WEITAB VOM KONVENTIONELLEN MAINSTREAM
: Eigensinnige Naturweine

VON STEPHAN REINHARDT

Billy Wagner von der Rutz Weinbar in der Chausseestraße ist ein wunderbar eigensinniger Mensch und Wirt. Es kann vorkommen, dass er Gäste aus dem Lokal hofiert, weil zwar noch ein Tisch frei sein mag, aber eben kein optimaler Service möglich ist. Daher gibt er dem zuletzt eintretenden Kunden lieber einen Korb anstatt dass er ihn mit einer Leistung abspeist, die beider nicht würdig ist.

Auch beim Wein ist Billy Wagner alles Gewöhnliche verhasst: Im Rutz steht „das Unkonventionelle, Individuelle und Überraschende im Vordergrund“, sagt der Falstaff-„Sommelier des Jahres 2011“ – und fordert seine Gäste mit Weinen heraus, die weitab vom konventionellen Mainstream liegen: Manche von ihnen sind goldfarben (da sehr spät gelesen), andere orangefarben (weil sehr wenig oder aber gar nicht geschwefelt) und wieder andere trüb (da ungeschönt und unfiltriert gefüllt). „Rebellen“ und „authentisch“ nennt Wagner diese „Naturweine“, denen weder etwas zugesetzt wird, im Gegensatz zu den „konventionellen“ Weinen, die oft mit allen Mitteln so bereitet werden, dass sie den Geschmack der meisten Menschen treffen. Die Weine, die Billy Wagner mit seinen Winzern selbst noch vor Beginn der neuen Vegetationsperiode konzipiert, sind dagegen emotionale wie intellektuelle Höhepunkte des Genusses.

22 Weingüter, die meisten davon aus Deutschland, aber eben auch aus Österreich, Portugal und Italien, haben sich bislang auf das rebellische Abenteuer eingelassen. 8 davon sind zurzeit im Programm, darunter:

2010 Riesling trocken Rutz Rebellen, Clemens Busch (14 € im Laden, 32 € in der Bar)

Dieser Moselriesling ist inzwischen mein persönlicher Sommer- und Zechwein des Jahres. Er ist ungewöhnlich trocken und noch dazu sehr leicht – eine Kombination, die angesichts des Klimawandels (mehr Zucker, mehr Alkohol) ausgestorben zu sein schien. Die meisten Leichtweine sind banal oder aber unreif, Clemens Buschs aus biodynamischer Produktion stammender Riesling aber ist konzentriert und würzig, intensiv mineralisch und für seine Preislage ungewöhnlich komplex. Seine Frucht erinnert an grüne Äpfel und der Schieferboden der Mosel ist in ihm allgegenwärtig. Der Wein hat Fülle, Saft und Biss, er ist rassig, pikant und fein – ein typischer Ausdruck der Schiefersteillagen der Mosel.

2010 Bastardo Vinho tinto Rutz Rebell, Niepoort Projectos (46 € im Laden, 64 € in der Bar)

Dirk Niepoort erzeugt Portweine von Weltklasse und seit gut 20 Jahren auch Tischweine, die zu den besten Portugals gehören. Niepoort ist ein Mann für ungewöhnliche Weine, von daher musste sich sein Weg ja irgendwann mit dem von Billy Wagner kreuzen. Vom Bastardo, so der Name der Rebsorte, aus der dieser grandios frische Wein aus dem heißen Douro-Tal gekeltert wurde, gibt es eigentlich keine sortenreinen Weine. Die gemeinhin als „rustikal“ geltende Traube steht mit vielen anderen im „Gemischten Satz“, wird also mit anderen Sorten zusammen gelesen und zu Wein verarbeitet. Niepoort aber fand, dass Bastardo immer zu reif gelesen wird und daher die Eigenschaften einbüßt, die sie bei früherer Lese interessant macht: ihr frisches Aroma von Beeren und Kirschen sowie ihre vitale Rasse. In diesem feinwürzigen und „dickschaligen“ Wein, der wie ein Burgunder zum Teil auf den Traubenkämmen vergoren und in gebrauchten kleinen Eichenfässern ausgebaut wurde, ist beides enthalten. Unser roter Sommerwein des Jahres!