Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg: Fehler im System

Ein dysfunktionaler Kongress politisiert das Oberste Gericht immer mehr. Das ist undemokratisch und untergräbt das Vertrauen in die Justiz.

Menschen mit US-Flagge vor dem Supreme Court

Washington fordern Menschen vor dem Supreme Court eine Neubesetzung erst nach den Wahlen Foto: J. Scott Applewhite/ap

Der Tod der obersten US-Richterin Ruth Bader Ginsburg so kurz vor der Präsidentschaftswahl am 3. November hat einen politischen Konflikt ohnegleichen ausgelöst. Der ohnehin schon vollzogene Rechtsruck des obersten Gerichtshofs könnte mit einer weiteren Ernennung auf Jahrzehnte zementiert werden – die Demokrat*innen wollen das um jeden Preis verhindern.

Dabei ist die Einteilung der Richter*innen in „konservativ“ und „liberal“ politisch zwar nicht unzutreffend, er suggeriert allerdings klare parteipolitische Loyalitäten. Das stimmt so aber nur zum Teil.

Denn im Kern sind es zwei Rechtsschulen, die da aufeinandertreffen: Die eine, die „liberale“, geht davon aus, dass die Verfassung ein Rahmen ist, der angesichts gesellschaftlicher Weiterentwicklungen im Konkreten immer neuer Auslegung bedarf. Die andere, die „konservative“ Linie, gibt vor, die Verfassung stets im Sinne der Gründerväter zu interpretieren – alles andere sei der Versuch, von der Richterbank aus Politik zu machen.

Dabei sind es in Wirklichkeit Letztere, die die Gerichte politisieren. Indem sie sich in der Federalist Society organisiert haben und klare Vorschlagslisten für republikanische Nominierungen ausarbeiten, haben sie erst die politische Lagerbildung unter Jurist*innen geschaffen, die sie angeblich kritisieren.

Dennoch liegt das Problem eigentlich woanders. Die Ausgestaltung einer Verfassungswirklichkeit durch das Beschließen allgemeiner Regeln, also Gesetzen, obliegt eigentlich nicht den Gerichten, sondern der Legislative. Die aber ist in den USA schon seit vielen Jahren gelähmt, weil sich nur noch in Ausnahmesituationen beide Kammern des Kongresses und der Präsident auf irgendetwas einigen können.

So regieren Präsidenten zunehmend mit Dekreten – und es liegt an den Gerichten, das zuzulassen oder zu stoppen. Gesetze einzelner Bundesstaaten landen vor dem obersten Gerichtshof – und dessen Entscheidung hat dann Auswirkungen auf das ganze Land, ohne dass der Kongress je entschieden hat. Je dysfunktionaler die Legislative, desto politisierter die Judikative. Solange das so ist, wird um Richternominierungen gekämpft werden, als gäbe es kein Morgen. Das ist wenig demokratisch und untergräbt letztlich auch das Vertrauen in eine unabhängige Justiz – aber in diesem System unausweichlich.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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