Leben mit Teig: Eine Welt zwischen den Fingern

Backen ist eine uralte Kulturleistung, Teig die notwendige Voraussetzung dafür. Ein Blick auf den Matsch des Lebens.

Zwei Hände kneten einen Teig

Feste zubacken, wie man in Franken sagt Foto: Mt Zsidkovits/EyeEm/Getty Images

Teig ist ein Gemisch aus allen Aggregatzuständen, eine uralte Apparatur aus mechanischer, chemischer und thermischer Energie. Teig ist Emotion. Mensch trifft auf Materie, versucht sie zu formen, erfährt Scheitern, Glück. Wer nicht schon einmal Herz oder Verstand an einen Teig verloren hat, hat nicht gelebt.

Multikulti-Gesellschaft mit köstlicher Blasenbildung

Auf Italienisch heißt er Madre, die Mutter aller Teige: der Sauerteig. Wobei er an sich erst einmal ein Gärmittel ist, so wie Hefe oder Backpulver, mit dem das Gebäck im Ofen aufgeht und fluffig wird. Der Unterschied ist: Hefe kommt aus Zuchtanstalten, Backpulver aus der Chemiefabrik, Sauerteig ist die reine Natur, ein Biotop, unzählige verschiedene Hefekulturen und andere Mikroorganismen, ein Mikrobiom, multikulti.

In Deutschland ist der Teig männlich, man nennt ihn gern Hermann. Möglich, dass das mit Arminius zusammenhängt, Hermann dem Cherusker, siegreicher Heerführer gegen die römischen Angreifer in der Varusschlacht im 1. Jahrhundert. Sauerteig wird hierzulande jedenfalls als superteutonische Sache angesehen, weil er Grundzutat für Roggen- und andere dunkelgraue Brote ist.

Aber Hermann passt schon, denn Sauerteig ist wie ein Freund. Er kann wochenlang im Kühlschrank schlafen, steht aber sofort bereit, wenn man ihn braucht. Mit ein bisschen Wärme, Wasser und Mehl erwacht in ihm ein glucksendes Leben, und nach ein paar Tagen ist er gefräßig und aktiv genug für einen richtigen Teig, ob Brot, Pizza oder Rührkuchen. Gibt man ihm 12 bis 24 Stunden Zeit, muss man nicht mal viel kneten. Die Multikulti-Gesellschaft macht sich von selber locker und elastisch. Sie bildet zwar Blasen – aber hier bitte keine Parallelen zur Social-Media-Kultur ziehen! Beim späteren Aufbrechen sind es nämlich vor allem die großen Löcher, die den Duft freisetzen. Sauerteig­blasen, die köstlichsten Bubbles, die es gibt. Jörn Kabisch

Mein Herz, abgebrannt am Topfboden

Raffinierte Backkunst offenbart sich im Brandteig. Angebrannt bin ich, seitdem uns eine Nachbarin im Urlaub vor etlicher Zeit einen Teller voller selbstgemachter Profiteroles vor die Tür stellte – kleine Teigknubbel mit einer Vanillecreme und Schokosauce. Da verbietet sich jeder Vergleich mit den Teigschluffis aus den Cafés, die ich sonst aus dem Türkeiurlaub kannte. Der Teig der Nachbarin schmeckte leicht und elegant und nach Paris, Istanbul und Rom gleichzeitig.

Bis dahin, und zwar seit ich 15 war, hatte ich einfach fertige Schokoböden aufgetürmt und bastelte mit Sahne und Kirschen ein Schwarzwälder Dingsbums. Wie wow und anders jedoch ist Brandteig: Wasser mit Butter gekocht und Mehl rühren, bis der Kloß am Kochtopfboden einer Weltkugel ähnelt. Man „brennt“ den Teig so vor. Ist er handwarm, kommen die Eier, und alles muss am Ende die Farbe von einem kitschigen Sonnenaufgang haben, denn ab da geht der Teig auf Reisen. Denn bitte, wo gibt es in Deutschland schon goldgelbe Churros, ausgebacken und mit Zucker bestreut? Dafür nach Spanien? Jetzt? Dann lieber selber backen.

