berliner szenen Pässeraten

Vor Gericht

In das Berliner Strafgericht in Moabit müssen täglich viele Leute: Anwälte, Zuschauer, Zeugen und Angeklagte. Sie alle müssen an den Leuten vorbei, die am Eingang Wache schieben. Die gucken genau auf die Ausweise und dann in die Taschen. Durchsucht wird, wer keinen Hausausweis hat.

Glasflaschen müssen draußen bleiben, weil man die ja zerschlagen, als Waffe verwenden und dann den Verbrecher befreien könnte. Fotohandys werden eingezogen, weil deren Auflösung inzwischen zeitungstauglich und das Ansehen eines wegen Vergewaltigung angeklagten Familienvaters ratzfatz dahin sein kann. Computer sind gefährlich, weil sie sich ausgezeichnet als Sprengstoffversteck eignen und Mitglieder von al-Qaida, NPD und verschiedenen Mafiaorganisationen gleichermaßen Gründe nennen können, warum sie sauer auf das Gericht sind.

Kurz – die Liste der gefährlichen Dinge in harmlosen Taschen ist lang, länger als am Flughafen, und die Männer und Frauen vom Hauptportal wühlen täglich im Chaos vieler Rucksäcke, sie wissen, welche Schätze Menschen in ihren Jackentaschen befördern, und dass sie glücklich sind, wenn der Pieps ihres Detektors ein verloren geglaubtes Kellerschlüsselchen zutage fördert.

Aber irgendwann wird das langweilig. Also spielen sie Pässeraten. Sobald jemand seinen Pass nur ein klitzekleines Stück weit aus der Tasche zieht, erkennen sie an der Farbe und Pappqualität des Deckels, wo er geboren wurde. So kam es, dass einer der Wächter sich sehr freute, als jemand ein quietschgrünes Ausweispapier hervorkramte. „Kroatien!“, rief er fix. Der Papierinhaber war entsetzt: „Nein, Serbien!“ „Ach“, sagte der Justizbedienstete da, „ich wollte Sie gerade nach einem Wetttipp für den nächsten Spieltag fragen.“ MAREKE ADEN