Schäubles Horrorliste

ÜBERWACHUNG Im Innenministerium werden bereits für die Zeit nach der Wahl eine Reihe von schärferen Gesetzen geplant. Die Liste liest sich wie der Entwurf eines Koalitionsvertrags

„Schäuble steuert nimmersatt Richtung Überwachungsstaat“

CHRISTIAN STRÖBELE, GRÜNE

AUS BERLIN CHRISTIAN RATH

Mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz, mehr Befugnisse für die Polizei, Verschärfung des Strafrechts. Die Linie des Papiers, das der taz vorliegt, ist eindeutig. Zwei Tage vor der Wahl wurde durch eine Indiskretion bekannt, wie man sich im Bundesinnenministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) die Politik der nächsten vier Jahre vorstellt. Schäuble sagt, er kenne die Liste nicht.

Seine Kritiker nehmen ihm das nicht ab. „Schäuble hat jedes Maß verloren“, quittierte der SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann, „Schäuble steuert nimmersatt Richtung Überwachungsstaat“, erklärte Christian Ströbele (Grüne), „Schäuble hat jede rechtsstaatliche Hemmung verloren“, sagte Wolfgang Neskovic (Linke).

Auf sechs Seiten ist aufgelistet, wie der Sicherheitsstaat perfektioniert werden könnte. So soll der Verfassungsschutz künftig auch heimlich Computer durchsuchen und Kameras in Wohnungen anbringen dürfen. Er soll auf die „vorsorglich gespeicherten“ Telefon- und Mail-Verbindungsdaten sowie die Kontostammdaten zugreifen können. Bei der Terrorismusbekämpfung soll das Bundesamt für Verfassungsschutz zulasten der Landesämter gestärkt werden. Außerdem soll der Inlandsgeheimdienst künftig auch die organisierte Kriminalität beobachten. Das war bisher alleinige Aufgabe der Polizei.

Das Bundeskriminalamt (BKA) soll zur Vorbereitung von Online-Durchsuchungen künftig in Wohnungen einbrechen dürfen. Außerdem sollen die Befugnisse, die das BKA jüngst zur Terrorabwehr erhielt, der gesamten Polizei zur Strafverfolgung zur Verfügung stehen. Gemeint sind die Online-Durchsuchung, die Überwachung von Internet-Telefonaten und der Spähangriff in Wohnungen. Beim Lauschangriff soll nicht sofort abgeschaltet werden, wenn über Privates gesprochen wird, sondern ein Band mitlaufen, bei dem dann später ein Richter das Private aussortiert.

Verdeckte Ermittler und V-Leute der Polizei sollen sich bei „szenetypischem Verhalten“, etwa beim Verwenden von NS-Symbolen, nicht mehr strafbar machen. Die Daten der Autobahnmaut sollen künftig für die Strafverfolgung genutzt werden, ebenso die IP-Adressen von Personen, die sich im Internet eine Seite der Sicherheitsbehörden ansehen. Die Erstellung eines DNA-Profils (genetischer Fingerabdruck) soll erkennungsdienstliche Standardmaßnahme werden, wie heute schon der Fingerabdruck oder das Passfoto. Entlassene Sexualstraftäter sollen in einer Warndatei erfasst werden, um ein „engmaschiges Sicherheitsmanagement“ zu ermöglichen.

Schäubles Staatssekretär August Hanning erklärte gestern, es handele sich lediglich um eine „Stoffsammlung“ der Referatsleiter. In jedem Ministerium würden am Ende der Wahlperiode die erledigten und offenen Themen aufgelistet. So etwas geschehe „unterhalb der Leitungsebene“.

Tatsächlich liest sich die Liste aber nicht wie eine interne Beamten-Bilanz, sondern wie der CDU-Entwurf für einen Koalitionsvertrag. Die Wortwahl ist von Politsprech geprägt („damit unsere Vollzugsbehörden zukunftsfähig aufgestellt sind und Kriminellen auf Augenhöhe begegnen können“) und betont den Vertrags-Charakter („…sind uns einig, dass“). Intern kursierte die Liste auch unter dem Betreff „Vorbereitung Koalitionspapier“.

Es erstaunt, dass sich Schäuble nicht zu diesen Inhalten bekennen will. Fast alles haben er und seine Partei CDU schon einmal öffentlich gefordert. Offenbar wird die öffentliche Stimmung so eingeschätzt, dass ein Law-and-Order-Wahlkampf der CDU derzeit eher nicht zum Vorteil gereichen würde. Auch im Wahlprogramm fehlten die aufgezählten Punkte weitgehend.

Ob sich die Liste in einer schwarz-gelben Koalition durchsetzen lässt, ist allerdings mehr als zweifelhaft. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die in einer entsprechenden Koalition wohl Justizministerin würde, sprach am Freitag von einer „Horrorliste“ und zählte dann auf, was mit der FDP auf keinen Fall geht. „Wir lehnen die Ausweitung des genetischen Fingerabdrucks ebenso ab wie die Einführung des großen Spähangriffs auf Privatwohnungen“, betonte Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber der taz. „Auch die Einführung der heimlichen Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz wird die FDP auf keinen Fall mittragen.“

Bürgerrechtler wie Patrick Breyer, der juristische Vordenker des AK Vorratsdatenspeicherung, halten Schwarz-Gelb deshalb sogar für einen Fortschritt gegenüber der Koalition mit der SPD. Sein privater Wahlaufruf zugunsten von FDP und Union stieß allerdings auf heftigen Widerspruch seiner Mitkämpfer.