taz-Thema der Woche

Das Urteil zur Vorhautbeschneidung kleiner Jungen

■ betr.: „Kulturkampf um die Vorhaut“, taz vom 4. 7. 12

Was gibt es da zu diskutieren, Schmerzen aus religiösen, ästhetischen oder sonst wie gearteten Gründen (besonders minderjährigen) Menschen zuzufügen ist mindestens Menschenrechtsverletzung. Ob handgreifliche Züchtigung in Schule, Militär oder sonst wo, Folter, Kinderarbeit, Drogenrituale, Kannibalismus und sonstige Initiations- oder Gesellschaftsbräuche, die es bis in die Jetztzeit schafften, die dürfen wir auch abschaffen. Und wenn jetzt kleiner Finger mit vier Jahren abhacken plötzlich Brauch wird, darf man das auch nicht, auch nicht mittels Facharzt, basta.

HENDRIK FLÖTING, Berlin

■ betr.: „Ein zentrales Zeichen“, taz vom 28. 6. 12

Bedeutet das Kölner Urteil: für alle Eltern bleibt die Entscheidung zur hygienisch begründeten Beschneidung straffrei, es sei denn, bei ihnen wird ein jüdischer oder islamischer „Hintergrund“ festgestellt? Denn (wie es dann wohl formuliert wäre) deutsche Gerichte „könnten nie zweifelsfrei ausschließen, dass diese Eltern auch ein bisschen religiös motiviert sind“. Das kleine Skalpell wirkt dann (je nach Religiosität der beauftragenden Eltern) entweder hygienisch-präventiv oder religiös-körperverletzend. Der kölsche Richter verpackt diesen Witz in ein juristisches Urteil: genial! STEVEN GOLDNER, Frankfurt am Main

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Ich habe schon seit längerer Zeit den Eindruck, dass der WDR Hörfunk religiös „aufrüstet“ – nicht nur sonntags, sondern auch an allen möglichen religiösen (außer islamischen!) Feiertagen werden entsprechende Sendungen gebracht, Messen übertragen usw. Mich stört das sehr. Aber ich kann das Radio ausschalten, ohne körperlichen Schaden zu nehmen. Die Hostie beim christlichen Abendmahl ist nur ein Symbol, dazu noch ein „vegetarisches“! Das ist ein großer und wichtiger Unterschied im Gegensatz zu einem nicht mehr rückgängig zu machenden körperlichen Eingriff, der zudem – wie auch die Taufe – an kleinen, wehrlosen Menschen vorgenommen wird, damit sie sich eben nicht dagegen entscheiden können.

MARTINA TAMMS, Auel

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Hilal Sezgin nutzt bekannte Argumente von Atheisten gegen christliche Rituale, um religiös motivierte Beschneidungen zu relativieren. Natürlich sind einige christliche Rituale rituell-kannibalisch. Nur wird hier nicht im Real-Life an Minderjährigen herumgeschnippelt. Da ist der entscheidende Unterschied.

„Nach Gesprächen mit Ärzten und Spezialisten habe ich den Eindruck gewonnen, dass die medizinisch korrekt ausgeführte Vorhautbeschneidung keine besonderen Beeinträchtigungen nach sich zieht. Sie ist demnach einfach nur eine Kulturpraxis unter anderen. „Kulturpraxis“ dürfte wohl kaum den gleichen Verfassungsrang haben wie Religionsfreiheit.

