Weihnachten mit Corona: Feiern oder verschieben?

Viele hängen gerade jetzt an der Idee vom Weihnachtsfest, wie sie es kennen. Ein Pro und Contra

Eine Mund-Nasenschutz-Maske hängt an einem geschmückten Weihnachtsbaum.

Weihnachten ist Besinnlichkeit – und möglicherweise ein Superspreader-Event Foto: MiS/imago

Noch einen Monat bis Heiligabend. Auch was das Weihnachtsfest angeht, ließe sich umplanen, neu denken, anders machen – wie bei fast allem im Jahr 2020. Aber viele hängen am Fest, so wie sie es kennen. Wir diskutieren: Sollte das Weihnachtsfest unverhandelbar bleiben?

Lasst uns feiern, sagt Ambros Waibel

Eigentlich ist Weihnachten ja nichts anders als ein Lockdown. Die Geschäfte sind zu, die Museen an den Feiertagen auch, Familien schließen sich ein, um zueinanderzukommen, was immer dann dabei herauskommen mag. Renitente Singles und andere Weihnachtsmuffel nutzen die Zeit für den Großputz oder die Sichtung der harten Alkoholika, die sich so das Jahr über angesammelt haben. Das ist nicht abwertend gemeint, ich habe das auch schon so gemacht.

Mittelalte Menschen werden an Weihnachten auch gern mal melancholisch und traditionell, gehen in die Christmette und finden, dass ihre Kinder unbedingt am Krippenspiel teilnehmen müssen. Viele alte Menschen, die ich kenne, haben für den ganzen Aufwand keine Lust und keine Kraft mehr und sind ganz zufrieden, wenn die Enkel anrufen und ein Liedlein durch den Hörer quäken. Ich denke, alle machen aus Weihnachten halt das Beste, das Wichtige ist das „halt“: Keine Zeitungen werden konsumiert oder produziert – sehr wichtiger Punkt –, die Außenwelt bleibt mal draußen und neben genug Ente, Edeltofu und Plätzchen ist auch genug Klopapier da.

Weihnachten abzusagen wäre grausam. Auf Facebook habe ich aus Italien den Spruch gefunden: „45-jährige Frau: ‚Dieses Weihnachten wird schwierig.‘ Francesco, 89: ‚1944 war schlimmer‘“. Da ist natürlich was dran. Aber es ist halt nicht 1944, trotz der vielen Hundert Toten täglich. Das Virus ist nicht der Nazi, der anderen Menschen ihr Lebensrecht abspricht. Das Virus gehört zu der Kategorie des Existierenden, mit dem wir Menschen leben müssen, an das wir uns anpassen können.

„Das schlechteste Weihnachten ist immer noch besser als keines“

Wer sich etwa an Weihnachten immer schon emanzipieren wollte vom seit Jahrzehnten eingespielten Ablauf, der hat nun Gelegenheit dazu, seine eigenen Rituale zu etablieren. Wenn Weihnachten für viele die Zeit ist, wo wir die Computer unserer Eltern vom sich übers Jahr angesammelten Müll säubern, dann begibt es sich eben 2020, dass Ausreden nicht mehr gelten und sich die verbliebenen analogen Älteren selbst mit der digitalen Überlebenstechnik vertraut machen müssen.

Doch das schlechteste, traurigste, einsamste Weihnachten ist immer noch besser als gar keines. Denn die trotzige Entscheidung, Weihnachten bewusst zu ignorieren, fußt auf der unbedingten Haltung der vielen, es keineswegs ausfallen zu lassen: Der säkularisierte Weihnachtsverweigerer lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Die Details regelt dann eben die Politik.

Es ist klar, dass die moralische Latte immer die sein muss, die Schwächsten zu schützen. Es ist klar, dass diese Latte gerissen worden ist, wenn, wie Lehrerinnen mir erzählen, für eine gesamte Schule drei CO2-Messgeräte zur Verfügung stehen. Und jeder hat eigene, schlimmere Beispiele, was die politischen Zumutungen, was die – längst drängende, aber in der Pandemie verschärfte – Verteilungsfrage angeht. Aber nun das für Kinder zentrale Fest zu kippen, ist fantasielos. Wenn in ein paar Jahren Halloween dem Christkind endgültig den Rang abgelaufen haben wird, dann können wir gern nochmal reden.

