Die Wahrheit: Heilands Handyhülle

Lebenslänglich Bayer: Ein Weihnacht in Bayern findet unbedingt auf knirschendem Schnee und unter allerlei traditionellen Umständen statt.

Mit den Seinen sein. Die Liebsten bescheren. Den Heiland besingen. Das mag man anderswo ebenso handhaben. Doch Weihnachten in Bayern ist anders, ist mehr als das. Der eine oder die andere mag sich gewundert haben über die familienbesoffene Weihnachtshuberei von Ministerpräsident Markus Söder in diesem Coronajahr. Sie wissen nicht, wovon sie reden.

Jenes Geräusch, das entsteht, wenn die Stiefel auf die von Eis und Schnee nur notdürftig befreiten Wege treffen, ist die Hintergrundmusik des Weihnachtsfests in Bayern. Wenn sich die Männer, Frauen, Buben und Mädchen auf den Weg machen zum Baum des Familienoberhaupts, dann wissen sie, dass ein harter Weg durch frostige Landschaften, durch tief verschneite Wälder mit Bäumen so hoch wie Kirchtürme und über Berge, deren steinerne Gipfel den Himmel berühren, vor ihnen liegt. Die Hirsche und Rehe, die ihnen auf dem weihnachtlichen Weg zur Familienheimstatt begegnen, sind lieb gewordene Begleiter auf dem harten Marsch zu Heilands Ehren.

Nur manchmal können sie sich stärken, wenn ihr Weg sie an einem der beschaulichen Weihnachtsmärkte des Landes vorbeiführt, an denen sie sich eindecken können mit den wichtigsten Dingen des täglichen Bedarfs: einer mundgeschnitzten Krippe, einer schmuckvoll gestalteten Schutzhülle für ein Mobiltelefon oder einfach nur einem emaillierten Metallschild mit dem anmutigen Antlitz des unvergessenen Märchenkönigs Ludwig II.

Derart gestärkt machen sich die Bayern, die so schöne Namen tragen wie Joseph, Franz, Xaver, Franz-Xaver oder Ignaz und Fanny, Kreszentia, Marie oder Philomena auf den Weg zum Familienchristbaum, dessen ausladende Zweige mit fernsteuerbaren Kerzen aus echtem Bienenwachs für jene Atmosphäre sorgen, die selbst dem nüchternsten Menschen Tränen der Rührung in die Augen treiben.

Alsbald greift die Familie gestärkt von Lebkuchen aus der Heimatstadt ihres Regenten zu Zither, Harfe, Hackbrett und Alphorn und begleitet den glockenreinen Gesang der Kinder im Haus, dass es eine wahre Freude ist. Und wenn dann der kleine Quirin mit süßlicher Stimme die ersten Strophen von Ludwig Thomas „Heiliger Nacht“ vorträgt, wer würde da nicht selig lächelnd darüber hinwegsehen, dass dieser bayerische Nationaldichter ein verbohrter Antisemit gewesen ist.

Später am Abend werden dann wieder die Stiefel geschnürt, denn der Weg zur Christmette steht an. Ein mildes Lächeln der Vorfreude liegt dann auf den Gesichtern der Bayern, die ein ganzes Jahr gewartet haben auf diesen Abend, an dem der Pfarrer vor ihrer aller Augen den Leib des eben geborenen Heilands zum Verzehr freigibt. Nein, wer all das nie erlebt hat, dem steht ein Urteil über die bayerische Weihnachtshuberei nun wahrlich nicht zu. Darauf eine Mass Messbier!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.