Die Wahrheit: Opa Kretschmann urlaubt sich eins

Die Nörgeleien des Obergrünen aus dem Südwesten, man solle gefälligst in Deutschland Urlaub machen, haben ein bitteres Geschmäckle.

Winfried Kretschmann, der Lieblingsopa des schwarz-grünen Milieus, hat zum Ferienstart in Baden-Württemberg vor Urlaubsreisen ins Ausland gewarnt. Wohlgemerkt, nicht etwa in Risikogebiete, wobei nach aller historischen Erfahrung das größte Risikogebiet ohnehin stets dort ist, wo sich viele Deutsche aufhalten. Aber Kretschmann rät generell von Reisen ins Ausland ab. Also dorthin, wo die ganzen Ausländer wohnen. Und ihre Viren.

„Ich mache es einfach nicht, weil es zu kompliziert und auch nicht angemessen ist.“ Und: „In solchen Zeiten kann man einfach im Land bleiben und muss nicht in der Welt herumreisen. Deutschland ist ein ausgesprochen schönes Land mit vielen unentdeckten Regionen.“ Weshalb er im Bayerischen Wald zu wandern gedenke.

Sicherlich, Deutschland ist ein schönes Land. Zumindest im Vergleich zur Venus, zum Pluto oder zur Hölle. Auch im Staatenranking ist ein Platz unter den ersten 194 sicher.

Unverantwortlich benehmen kann man sich im Ausland ebenso wie daheim. Partyurlaub ist in Berlin so fehl am Platz wie auf Ibiza. Doch reicht ein kurzer Blick auf die Nachrichtenlage, auf Schließung von Nordseebädern, überfüllte Ostseestrände, ausgebuchte Quartiere im Bayerischen Wald, wo sich die kretschmannfidelen Wandersleut gegenseitig vom Gipfelkreuz schubsen, um zu wissen, wer sich in den Ferien einem höheren Risiko ausgesetzt hat als wir Auslandsreisende, die wir über die menschenleere Akropolis schlenderten, Herbergsvätern in verwaisten thessalischen Pensionen Trost und Einnahmen zukommen ließen oder mit reichlich Abstand zum nächsten Tisch im Hafencafé am Mittelmeer saßen.

Während Kretschmann Urlaub im Ausland zu kompliziert findet, muss man sich an Nord- und Ostsee von Strandticker-Ampeln zu den letzten freien Quadratmetern leiten lassen, auf die man sein Handtuch legen darf, und wer in Berlin ins Freibad will, klickt sich durch ein irres Vorverkaufs-Zeitfenster-System für die Zugangsberechtigung zu zwei Stunden Einbahnschwimmen.

Hinzu kommt der unangenehme nationale Zungenschlag, der die Debatte durchzieht – als wäre Nationalismus nicht ein mindestens ebenso gefährliches Virus wie Corona. Vor allem: Um es in diesem Land mit seinen Kretschmännern und Maskengegnern, Bild-Redakteuren und AfD-Rassisten und all den anderen Irren auszuhalten, muss man es gelegentlich für einige Zeit verlassen, sonst dreht man durch oder wird so doof wie Attila Hildmann.

Selbstverständlich gibt es auch im Ausland Bekloppte, aber dort verstehe ich sie wenigstens nicht, und was die griechischen Kretschmänner verlautbaren, werde ich dankenswerterweise niemals erfahren.

Nur in einem Punkt stimme ich dem grünen Mümmelgreis dann aber doch zu. Er legt uns noch einmal ans Herz, die Abstandsregeln zu befolgen. Mir erscheinen 2.000 Kilometer zu ihm als angemessen.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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