Lasst uns verschieben, sagt Tobias Schulze

Es stimmt schon: Beschränkte Weihnachten sind eine Zumutung. Die Feiertage am Ende des Jahres haben für viele Menschen einen hohen Wert, vor allem für diejenigen, die Familie und Verwandte nicht im Alltag um sich haben. Das Zusammenkommen zu Weihnachten ist ein Ritual, im Grunde unverrückbar, und damit im Seuchenjahr 2020 eigentlich noch wertvoller als zu Normalzeiten. Mal alle Abgeklärtheit zur Seite: Ein paar Tage zum Durchatmen nach Pandemiemonaten voll Stress, Sorge und Einsamkeit – das wäre schön. Und trotzdem falsch.

Das Virus macht an Sonn- und Feiertagen schließlich keine Pause. Wenn die MinisterpräsidentInnen für die Weihnachtstage tatsächlich die Kontaktbeschränkungen lockern, wenn Zehntausende unentdeckt Infizierte durchs Land reisen und sich zur Verwandtschaft ins Wohnzimmer setzen, könnten die Festtage zum Super-Spreader-Event schlechthin werden. Das wäre tragisch für alle, die sich während der Bescherung anstecken und spätestens zu Dreikönig auf der Intensivstation liegen. Und es wäre ungerecht für eine große andere Gruppe.

„Wie wäre es stattdessen mit einem zusätzlichen Feiertag für das Jahr 2021?“

Für all diejenigen nämlich, für die Weihnachten viel weniger Bedeutung hat und die sich bei anderen, für sie wichtigen Anlässen einschränken, um die Infektionszahlen zu senken. Der Rentner ohne Familie zum Beispiel, der sonntags seit Wochen nicht am Sportplatz stehen kann, obwohl der Fußballverein eigentlich sein zentraler sozialer Treffpunkt ist. Der urbane Single, der Entspannung und Gesellschaft eigentlich in der Clubszene findet, aber noch auf Monate nicht legal feiern darf. Das junge Paar aus der türkischen Community, das noch nie Weihnachten gefeiert hat, aber in diesem Jahr eigentlich groß heiraten wollte. Nicht nur, dass all sie von Weihnachtslockerungen nichts haben. Sie werden schlimmstenfalls sogar unter den Folgen leiden, wenn die dritte Welle im Januar umso heftigere Einschränkungen erfordert oder auf Umwegen ihnen selbst das Virus beschert.

Eine Zumutung für die einen steht somit gegen eine Zumutung für die anderen. Ein Dilemma, auf das die falscheste Antwort ein Schulterzucken ist, ein „Stellt euch nicht so an“ zur einen Seite oder zur anderen.

Aber wie wäre es denn damit: Bund und Länder rufen nach ihrer nächsten Coronakonferenz dazu auf, Weihnachten nur im kleinsten Kreis zu feiern. Sie halten die Kontaktbeschränkungen auch über die Festtage aufrecht. Dafür bringen sie aber einen einmaligen gesetzlichen Feiertag für das Jahr 2021 auf den Weg, vielleicht für den 21. Mai, den Freitag vor Pfingsten. Weihnachten wäre in diesem Fall für viele Menschen einsam, das stimmt.

Aber dazu käme ein bisschen Hoffnung, eine tröstende Aussicht auf ein langes Wochenende in einem halben Jahr, wenn die Großeltern geimpft, die Temperaturen gestiegen und die Infektionszahlen gesunken sind. Ganz unzynisch: Dann kann jeder nachholen, was er will. Das Familientreffen mit Baum oder ohne, das Fußballspiel oder die drei Tage im Club. Und wenn es denn sein muss: sogar mit Böllern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.