200 Gramm Pferdesalami, bitte

ESSEN Norbert Hansel, auch Schlemmer- Hansel genannt, verkauft Pferdefleisch. Je älter das Tier, desto zarter ist sein Fleisch

Große Stücke für Sauerbraten, der nach traditioneller rheinischer Art mit Pferd zubereitet wird, hat Hansel natürlich auch

VON JÖRN KABISCH

Am Morgen hat wieder jemand im Vorbeigehen „Pferdemörder“ gesagt. Norbert Hansel erlebt das öfter. Einmal hat er sogar Drohungen von Tierschützern bekommen und Polizeischutz angefordert. Es erklärt vielleicht, warum auf der Rückseite von Hansels rollendem Metzgerstand kein süßes Fohlen den Kunden entgegenlächelt, sondern ein niedliches Schweinchen.

Doch es ist so: Hansel verkauft Pferdefleisch. Man kann das essen. Es ist sogar sehr schmackhaft. Aber es gibt nicht mehr viele Menschen, die das so empfinden. Ihre Vorliebe reicht für etwa hundert Betriebe in ganz Deutschland, die Pferdefleisch verkaufen. Und Norbert Hansel, auch Schlemmer-Hansel genannt, ist einer von ihnen. Seit über zwanzig Jahren. Salami, Schinken, Buletten und Bratwurst türmen sich in seiner Auslage. Auch Gulasch und Roulade hat er im Angebot. Alles vom Pferd. Wenn er mit seinem Verkaufswagen nicht auf dem Markt in der Spandauer Altstadt steht, findet man ihn am anderen Ende von Berlin, in Hellersdorf oder auf einem der vielen Stadtfeste in Brandenburg.

In Sachen Pferdefleisch ist dieser Mann, der schon das Rentenalter erreicht hat, so etwas wie ein Hans Dampf im Osten Deutschlands. Aber ist er auch ein Pferdefleisch-Prediger? Der Mann mit dem ergrauten Seemannsbart hat ein Mundwerk wie ein Marktschreier. Viel Aufhebens um seine Spezialität macht er jedoch nicht.

Dabei könnten die Deutschen jemand brauchen, der ihnen das Pferd anpreist. Anders als die Franzosen oder die Italiener. Die essen das Fleisch seit Jahrzehnten mit großem Appetit. Also Fleisch von freilaufenden Tieren, die nicht gemästet wurden, die nicht aus der Massenhaltung kommen, die artgerecht und über die „Schlachtreife“ hinaus leben dürfen, die nicht darauf gezüchtet sind, viel Fleisch zu liefern.

Doch während zum Beispiel die Italiener im Jahr durchschnittlich 900 Gramm Pferdefleisch essen, kommen die Deutschen auf 50 Gramm, das ist etwa ein Wiener Würstchen. Seit Jahren ändert sich das nicht, außer es erschüttert mal wieder ein Fleischskandal die Republik . „Zu BSE-Zeiten haben wir natürlich ein gutes Geschäft gemacht“, sagt Hansel. Und heute?

Ganze 2.500 Tonnen Fleisch wurden 2010 verkauft, damit kommt den Deutschen lieber noch ein Straußensteak auf den Tisch als ein Pferdegulasch. Nur die Amerikaner mögen das Fleisch noch weniger. Dabei gehört es zu den ältesten Nahrungsmitteln der Menschen. In eiszeitlichen Höhlenmalereien wird das Pferd als beliebtes Beutetier dargestellt. Auch nach seiner Domestizierung und Verwendung zum Transport verlor das Pferd seine Bedeutung als Fleischlieferant nicht. Viele antike Völker, darunter die Perser, Griechen und Römer aßen Pferdefleisch. Und nicht nur im Süden Europas wurden Opferkulte um das Tier entwickelt, auch Kelten und Germanen feierten rituelle Schlachtfeste.

