Influencer-Show aus Hannover: Likes für das beschädigte Leben

Wer sind die Menschen, für deren Make-up-Tipps und Modeempfehlungen sich so viele interessieren? Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt geben Antworten.

Social-Media-Influencer*in als Plastik-Spielzeug

„Viel Zubehör für einen gelungenen Auftritt“: Der „Social Media Star“ als (analoge) Spielsache Foto: Playmobil/geobra-Brandstätter-Stiftung & Co. KG

HANNOVER taz | Auch eine Influencer-Show: Am vergangenen Mittwochabend ließ der Fernsehsender RTL seinen Moderator Oliver Pocher und dessen Ehefrau Amira mit fünf Influencer*innen, nun ja, sich „duellieren“; genau besehen hieß das aber nur Wettstreit in mehr oder minder TV-tauglichen Disziplinen: Von „insgesamt acht Geschicklichkeits- und Wissensspielen“ berichtet der mit RTL verbandelte Nachrichtensender N-TV.

Damit war sie zur besten Sendezeit in einem traditionellen Sender-Empfänger-Medium angekommen, „eine der wichtigsten Sozialfiguren des digitalen Zeitalters“. Letztgenannte Definition lesen wir bei Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt, nämlich in deren ziemlich frischem Suhrkamp-Band zum Thema: „Influencer. Die Ideologie der Werbekörper“ (192 S., 15 Euro; E-Book 13,99 Euro).

Influe-wer? Das manchen vielleicht wenig vertraute Wort ist in Branchen wie Public Relations, Werbung oder Marketing schon seit ungefähr 2007 bekannt, also länger, als manche heutige In­flu­en­ce­r*in­nen alt sind. Es kommt vom englischen „to influence“, zu Deutsch: beeinflussen. Aber: „Der Kolumnist einer Zeitung, der Kommentator in den Tagesthemen, der Spitzensportler, der sich für Kinder in Not engagiert, der Musiker, der gegen oder für etwas singt – sie alle beeinflussen zwar den Diskurs, die Gesellschaft, die Wirtschaft oder gar die Politik, Influencer sind sie dennoch nicht.“

Bekannt durch Social Media

In­flu­en­ce­r*in im spezifischen Sinn ist „eine Person, die in den sozialen Medien zu Bekanntheit gelangt ist“, so Nymoen und Schmitt weiter, „und sowohl eigene Inhalte als auch Werbe-Content für Produkte aller Art (von Kleidung über Fitness- und Kosmetikprodukte bis hin zu Finanzdienstleistungen) in Form von Posts, Fotos oder Videos veröffentlicht“. Kosmetik- oder auch Geldanlagetipps als klickstarkes Video auf dem eigenen Youtube- oder Tik-Tok-Kanal – alles ganz harmlos, oder? Je nachdem.

Die Influencer-Show mit Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt ist ab Montag, 12. April, vier Wochen lang kostenlos in der Mediathek des Literaturhauses Hannover abrufbar.

Man muss nicht gleich, wie es Nymoen und Schmitt tun, in Bret Easton Ellis’ mörderischem Patrick Bateman, Hauptfigur des Romans „American Psycho“ (1991), die Blaupause zu dieser neuartigen Form der zweckdienlichen Selbstdarstellung erkennen. Schon wer etwa ein Interesse daran hat, dass Werbung als solche erkennbar ist, wird sich daran stoßen, wie In­flu­ence­r*in­nen just die Grenze zwischen „eigenen Inhalten“ und „Werbe-Content“ verunklaren.

Was ihnen an Professionalität fehlen mag – oder auch schlicht an Bekanntheit außerhalb einer eng definierten, aber eben auch maximal umworbenen Ziel-Altersgruppe: Das machen In­fluen­ce­r*in­nen wett durch Authentizität – oder zumindest deren Versprechen: „Der Influencer ist in der Regel nicht der Botschafter einer einzigen Marke, sondern bewirbt verschiedene Produkte. Dabei ist entscheidend, dass er diese möglichst eng mit der eigenen Person verknüpft, indem er zeigt, wie er sie verwendet, und sich zugleich als Konsument und Präsentator inszeniert.“

Weder Kunstfigur noch A-Promi

In ihrer – vielleicht nur vermeintlichen – Augenhöhe, der Interaktivität mit denen, die ihnen zusehen, unterscheiden sich diese Stars einerseits von den Kunstfiguren aus der klassischen Reklame: Ein*e Influ­encer*in ist ja keine „fiktive Persona wie etwa die von der Schauspielerin Johanna König gespielte Klementine von Ariel oder die von Jan Miner verkörperte Palmolive-Werbefigur Tilly“.

Sie funktionieren aber auch anders als jene klassischen Prominenten, die sich fürs Bewerben dieses oder jenes Produkts hergeben, also „George Clooney, der in Werbeclips an einem Espresso nippt“, oder „Heidi Klum, die beherzt in einen Burger beißt“.

Der Erfolg des neuen Modells ist unbestreitbar: „Deutsche Unternehmen zahlen bis zu 38.000 Euro pro Influencer-Post“, vermeldete 2019 eine weltweit tätige Marketingfirma; das nicht je­de*r solche Erlöse erzielt, zumindest nicht ab dem ersten Video, versteht sich. Aber dass sich da Gewichte verschieben, weg von den klassischen, den Einbahnstraßenmedien hin zu schlicht wirkungsvolleren Weisen, Kram an die Leute zu bringen: Das ist eindeutig.

Insofern: Als sich nun Pocher und Gattin mit den – an Follower*in­nen übrigens gar nicht durchweg stärkeren – Netzgrößen Twenty4tim, Kristina Levina, Younes Zarou, Payton Ramolla und Sam Dylan maßen, standen sich da auch konkurrierende Medien- und Marketing-Äras gegenüber. Am Ende entschied das etabliertere Ehepaar sechs von acht Wettbewerben für sich.

Noch mal andere, aus eigenen Motiven mit der hinzugekommenen Konkurrenz hadernde Medien breiteten dann besonders genüsslich aus, dass diese Neureichen nicht mal gewusst hätten, „wer Chef-Virologe Christian Drosten ist“, so etwa Focus Online: „Von dem habe sie ‚noch nie etwas gehört‘, gesteht Payton Ramolla.“ Auch die darauf folgende Online-Häme ist wohl eine Facette des besonderen Verhältnisses solcher Stars zu ihrer Gefolgschaft.

„Agieren antiaufklärerisch“

„Die Influencer zeichnen wir keineswegs in rosigem Licht“, so Nymoen und Schmitt, „wir sehen in ihnen eine ernst zu nehmende Gefahr, da sie antiaufklärerisch agieren und ihre Follower manipulieren. Sie erzeugen ein falsches Bewusstsein, das sie wiederum gewinnbringend auszubeuten wissen, ja, sie verherrlichen das ‚beschädigte Leben‘ im Spätkapitalismus.“

Ihr Buch hatten die beiden eigentlich am vergangenen Donnerstag in Hannover präsentieren wollen; stattdessen gibt es nun eine coronakonform aufgezeichnete Online-„Influenzer-Show“ – versprochen wird dabei „heiterer Kulturpessimismus“.

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