | Wer im russischen Internet nach der „Gottesmutter“ sucht, der landet inzwischen unmittelbar beim Kremlchef. Dafür verantwortlich ist der Song der Frauenpunkband Pussy Riot „Gottesmutter, verjage Putin“, der häufiger angeklickt wird als Geistliches und Besinnliches. Die unerschrockene Frauenband ist auf dem besten Wege, zum größten Show-Erfolg aller Zeiten zu werden. 40 Sekunden Auftritt im Februar – fast tonlos – reichten aus, um der Band weltweiten Ruhm einzubringen. „Das macht ihnen so schnell keiner nach“, meinte ein Besucher einer Solidaritätsveranstaltung für die inhaftierten Frauen in Moskau.

Russlands oppositionelle Künstlerszene traf sich am letzten Wochenende im alternativen Kunstzentrum Winsawod. Anlass war die Veröffentlichung eines Katalogs „Kunst auf den Barrikaden“, der die Aktionskunst rund um die Causa Pussy Riot zusammenfasst. Ein Bild zeigt eine Aktivistin mit Maske ans orthodoxe Kreuz genagelt, auf einem anderen erscheint die inhaftierte Nadjedschda Tolokonnikowa als keusche Jungfrau Maria mit Kopftuch. Die Erläuterungen gibt Alek Epstein, er ist der Kunstsoziologe der Szene. Es ist laut im Saal, die Ausführungen über Politik und Kunst gehen im Hintergrundraunen unter. Epstein bittet um Aufmerksamkeit. Auf einem Tisch haben die Veranstalter Gegenstände zusammengetragen, die im Gefängnis überlebenswichtig sind: Blechschüssel und Zwieback, Tauchsieder, Nudeln, Konservenbüchsen und die typische Plastikdecke mit floralen Mustern. An der Wand gegenüber malt ein Künstler die bunten Masken der Band auf Packpapier. Er kannte die Pussy Riot vorher. So wie die meisten hier.

Alisa Obrastsowa hat das Treffen über die sozialen Netze organisiert. Die junge Juristin verlor im April ihren Job, weil sie das weiße Bändchen der Protestbewegung am Arm trug. Seitdem ist sie in der Opposition aktiv. Anfangs war sie skeptisch gegenüber den radikalen Frauen. „Inzwischen weiß ich, dass die Aktion in der Kirche richtig war“, meint sie. Die Reaktionen hätten gezeigt, dass die Gesellschaft das Machtgemisch aus Politik und Kirche endlich enttabuisieren müsse, sagt die hochgewachsene Frau. Ihre Meinung teilen die meisten hier in dem alternativen Kunstzentrum.

Unterdessen hat die Aktionskunst der Pussy Riots in Moskau Schule gemacht. Im Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz warf ein älterer Mann Flugblätter mit den Porträts der jungen Frauen vor den Sarg des Revolutionsführers. Bei der Festnahme durch die Polizei sagte er: Der Opa (Lenin) wolle es doch sicher auch etwas lustiger haben …War das nun Kunst, Widerstand oder eine Antwort auf die Absurdität des politischen Geschehens?

Auch vor der Christ-Erlöser-Kirche solidarisierten sich noch mal Maskierte, bevor sie von den Sicherheitskräften eingesammelt wurden: Sie hielten jeder einen Buchstaben in die Höhe. Zusammen las sich das: „Selig sind die Barmherzigen“. KLAUS-HELGE DONATH