FRANK NAUMANN, taz.de

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Dem Himmel sei Dank, dass in derselben Ausgabe der taz der irakische Schriftsteller Najem Wali zu Wort kommt und über seine traumatische Erfahrungen spricht („Beschneidungen und andere Traumata“) und dem Sie doch hoffentlich Glauben schenken mögen. Was für eine Weltsicht ist das, die Sie beruhigt, dass „die medizinisch korrekt ausgeführte Vorhautbeschneidung keine besonderen Beeinträchtigungen nach sich zieht“. Ob man den chirurgischen Eingriff als religiös, hygienisch oder gar als gesund verbrämt, er ist eine sadistische, barbarische „Tradition“ aus der Bronzezeit, die von einfachen Nomaden erfunden wurde; doch muss man sich wohl zu Recht die Frage stellen, ob Traditionen dieser Art in unserem Zeitalter noch sakrosankt und schützenswert sind? DOROTHEA WALTER, Stuttgart

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Vielen Dank für diesen Artikel, der einige Aspekte bei der Wahrnehmung vieler über die Bräuche von Muslimen und Juden im Allgemeinen und die Jungenbeschneidung im Besonderen ins rechte Licht rückt. Wobei ich weniger verärgert war über die überspitzte Karikierung des Abendmahls; dies hängt wohl auch damit zusammen, dass bei uns Protestanten das „Liebesmahl“ im Vordergrund steht. Ich verstehe aber, dass es durchaus möglich ist, diesen Brauch seltsam zu finden, wenn man dies von außen betrachtet.

In einer Hinsicht unterscheidet sich allerdings meine Wahrnehmung von der Frau Sezgins. Sie sieht die Trennlinie in der Beurteilung der Beschneidungsfrage zwischen Atheisten und Christen einerseits und Juden und Muslimen andererseits. Nun haben sich allerdings schon einige Kirchenvertreter_innen gegen ein Verbot ausgesprochen, somit sehe ich eher, dass auf der einen Seite Glaubende verschiedener Religionen stehen, auf der anderen Seite eine lauter werdende Gruppe, die das Religiöse generell aus der Öffentlichkeit zurückdrängen will, egal ob es um den Religionsunterricht oder den Beschneidungsritus geht. HARTMUT NEUBAUER, Köln

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

In einem Punkt bin ich durchaus Ihrer Meinung: Es kann nicht angehen, dass sich das christliche Abendland die Freiheit nimmt, muslimische Traditionen kritisch zu bewerten, und gleichzeitig die eigenen Rituale als sakrosankt einstuft. Allerdings: Ein Grundanliegen unserer Gesellschaft muss der bedingungslose Schutz von Kindern vor physischer wie auch psychischer Gewalt sein. Dieses grundlegende Menschenrecht darf nicht durch Rücksichtnahme auf kulturelle Riten jedweder Art aufgeweicht werden. Das bedeutet neben dem Beschneidungsverbot, auch den Einfluss katholischer Traditionen, die noch immer mit Schuldzuweisungen und rigider Sexualmoral verbunden sind, einzudämmen. Wenn wir Kinder zu aufrechten, verantwortungsvollen Menschen erziehen wollen, sollten wir sie selbst entscheiden lassen, ob und welcher Religionsgemeinschaft sie angehören wollen. ELKE FREITAG, Adelschlag

■ betr.: „Muslime fordern Beschneidungsgesetz“, taz vom 5. 7. 12

Da wird einem jungen Menschen massiv in seinen Körper eingegriffen und ein deutsches Gericht wertet es als Körperverletzung. Muslimische, jüdische und auch christliche Vereinigungen werten dies wiederum als Eingriff in ihre Religionsfreiheit.

Ein widerlicher Gedanke, wenn man bedenkt, dass genau dieser Mensch im späteren Alter das Recht hat, sich von dieser Religionszugehörigkeit zu entfernen. Und dann wird er immer ein irreparables „Markenzeichen“ als Erinnerung an jene Religion haben, zu der er nicht mehr gehören will. Wo bleibt hier seine Religionsfreiheit? Wenn ein Gericht endlich einen Schlussstrich unter die bis dahin geduldete Körperverletzung zieht, dann ist dies kein Rückschlag für die Integration, sondern ein Urteil, das beweist, dass alle Menschen bei uns unter dem Schutz des Grundgesetzes (GG) stehen. Wer dagegen ein Beschneidungsgesetz fordert, möchte Ausnahmen zum GG, das die körperliche Unversehrtheit eines Menschen garantiert, und fordert hier, dass Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden.

