Die Ware Liebesromantik

Schriften zu Zeitschriften: „WestEnd“, die Halbjahresschrift des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, räsoniert über die rätselhafte Verbindung von Liebe und Konsum

Neuerdings traut man dem Kapitalismus wieder alles zu: dass er alle möglichen gesellschaftlichen Missstände verschuldet habe oder umgekehrt als bittere Medizin gegen sie wirken könne. Nur folgerichtig, dass die halbjährig vom Frankfurter Institut für Sozialforschung herausgegebene Zeitschrift WestEnd (1/2005) nun dem Thema „Liebe und Kapitalismus“ gewidmet ist. Man erhofft sich Aufschluss über das Rätsel der privaten Leidenschaft, die durch kommunizierende Röhren mit unserer ökonomischen Basis in Verbindung zu stehen scheint.

So will die Jerusalemer Soziologin Eva Illouz beobachtet haben, „dass sich um die Wende zum 20. Jahrhundert die Bedeutung und die Praxis der romantischen Liebe und die Bedeutungen und Praktiken des Konsums wechselseitig durchdrungen haben“. Heutzutage bestünden alle Aktivitäten, die man mit romantischen Begegnungen assoziiere, „hauptsächlich darin, dass man sich in die öffentliche Sphäre des Konsums begibt und Freizeitwaren kauft“. Darin erkennt Illouz zwei Prozesse: Zum einen die „Romantisierung der Waren“, welche nach und nach mit romantischer oder sogar spiritueller Bedeutung angefüllt worden seien. Zum anderen sei „die Liebesromantik selber zur Ware“ geworden und in die Praktiken des Freizeitkonsums eingegangen.

Der alten marxistischen Kritik des Warenfetischismus zufolge vergisst man im Konsum dessen wahre Natur und die Produktionsbedingungen des Konsumierten. Besonders perfide sei das in einer Konsumkultur, die einen Zustand permanenter Unzufriedenheit erzeugt und die Sphären des Emotionalen und des Materiellen vermischt. Sind damit nicht auch unsere Gefühle ihrer Integrität beraubt? Und tatsächlich: In ihrer Untersuchung der kulturellen Codes romantischen Empfindens hat Illouz herausgefunden, dass die von ihr befragten Personen „beim Konsum eines romantischen Augenblicks Waren nicht als solche“ wahrnähmen, sondern „vielmehr nur auf die emotionalen Eigenschaften dieser Waren“ achteten. Doch überraschenderweise stellt Illouz fest, dass dies bei den Befragten offenbar nicht „zu Verdinglichung oder zu falschem Bewusstsein“ geführt habe, sondern im Gegenteil „die Waren die intensive Verbundenheit im romantischen Erleben nicht nur nicht gefährden, sondern sogar fördern“, Vor allem Luxus- oder Reisegüter trügen durch „Verschönerung und Förmlichkeit“ zu einer „Ritualisierung der Liebesromantik“ bei: Sie verliehen dem Konsum eine dramatische Note und beförderten damit sogar die Kommunikation. Wo ist also das Problem?

Illouz ist konsterniert, dass einerseits „bei den Befragten mit dem höchsten Bildungsstand Konsumkritik und Kritik am Warencharakter der Liebesromantik Attribute ihres kulturellen Habitus sind“, sie aber zugleich „nicht nur eifrige Konsumenten von romantischen Waren sind, sondern ihre romantischen Augenblicke auch am ehesten in eben jenen stereotypen Formen erleben, über die sie ansonsten so gern herziehen“. So urteilt Illouz unerbittlich: „Nicht der Konsum als solcher macht die romantische Liebe unecht, sondern vielmehr die Tatsache, dass ihr Konsum denen, die das ,Einmalige‘ und das ,Echte‘ kultivieren, zugleich eine ironische Distanz abverlangt, die eine Leugnung ihrer Teilnahme am Markt impliziert.“ Doch warum sollte Ironie kein legitimes Mittel sein, sich die Identitätsangebote der Warenkultur nicht wenigstens etwas vom Leibe zu halten? In der Ironie ist man anwesend und abwesend zugleich, ohne dabei den wahren, nur in der Praxis verfehlten Kern der eigenen Gefühle leugnen zu müssen. Denn gerade weil wir im Kapitalismus leben, lässt sich das Ideal der romantischen Liebe nicht ohne weiteres entsorgen, wie der Frankfurter Sozialpsychologe Rolf Haubl in seinem Beitrag betont. Mit ihrem „Pathos der Einzigartigkeit“ nehme die romantische Liebe historischen Bezug auf die „gesellschaftlichen Modernisierungsschübe, die traditionelle Bindungen im Dienste der Dynamisierung der Gesellschaft auflösen … Romantische Liebe als Bindung individualisierter Menschen erscheint in diesem Zusammenhang als wirksame Gegenbewegung, weil der romantische Liebescode die Individualisierung als Voraussetzung für Bindung propagiert.“ Logisch: Man muss sich als unrettbar einsam begreifen, bevor man reif für die absolute Hingabe ist. Das kann teuer werden.

Denn Haubl zufolge verlangt dieses Ideal nach kostspieligen und unvernünftigen Liebesbeweisen: „Obgleich das Ideal der romantischen Liebe ein Gegenentwurf zu einer Konsumgesellschaft zu sein scheint, ist es doch ihre Maßlosigkeit, die Tür und Tor für den Konsum öffnet, weil das Ideal einen uneingestandenen Reizhunger impliziert, der auch zu den psychosozialen Antrieben der Konsumbereitschaft gehört.“ Wie in der Liebe, so im Kapitalismus: Anzunehmen, dass Letzterem die leidenschaftliche Vernichtung materieller und emotionaler Werte völlig wesensfremd wäre, hieße wohl die Rationalität von Habgier und Eigeninteresse zu überschätzen.

JAN-HENDRIK WULF

„WestEnd“ 1/2005, 10 €