Der katholischen Kirche waren diese Bräuche, die teils orgiastische Ausmaße annahmen, ein Dorn im Auge. 732 erließ Papst Gregor III. ein Verbot, Pferdefleisch zu essen. Außer in Island setzte sich das Speisetabu mit der Christianisierung allmählich in ganz Europa durch. Pferd kam nur bei den Armen auf den Tisch oder zu Mangelzeiten wie im Krieg. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde das Verbot wieder hinterfragt. Bald darauf öffneten die ersten Rossschlächtereien. Allerdings durfte Pferd bis weit in die siebziger Jahre hinein nicht mit anderem Fleisch zusammen angeboten werden. Dass Pferdefleisch immer wieder für Rind oder Ziege ausgegeben wurde, nährte die Skepsis. Die Skrupel haben sich bis heute wahrscheinlich noch verstärkt. Kaum jemand kennt noch das Pferd als Nutztier, es ist ein Statussymbol geworden, Sportsfreund und Familienmitglied oder Kinderersatz. Es ist wie mit Hund und Katze. Haus- und Streicheltiere können wir nicht essen, weil sich das wie Verrat, für manchen sogar wie Kannibalismus anfühlt, sagen Psychologen.

Wie Barbaren sehen die Kunden am Stand von Norbert Hansel allerdings nicht aus. Es ist vor allem die ältere Generation, die hier steht. „Menschen, die Pferd noch von früher kennen“, sagt Hansel. „Und natürlich auch ein paar gesundheitsbewusste.“ Im Vergleich zu Rind oder Schwein ist Pferdefleisch mager und kalorienarm. Es enthält außerdem weniger Cholesterin sowie mehr Eiweiß und gilt deshalb bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen als förderlich. Das kann man auch auf einem Flyer nachlesen, den Hansel an seinem Stand liegen hat. Und er erzählt, oft griffen auch Menschen mit Lebensmittelallergien zu Pferdefleisch. Es ist Rindfleisch sehr ähnlich. Manchen liegt es etwas süß auf der Zunge, andere erinnert es, weil es sehr mürbe sein kann, eher an Wild. Natürlich isst auch Hansel selbst gern Pferd, er meint, „das Sättigungsgefühl ist nach einem Gulasch vom Pferd besser als nach einem vom Rind“.

In der Auslage liegen vor allem Wurst und Aufschnitt. Gulasch, Steaks und große Stücke für Sauerbraten, der nach ganz traditioneller rheinischer Art mit Pferd zubereitet wird, hat Hansel natürlich auch. Aber das Fleisch lagert im Kühlschrank, in Plastiktüten vakuumiert. „Es dunkelt sehr schnell“, erklärt er und nimmt einen Packen mit Gulaschfleisch, das fast so ein tiefes Rotbraun hat wie Hirsch. „Wenn ich es offen anbiete, ist es heute Abend fast schwarz. Obwohl immer noch gut, kauft das keiner mehr.“

Für den gelernten Metzger ist auch das immer geringere Wissen um Herkunft und Produktion von Fleisch und Tierhaltung der Grund, warum Pferdefleisch nur eine kleine Nische besetzt. 40 Jahre ist seine Lehre her, Hansel kommt aus einer alten Hamburger Metzgersfamilie. Ende der achtziger Jahre machte sich der Hanseat nach Berlin auf, er wollte im Osten noch einmal einen Neuanfang starten. Seitdem ist er „ambulant“ unterwegs, wie er sagt. Das Pferdefleisch habe er ins Programm genommen, weil er sich damit von der Konkurrenz unterscheiden konnte. Er hat sich damit eine kleine, feste Kundschaft aufgebaut. Er wirkt damit zufrieden. Er weiß um seine Qualitäten. „Es gibt schon einige, die haben mein Gesabbel ganz gern“, sagt er. Und schlägt dann einem Mann, der eben seine Pferdebockwurst in den Senf stippt, hart auf die Schulter. „Na, Willi.“