Das Image abfedern

LOBBY Wie der Shoppingcenter-Konzern die Politik an sich bindet

■ Die Familie: Werner Otto gründete 1949 den gleichnamigen Versandhandel und wurde zu einem der reichsten deutschen Unternehmer. Schon lange vor seinem Tod 2011 übernahm sein ältester Sohn Michael den Konzern. Neben dem Versandhaus hatte Werner Otto 1965 die Einkaufscenter Entwicklungs GmbH, kurz ECE, aufgezogen. Die leitet seit 2000 sein jüngster Sohn Alexander.

■ Die Firma: Die ECE baut und betreibt Shoppingcenter, heute vor allem in Innenstädten. In Deutschland sind es fast 100 Center, dazu Konsumhallen in ganz Europa von der Schweiz bis nach Russland. Das Angebot umfasst Filialisten wie Saturn, H&M oder Thalia, aber auch kleine Schreibwarenläden oder Blumengeschäfte.

■ Die Stiftung: Die Stiftung Lebendige Stadt ist formal von ECE unabhängig. Im Kuratorium sitzt allerdings Stifter Alexander Otto als Vorsitzender. Die Stiftung veranstaltet Kongresse zur Stadtentwicklung, sponsert Lichtinstallationen und Begrünungen und vergibt Preise für Städte.

■ Die Wirkung: ECE behauptet, man öffne die Center architektonisch zu den Innenstädten, um Fußgängerzonen nicht leer zu saugen. Die Stadtökonomin Monika Walther widerspricht: Diese zusätzlichen Öffnungen, wenn es sie überhaupt gebe, würden meist nur als Eingänge genutzt – von der 1A-Lage ins Center, nicht andersherum. Ziel des Centers sei stets: „Die Leute drinhalten“. Entscheidend sei die Zahl der Läden, sagt die Ökonomin. Je mehr davon, desto eher gehen die Leute ins Center. Ein neues Center dürfe maximal halb so viele Läden haben wie die 1A-Lage – sonst sauge es die Fußgängerzone aus.

VON JOHANNES GERNERT
(TEXT) UND ULRIKE DORES (GRAFIK)

Der Oberbürgermeister von Dortmund hat sich den Abend frei gehalten. In Dortmund hat ECE kürzlich eine Galerie eröffnet. Auch der von Leipzig ist gekommen, wo ECE die Einkaufspassagen im Hauptbahnhof realisiert hat. Selbst der Oberbürgermeister von Freiburg, wo ECE vor Jahren auch mal was bauen wollte, ist angereist.

Vor all diesen Gästen tritt Alexander Otto, der Vorstandsvorsitzende des Shoppingcenter-Konzerns ECE, an diesem Mittwochabend in einer besonderen Funktion auf: als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Lebendige Stadt. In einer Lounge des Dortmunder Stadions gibt es Podiumsdiskussionen und Preise für unverwechselbare Stadtkonzepte, danach Bier und Fleisch. Die Gäste dürfen an diesem Abend im Dezember 2011 durchs leere Stadion spazieren, Jürgen Klopp schaut vorbei, einige Honoratioren lassen sich mit ihm fotografieren, und gegen Otto spielt er sogar eine Partie Kicker.

Im Kuratorium der Stiftung Lebendige Stadt, die hier einlädt, sitzen neben Alexander Otto auch Olaf Scholz, der Oberbürgermeister von Hamburg, und Wolfgang Tiefensee, der mal Bundesbauminister war. Im Stiftungsrat sind noch mehr Politiker, ehemalige Minister, amtierende Oberbürgermeister.

Was für eine Konstellation: Ein Unternehmer, der Shoppingcenter in Innenstädte baut, gründet eine Stiftung, in der sich viele der Bürgermeister engagieren, die über seine Projekte entscheiden könnten. Besteht da nicht ein Interessenkonflikt für die Politiker? „Nein“, antwortet ein Sprecher von Olaf Scholz sehr knapp auf eine sonntaz-Anfrage.

„Es geht ja nicht darum, damit den Boden für ECE-Projekte zu bereiten“, sagt auch der Sprecher des Freiburger Oberbürgermeisters. „Ich kenne eine Reihe Oberbürgermeister, ich habe noch keinen erlebt, der sagt: Davon lasse ich mich beeindrucken.“ Die Stiftung habe gute Fachleute, das helfe über den Tellerrand zu schauen. In Freiburg sei ECE derzeit nicht aktiv und plane auch nicht, dort etwas zu realisieren.

