Ein Jahr nach dem Anschlag in Halle: Länder schützen Synagogen besser

Knapp ein Jahr ist vergangen seit dem antisemitischen Anschlag in Halle. Heute fließt mehr Geld zum Schutz jüdischer Einrichtungen. Aber reicht das?

Eine Gruppe von Polizisten steht auf einer Straße

10. Oktober 2019: Polizisten vor der Neuen Synagoge in Berlin Foto: Christian Mang/reuters

BERLIN taz | Vor einem Jahr war Naomi Henkel-Gümbel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in der Synogoge in Halle, als ein Rechtsextremer versuchte, das Gebäude zu stürmen. Henkel-Gümbel war in Halle zu Gast, eigentlich lebt sie in Berlin. Hier fühle sie sich ziemlich sicher, sagt sie, aber die Stadt sei eine Ausnahme. Gerade kleinen jüdischen Gemeinden fehle oft das Geld für wirksamen Schutz ihrer Einrichtungen.

Henkel-Gümbel, die auch Nebenklägerin im Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle ist, sitzt in der Neuen Synagoge in Berlin, der Mediendienst hat zum Pressegespräch geladen. „Ein Jahr nach Halle: Wie gut werden Synagogen geschützt?“, lautet die Frage, die besprochen werden soll.

Der Mediendienst hat dafür in allen Bundesländern nachgefragt, was sie seit dem Anschlag verändert haben. Das Ergebnis: In fast allen Bundesländern würden jüdische Einrichtungen stärker bewacht. Außerdem hätten fast alle Länder zusätzliche Mittel bereit gestellt, um Synagogen, Kitas oder Schulen besser zu schützen – etwa mit schusssicherern Türen, Zäunen oder Schleusen am Einlass. Bayern hat acht Millionen, Hessen vier, Sachsen-Anhalt 2,4 Millionen Euro dafür zugesagt. Hinzu kommen 22 Millionen vom Bund.

Der Lackmustest sei, ob wirklich gebaut wird, sagt Ronen Steinke, Jurist und Journalist, dessen Buch „Terror gegen Juden“ gerade erschienen ist. Viel zu lange seien die Jüdischen Gemeinden bei der Umsetzung der Sicherheitsempfehlungen der Polizei auf sich selbst gestellt gewesen, auch müssten manche Gemeinden bis zu 50 Prozent der Kosten selber tragen. In die Synagoge in Halle sei vor dem Anschlag kein einziger Euro aus Steuermitteln für den Schutz des Gebäudes geflossen, so Steinke. „Das war sehr klar ein Versagen des Staates.“

Ein doppeltes Dunkelfeld

„Gefahrenabwehr ist Aufgabe des Staates“, betonte der Autor. Deshalb müsse die Polizei sich in der Pflicht sehen, dieser Gefahr zu begegnen. Weniger als eine hundertprozentige Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen sei nicht akzeptabel. „Wenn wir das nicht sicherstellen, ist das Recht auf Religionsausübung nicht viel wert.“

„Der Schutz jüdischer Gemeinden ist besser geworden, aber er ist noch nicht flächendeckend gut“, räumte Jürgen Peter, Vizechef des Bundeskriminalamts ein. Auch sei „sehr viel mehr Dialog“ zwischen den jüdischen Gemeinden und der Polizei nötig. 2023 antisemtische Straftaten haben die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr festgestellt, die meisten seien rechts motiviert, so Peter. „Mehr als fünf Straftaten pro Tag, das ist unerträglich.“ Hinzu komme ein doppeltes Dunkelfeld: Die Polizei erkenne antisemitische Straftaten nicht als solche – oder sie die Taten würden erst garnicht angezeigt.

Das bestätigte Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin. Oft würden Vorfälle von der Polizei etwa nur als Körperverletzung aufgenommen, nicht aber der antisemitische Hintergrund einer Tat. Zudem würde laut einer EU-Studie nur jede fünfte antisemitische Straftat gemeldet.

Steinke betonte, wie „pervers“ die Situation sei, dass jüdische Einrichtungen bewacht werden müssen und sprach von einem Belagerungszustand. „Damit wir zur Schule oder zum Gottesdienst gehen können, stehen Polizisten vor der Tür.“

Henkel-Gümbel – die Überlebende des Halle-Anschlags, hatte in der vergangenheit auch das Verhalten der Polizei nach dem Anschlag und die Ermittlungen scharf kritisiert. Am Dienstag betonte sie aber, dass Deutschland trotz allem das Land sei, in dem sie sich auch in Zukunft weiter leben sehe. „Ich kann die Leute hier doch nicht allein lassen“, sagte die angehende Rabbinerin. Man dürfe den rechtsextremen Ideologien keinen Platz lassen und müsse solidarisch sein. „Ich muss meinen Teil beitragen.“

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

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