Schlimmer gelüstet es nach Tulumba, den kleinen, knuffigen Verwandten der Churros, die, in Öl gebacken und in Zuckersirup getränkt, aufgetürmt in den Auslagen von Geschäften in Gässchen oder lautbunten Straßen der Levante zu bekommen sind. Beim Reinbeißen bleiben die Augen bitte fest zu. Nur so vergisst das von Fernweh gekränkte Herz für eine kurze Sekunde, dass man nicht am Meer sitzt, sondern in der heimischen Küche während einer Pandemie. Ebru Tașdemir

Der grantige, jammerlappige Familientyrann

Ob wir morgen Pizza machen wollen, fragst du. Nicht von ungefähr, denn heute geht das nicht mehr. Will der Teig die Nacht über doch ruhen, dann mehrfach geknetet werden und zwischendurch immer wieder gehen. Ein Wunder, dass ich mir nicht den Wecker in der Nacht stellen muss, um ihm ein Wiegenlied zu singen. Als Kind hatte ich ein wenig Angst vor Hefeteig. Mich beunruhigte das Unheimliche der – dem Augenschein nach – toten Materie, die sich bewegt, ausdehnt, blubbert. Später war ich genervt von der mimosenhaften Masse. Auf ­Zehenspitzen durch die Küche schleichen musste ich, ja keinen Durchzug provozieren, am besten nicht einmal laut sprechen. Manchmal habe ich den Verdacht, dass die Familie den Teig nur als Vorwand benutzte, um mich ruhigzustellen.

Ich habe selber keine Kinder. Wozu auch, ich hab ja Hefeteig: Total schlicht gestrickt ist er, dabei aber anspruchsvoll bis hin zur Jammerlappigkeit. Zart soll man mit ihm umgehen, aber gleichzeitig braucht er eine harte Hand. Schnell ist er gemacht und verlangt dann doch unendlich viel Geduld. Der Teig spürt es, wenn man nicht an ihn denkt. Wird grantig, lässt sich nur schwer ausrollen und in Form bringen. Er reißt dann aus, das undankbare Miststück. Der Vergleich mit den Kindern übrigens endete irgendwo vor ein bis drei Sätzen, liebe Eltern. Stellen Sie die Fackeln und Mistgabeln also wieder weg. Dann verrate ich Ihnen auch das Geheimnis für eine richtig gute Pizza: die Soße nämlich. Aber das ist natürlich eine gänzlich andere Geschichte. Daniél Kretschmar

Wenn die rohe, unveredelte Gier dich packt

Dass Plätzchenteig nie roh verzehrt werden soll, ist als Norm so willkürlich wie traditionsfolgsam, ebenso wie die Vorstellung, dass er in der Sommerzeit nichts verloren hat. Emblem für die Engstirnigkeit deutscher Tut-man-nicht-Kultur. Aber Kinder haben ja noch keine großen Ängste, mit unpassendem Verhalten aufzufallen. Sie nehmen eklige dicke Käfer in ihre Grapschhände und drücken zu, kreischen auf der Straße, kacken mit offener Klotür und greifen gierig nach rohem Plätzchenteig.

Dass das abscheulich ist, wird erst im Grundschulalter erlernt werden, natürlich rational unterfüttert: Hygiene (Salmonellen), Wohlbefinden (Bauchweh), Belohnungsaufschub („Warte, bis es fertig ist!“). Schamvoll verleibt man sich rohen Teig also heimlich ein. Der Glaube, dass „man ist, was man isst“, hält sich schrecklich hartnäckig, und drum macht die Lust aufs Eklige, dass man sich schämt.

Aber ist es so seltsam, Zutaten gerne in ihrem ursprünglichen, unveredelten Zustand zu erschmecken? Der Zucker kristallig, die Butter cremig-schmierig. Rohen Teig zu verschlingen – nicht zu essen, das wäre zu zivilisiert – hat etwas Archaisches und wunderbar Unerwachsenes, entzieht sich dem Diktat der Vernunft. Ähnlich wie rohes Hackfleisch fressen oder in der Nase popeln. Es geht um Befriedigung der sinnlichen Neugier, Erkundungsdrang – Wissen wollen wider besseres Wissen. Zum Glück gibt es im Kapitalismus Anreize für Unternehmen, Vorlieben zu enttabuisieren, einfach weil es einen Markt gibt. Ich empfehle die Eissorte „Cookie Dough“. Sunny Riedel

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