Corona-Demos in Berlin: Auf zum letzten Gewäsch

Die Corona-Demos sind zurück. Am Wochenende wollen die Organisatoren tausende Verschwörer, Impfgegner und Rechte in Berlin auf die Straße bringen.

2 Demonstranten. Einer trägt ein "Gib Gates keine Chance"-Schild

Angst vor der großen Weltverschwörung Foto: dpa

BERLIN taz | Es könnte die größte Demonstration werden, die Berlin je gesehen hat, jedenfalls wenn man Jasmin Richter aus der offenen Telegram-Gruppe Freiheits-Chat glaubt: „Aktuell stehen wir bei rund 4,5 Millionen (!!!) Menschen, die am 1. August in Berlin für die Freiheit aller Deutschen auf die Straßen gehen!!!!!!“ Die Zahl hat Richter geprüft, durch „Kontakt mit dem Veranstalter und ausgeklügelten Computeralgorytmen (sic!)“.

Bei den tatsächlichen Veranstaltern der Proteste „gegen das wahnhafte Corona-Regime von Regierungsapparat, Pharmakonzernen, digitaler Totalkontrolle und Regierungs- und Konzernmedienherrschaft“ – der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand – ist die Hybris nur ein Neuntel so groß. 500.000 Teilnehmer haben die Verschwörungsideolog*innen für ihre zentrale Demo am Samstag angemeldet. Nach einem Auftakt am Brandenburger Tor soll es in einer Parade über die Straße des 17. Juni bis zur Siegessäule gehen.

Doch nicht nur das: Die Szene versucht Berlin an dem Wochenende regelrecht zu fluten: Allein am Samstag sind in Mitte von 10 bis 20 Uhr mindestens fünf weitere Kundgebungen angekündigt. Eine weitere Demonstration ist für Freitag vom Reichstag bis zum Rosa-Luxemburg-Platz geplant; am Sonntag sollen Kundgebungen am Brandenburger Tor und im Mauerpark folgen.

Erwartet wird das vorerst letzte Aufbäumen der Szene, die in den vergangenen Wochen schon in der Versenkung verschwunden war. Während die Corona-Maßnahmen immer weiter gelockert wurden, ließ nicht nur die Teilnahmebereitschaft für die wöchentlichen Kundgebungen nach, auch das mediale Interesse an den Verschwörungeserzählungen rings um Notstandsregime, Zwangsimpfungen oder Bill Gates' Machtübernahme war fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dennoch: Nicht wenige Menschen haben sich im Zuge der Proteste und den immer kruderen Internet-Erzählungen radikalisiert und vom demokratischen Diskurs verabschiedet.

Das Wochenende soll sie nun erstmals alle zusammenführen. Angesichts von Meldungen über Dutzende Busse, die sich allein aus Bayern und Baden-Württemberg auf den Weg machen sollen, halten kritische Beobachter*innen der Szene eine Teilnehmer*innenzahl von mehr als 10.000 nicht für ausgeschlossen.

Diffuses Spektrum

Dafür kommt alles zusammen, was das diffuse Spektrum zu bieten hat: Neben der organisierenden Berliner Kommunikationsstelle um den einstigen freien Autor Anselm Lenz und dem Stuttgarter Bündnis Querdenken, die vergleichsweise fast noch als zurechnungsfähig gelten müssen, rufen auch die deutlich rechter positionierten Corona-Rebellen oder der rechtsextreme Kochbuchautor Attila Hildmann zu den Protesten auf.

Hildmann hatte sich zuletzt in einen geradezu wahnhaften Rausch hineingesteigert, der ihm zwar viel Öffentlichkeit, aber auch zunehmend Probleme bereitete. Wegen der Gefahr, dass er seine öffentlichen Mordaufrufe, Beleidigungen und Volksverhetzungen wiederholt, war seine für vergangenen Samstag geplante Kundgebung im Lustgarten verboten worden – und auch am kommenden Samstag ist Hildmanns eigene Kundgebung verboten worden. Seine politischen Analysen gibt es derweil weiter via Telegram, etwa: „Diejenigen, die so stramm die Merkel-Sklaven-NWO-Kommunisten-Haltsmaul-Maske tragen, sollen sich bitte als Erste steriliseren lassen!“

Das bunt-braune Gemenge wird ergänzt werden durch Esoteriker*innen und Impfgegner*innen, die Berliner NPD, den Holocaust leugnenden Youtuber Nikolai Nerling und sicher auch einige AfD-Abgeordnete

Autobahn-Sperrungen?

Vom ursprünglichen Veranstaltungsort, dem Tempelhofer Feld, hatten sich die Organisator*innen verabschiedet, nachdem sie nicht schnell genug eine Zusage erhalten hatten. Entgegen ihren sonstigen Beschwörungen der diktatorischen Zustände schreibt die Kommunikationsstelle in ihrem Newsletter vom Montag: „Die Gerüchte, dass das Berliner Stadtgouvernement am Morgen des 1. August die Stadt abriegeln wolle, können wir nicht bestätigen.“ Der Kontakt mit Versammlungsbehörde und Polizei sei „korrekt“.

Aufruf Aufstehen gegen Rassismus warnt vor der Teilnahme an den Coronaprotesten: „Denn gemeinsam mit Nazis gegen Regierungspolitik zu protestieren bedeutet, ausgerechnet den Feinden der Demokratie eine Bühne und einen Vorwand für ihre Hetze zu bieten.“

1. August Das Bündnis wird gemeinsam mit dem VVN-BdA ab 10 Uhr eine Kundgebung am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma durchführen. Ein großes Bündnis demonstriert ab 12 Uhr am Monbijouplatz, die Omas gegen rechts 13 Uhr am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.

31. Juli Eine antifaschistische Demo unter dem Motto „Coronaleugnung und Faschist*innen bekämpfen“ wird vor die Zentrale der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand im Wedding ziehen. Start: 18 Uhr, S-Bhf. Wedding.

Infos: berlin-gegen-nazis.de/

Zuvor hatte unter anderen Hildmann eine Nachricht unter seinen Anhänger*innen verbreitet, dass die Regierung alle Autobahnen nach Berlin sperren will. Der Absender dieser Warnung war sich sicher, schließlich hatte er die Info „schon von 2 Seiten bekommen, intern“.

Während es sich das unübersichtliche Spektrum der Corona-Leugner*innen sowohl durch Panikmache als auch übertriebene Erwartungen in die eigene Stärke selbst schwer macht, steht ihrem Protest nichts entgegen. Ganz demokratisch also dürfen sie sich unter dem Motto „Das Ende der Pandemie. Der Tag der Freiheit“ versammeln. Schwieriger dürfte es mit der zentralen Forderung werden, dass der Bundestag spätestens am 4. August außerplanmäßig zusammentreten und Neuwahlen noch für September beschließen soll, um das „Corona-Notstandsregime“ zu beenden.

Einig wird sich das Spektrum nicht. In diversen Telegram-Gruppen wird zu einem „Sturm auf den Reichstag“ aufgerufen, während andere User verzweifelt bitten, dies zu unterlassen. Bei den Corona-Rebellen Berlin hat man Sorge, dies könnte zu einer „negativen Einordnung“ der gesamten Demo führen.

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