Kunsttips der Woche: Radikale Aneignung

Gleich drei Varianten von Appropriation Art werden derzeit ausgestellt, angefangen bei der postmodernen Ikonoklastin schlechthin, Elaine Sturtevant.

Eine Fotoinstallation von Viktoria Binschok, die Bilder aus dem Internet zeigt, zum Beispiel Haare und Nudeln

Viktoria Binschtok, „NOT UNTIL TOMORROW“, Ausstellungsansicht Foto: Courtesy Klemm's

Bei Société, am neuen Standort in der Wielandstraße: nichts als die Flowers von Andy Warhol. Stimmt aber nicht. Zu sehen sind nichts als die Flowers von Andy Warhol wiederholt von Elaine Sturtevant (1924-2014). Die radikale Ikonoklastin stellte die Bilder nicht dadurch in Frage, dass sie sie zerstörte, sondern dass sie sie noch einmal malte. Die Bilder ihrer männlichen Kollegen.

Denn nur die hatten ja das Zeug, zu Ikonen zeitgenössischer Kunst zu werden, so wie der Kunstmarkt, die Meisterschülerklassen an der Akademie und das kunsthistorische Seminar gestrickt sind. Erst recht in den 1960er Jahren als die 40jährige begann parallel zu den Künstlern, die an neuen Werken arbeiteten, diese Werke zu kopieren. Warhols Flowers sind die frühesten Arbeiten in Sturtevants Oeuvre, der Pop-Künstler stellte ihr dafür seinen eigenen Siebe zur Verfügung. Vielleicht nur wegen des Witzes, dass er immer, wenn er gefragt wurde, wie er seine Siebdrucke herstelle, sagen konnte: „Frag Elaine“.

Die bewies einen unwahrscheinlichen Instinkt für ihre Wiederholungen Künstler aufzuspüren, die Zukunftsweisendes entwickelten. Und sie bewies Hartnäckigkeit. Hielt an ihrem Konzept fest, trotz der Ablehnung, die ihr entgegen schlug. Schließlich war sie ja auch erfolgreich in ihrer Absicht, mit ihren Werken einen intellektuellen Schock auszulösen. Mit ihr trat die Postmoderne ins Atelier der Künstlergenies. Längst ist ihr Werk – Appropriation Art avant la lettre – ikonisch.

Networked Images

Es sei eine besondere Zeit, sagt Viktoria Binschtok im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Dieter Daniels, bei dem sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert hat, über die Zeit der Pandemie, in der wir feststecken: „Digitale Räume werden für die Kommunikation umso wichtiger. Eigentlich die beste Zeit, um den vernetzten Austausch von Bildern zu reflektieren“. Eine gute Zeit also für einen Besuch in der Galerie Klemm’s, wo die Künstlerin ihre Fotoinstallation „Not until Tomorrow“ zeigt, die von den Networked Images handelt.

Société, Mo.–Sa. 10–18 Uhr, bis 12. Dezember, Wielandstr. 26,

Klemm's, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 19. Dezember, Prinzessinnenstr. 29

Miettinen Collection, Mi.–Sa. 12–18 Uhr, 02. bis 19. Dezember, Marburger Str. 3., Temporary Showroom, 1. OG, Zugang über Galerie Robert Grunenberg

Zu sehen sind Bilder in der Form des Diptychons. Gleich beim Eintreten etwa begegnet man dem Bild der Nudelmaschine mit den frisch geschnittenen blonden Spaghetti, die in die blonden Haare einer jungen Frau münden. Zustande kommt das Paar über die Bildsuche bei Google. Anhand eines Ausgangsbilds sucht der Algorithmus ähnliche Motive, allerdings nach rein optischen Kriterien. Er produziert wie Binschtok sagt, „ungefähr das Gegenteil von Aby Warburgs Mnemosyne Bilderatlas“, nämlich Vergleiche des Unvergleichlichen, blonde Nudeln und blondes Haar.

Während die klassische Appropriation Art der später 1980er und -90er Jahre mit der Verschiebung des kulturellen und sozialen Kontexts der Bilder arbeitete, sieht Binschtok in ihren Networked Images eine Aneignung nichtmenschlichen Sehens zur Produktion außerkultureller Analogien. Was freilich nur solange funktioniert, solange kein Rezipient im Raum ist. Die Rezipientin kulturalisiert die Diptychen gewissermaßen automatisch. Sonst würde ihr die Begegnung des gelben Porsche mit der gelben Farbbandrolle nicht soviel Vergnügen machen.

Badewannenbilder

Auch eine Art Appropriation Art: Der Blick von oben auf den in der Badewanne liegenden Mann. Wie ihn Alexander Basil in seiner ersten, von der Künstlerin Kirsi Mikkola kuratierten, Einzelausstellung in der Miettinen Collection zeigt. Noch liegt sein Alter ego rosig nackt in der Wanne. Doch dann wird man des elektrischen Föns gewahr, der wohl ins Wasser fallen wird – und das Bild verdüstert sich.

Selbstverständlich ruft das Setting das Bild von Uwe Barschel auf, wie er tot in der Badewanne seines Zimmers 317 im Genfer Hotel Beau Rivage aufgefunden wurde. Und es ruft das Reenactment des Bildes durch Thomas Demand auf, bei dem die Wanne freilich leer ist. Ob Alexander Basil sein Sprechen über Bilder in Bildern so konkret verankert hat, ist fraglich. Denn mit 23 Jahren ist er zu jung, damit ihm das Barschelfoto ein Begriff wäre.

Alexander Basli, o.T., 2020 Foto: Courtesy Miettinen Collection

In jedem Fall aber hat der junge Künstler einen enormen Instinkt, zu dem auch der für die Ironie einer Situation zählt. In einem anderen Badewannenbild, das nicht ausgestellt ist, hat der rosige Held eine herzförmige rosafarbene Lolita-Sonnenbrille in der Hand: Die Badewanne ist eben ein gefährlicher Ort. Und neben dem Instinkt für das Motiv besitzt der junge Künstler eine stupende Technik.

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Grundlage seiner komplexen Kompositionen ist die Zeichnung, die ihm die rhythmischen, klaren Umrisslinien seiner Farbflächen gibt, die mit dünnflüssiger Ölfarbe extrem flach auf die Leinwand aufgetragen sind. Obwohl Basils Malerei nicht unähnlich Demands Fotografie sehr stark die Zweidimensionalität des Bildes betont, haben seine Protagonisten trotz ihrer formalisierten Augen ungeheuer lebendige Augen. Alexander Basil kann jederzeit einen weinenden Mann in Großaufnahme malen. Denn wirklich, die Ikone weint.

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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