Jahrhunderte alte Rituale werden nicht dadurch demokratisch legalisiert, weil sie so alt sind. Mit dem Argument könnte man auch ein Gesetz zur grausamen Beschneidung von Mädchen fordern, die Steinigung von Frauen bei (angeblichem) Ehebruch und vielleicht gleich wieder den Kaiser. Rechtsstaatlichkeitsdenken setzt die absolute Unverletzbarkeit des Individuums voraus. Es sei denn, der Eingriff ist medizinisch notwendig. Alles andere hat mit Integration und rechtsstaatlichem Denken wenig bis nix zu tun. W. WAGNER, Auerbach

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Hilal Sezgin wirft ihre (meines Erachtens völlig berechtigte Kritik) an seltsamen „westlich-christlichen“ Kulturbräuchen (Abendmahl, Grillen etc.) in die Waagschale, um damit Folter und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (verharmlosend „Kulturpraxis“) zu legitimieren. Ich sehe hingegen sehr wohl einen Unterschied darin, ob man sich Abbilder von gefolterten Menschen (Jesus am Kreuz) ansieht oder ob man „unschuldige“ Menschen dieser Folter unterzieht (da muss die Zivilgesellschaft allerdings intervenieren!). Da hilft dann aber auch keine „Kultur“ als Rechtfertigung (und Religion schon gar nicht). Um mal wirklich „das Fernrohr umzudrehen“: Aus gutem Grund sind in unserer heutigen Zivilisation Hexenverbrennungen nicht mehr zulässig, auch nicht bei besonders frommen Christen. Und das soll auch so bleiben! WILLI RUPPERT, Treuchtlingen

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 4. 7. 12

Häufig habe ich von Frauen geschriebene Artikel zum Thema Beschneidung gelesen und merkwürdigerweise haben zu diesem Thema schreibende Frauen fast nie ein Problem damit, dass man Jungen die Vorhaut abschneidet. Dass man Religionen (auch Atheismus) und unterschiedliche Kulturen respektiert und achtet, ist für mich selbstverständlich. Aber dass man einen Teil des Körpers eines Menschen abschneidet, ohne dass dieser Mensch je etwas dazu hätte sagen können, halte ich für falsch. FELIX MONIAC, taz.de

■ betr.: „Beschnittene Meinung“, taz vom 5. 7. 12

Vielleicht würde ein bisschen mehr Trennschärfe helfen: Ja, das Beschriebene war Zensur und die von dem Verantwortlichen gegebene Begründung ist bestürzend. Ja, die beschriebenen Diskurse über den Islam sind tendenziös, arrogant missachtend und diskriminierend. Auch sie bestürzen mich. Aber die Vorhaut eines minderjährigen Jungen ist keine Oblate. Dieser Vergleich von Hilal Sezgin verletzt die menschliche Würde. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, war ich wütend.

MICHAEL GEIGER, Oldenburg

■ betr.: „Beschneidung und andere Traumata“, taz vom 4. 7. 12

Die Aufarbeitung der sexuellen Tabus der Männer bringt jetzt das Thema „Religion, Macht und Gewalt“ an die Oberfläche. Najem Wali: „Es sind Rituale, die zu alten Zeiten gehören, durch die die Religionen (er meint natürlich die religiösen Institutionen!) über die Menschen Macht gewinnen“. Kein Wunder, dass auch die christlichen Kirchen gegen das Gerichtsurteil rebellieren. „Die Macht der Religionen wird weiter regieren“, schließt Najem Wali pessimistisch. Ich möchte anfügen: Wenn wir uns nicht befreien in einem selbstbestimmten Leben! Solange es nicht selbstverständlich ist, dass wir aus Liebe zu unseren Kindern (statt zu Gesellschaftsnormen der „alten Zeiten“) den Nachwuchs selbst über sein spirituelles und gesellschaftliches Leben und seinen Körper entscheiden lassen, ist es wichtig, dass unsere Gesetze die Integrität nicht Volljähriger schützen. