nebensachen aus jerusalem
: Kampf der Bänder: Wie sich Orange die Vorfahrt erzwingt

Fast an jedem zweiten Auto hängt das entlarvende Zeichen: ein farbiges Stoffband, meist an die Antenne geknotet oder an den Außenspiegel, vielleicht auch beides. Knalliges Orange für die politisch Rechtsstehenden, die den israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen ablehnen, und Blau für die Befürworter. „Peace now“ will 1,2 Millionen blaue Bänder verteilt haben, doch offenbar erreichte nur ein Bruchteil die Autofahrer. Von den Kibutzim, einigen Wohnbezirken im nördlichen Tel Aviv und in Haifa abgesehen, sind die Blaubänder in der Minderheit.

Dass das so ist, hat trotz gegenteiliger Umfragen, die derzeit den Befürwortern der Evakuierung jüdischer Siedlungen eine deutliche Mehrheit geben, Sinn. Denn sich als Linker zu „outen“ kann derzeit teuer werden. Abgebrochene Antennen sind noch das kleinste Übel. Zerstochene Autoreifen und eingeschlagene Fensterscheiben zwingen die Abzugsbefürworter zum Verzicht darauf, ihre politische Einstellung zu demonstrieren. In Jerusalem auf dem blauen Band am Neuwagen zu beharren, grenzte an Fatalismus.

Es sind fast immer die Abzugsgegner, die sich von den Blaubändern provoziert fühlen und entsprechend gereizt reagieren. „Mach das (blaue) Band ab“, rufen zwei junge Frauen einer Autofahrerin zu. Sie ordnen sich, als die Ampel umspringt, hinter ihr ein und fahren so dicht auf, dass sie schließlich das Gaspedal durchdrückt, um den Unruhestifterinnen zu entkommen.

Die augenscheinliche Minderheit wird bei dichtem Straßenverkehr gern mal der Vorfahrt beraubt oder an den Rand gedrängt. Im Vorfeld des Abzugs sind die schlimmsten Verkehrsrowdys schon von weitem erkennbar. Die Orangefarbigen beherrschen das Feld mit ihren Bändern am Auto und dem aggressiven Fahrverhalten, mit knalligen T-Shirts, Armbändern, Sonnenmützen und Softeis, Geschmacksrichtung: Orange. Orangefarbenes – in welcher Form auch immer – ist ein politisches „Statement“. Wer anders denkt, hütet sich, die umstrittene Farbe aus dem Kleiderschrank zu holen. Das führte dazu, dass israelische Modedesigner in diesem Jahr komplett auf Orange verzichteten.

Es geht um ein Thema – anders als in Vorwahlkampfzeiten, in denen sich die politische Haltung allenfalls am Parteisticker festmachen lässt. Die Pro- und Kontra-Argumente in Sachen Abzug sind allen bekannt. Trotzdem wird in Verkehrsstaus durch die offenen Autofenster debattiert, kein Versuch ausgelassen, den politischen Gegner in den 1,5 Minuten bis zur nächsten Grünphase doch noch eines Besseren zu belehren. Sich dem entziehen kann nur, wer entweder ganz auf das Band verzichtet oder gleich beide ans Auto macht, was wiederum einem politischen Statement gleichkäme: Vertragt euch!

Der Bänderkampf ist ein strikt innerisraelischer. Wenn ein Palästinenser ein Band an seinem Auto befestigt, hat das eher pragmatische als ideologische Gründe. Wer seinen Wagen orangefarben schmückt, wird von den wachhabenden Soldaten an den Straßenkontrollpunkten problemlos durchgewunken.

SUSANNE KNAUL