Die Stiftung verbessere das städtische Leben, lässt der Kölner Oberbürgermeister, ebenfalls im Stiftungsrat, mitteilen. Sie habe mit Deutscher Bahn und Rheinenergie die Beleuchtung für Bahnunterführungen in Köln optimiert, schreibt Sprecher Gregor Timmer. Man schätze den „Erfahrungsaustausch“.

„Die Sensibilität dafür, dass das Filz ist, die ist ja relativ neu“, sagt Rupert Graf Stachwitz, der Stiftungen berät und ein Handbuch über das Stiftungswesen geschrieben hat. Er hat den Eindruck, dass das Bewusstsein für solche Interessenkonflikte seit der Wulff-Affäre gewachsen ist.

In Jena etwa hat der Oberbürgermeister Zweifel an seinem Engagement bekommen. Weil die ECE gerade plant, am dortigen Eichplatz zu bauen, schreibt dessen Sprecherin auf Anfrage: „Die Mitarbeit ruht bis auf Weiteres, der Oberbürgermeister nimmt an keiner Veranstaltung der Stiftung teil.“ Schröter habe nicht gewusst, müsse man zugeben, in welchem Verhältnis ECE und die Stiftung stehen.

„Die Stiftung ist ein Instrument von ECE und von Alexander Otto. Sie ist damit direkt verbunden und wird von ECE und Otto kontrolliert“, sagt Ulrich Müller von Lobbycontrol.

„Wir bemühen uns um eine sehr klare Trennung“, widerspricht Rando Aust, Sprecher der Stiftung. „Es sind nur drei Leute von ECE unter den 63 Gremienmitgliedern, wobei die Gremien mit einfacher Mehrheit entscheiden.“

Die ECE-Leute sitzen aber an den wichtigsten Stellen, kritisiert Müller. Das Kuratorium leitet Alexander Otto, den Vorstand ECE-Geschäftsführer Andreas Mattner. Das gesamte Stiftungsvermögen stammt von ECE.

„Die Sensibilität dafür, dass das Filz ist, die ist ja relativ neu“

RUPERT GRAF STACHWITZ, STIFTUNGSEXPERTE

Eine zu große Nähe zwischen ECE und der Stiftung bestreitet der Kölner OB dennoch. Sie beschäftige sich nicht mit dem Thema Einzelhandel, dem Geschäftsfeld von ECE.

„Das ist letztendlich Lug und Trug“, sagt Ulrich Müller. „Natürlich beschäftigt sich die Stiftung mit Bereichen, die für die Unternehmensziele relevant sind. Alexander Otto benutzt die Stiftung Lebendige Stadt als Imageabfederung gegen den Vorwurf, dass seine Einkaufszentren die Innenstädte veröden. Sie dient dazu, positiv wahrgenommen zu werden. Nicht als die grauen Männer, die ihre Center möglichst profitabel verticken wollen. Sondern als die netten Männer, die etwas für die Stadt tun.“

Auch der Stiftungsexperte Rupert Graf Stachwitz stellt fest: „Dass eine Stiftung so dezidiert Positionen vertritt, von denen das nahestehende Unternehmen unmittelbar betroffen ist, und dass die Unternehmensleitung zugleich in der Stiftung tätig ist, das ist schon ein Ausnahmefall.“ Alexander Ottos Bruder Michael habe einen sehr guten Leumund für seine Stiftung. Er engagiert sich etwa für den Schutz von Flüssen, Seen und Auen. Alexander Otto dagegen setze „einen ganz anderen Akzent“. Rechtlich sei das Vorgehen nicht angreifbar, solange die Stiftung sich gemeinnützig betätige.

In Köln betreibt Ottos ECE gleich drei Center; eines wird gerade umgebaut. Der Kölner Oberbürgermeister steht trotz aller Kritik zu seinem Engagement. „Der Gedanke, ein Unternehmen könne über die Unterstützung von Stiftungsarbeit direkt oder indirekt Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse in Kommunen nehmen, ist nicht nachzuvollziehen“, schreibt sein Sprecher. Einer Beeinflussung, fährt er fort, stünden nicht nur die Komplexität politischer Willensbildung und moderner Bürgerbeteiligung, sondern auch die rechtlichen Anforderungen von Genehmigungsprozessen und die Verfahren der europäischen Ausschreibungs- und Vergabepraxis entgegen.

Soll wohl bedeuten: mitgehangen, aber nicht mitgefangen.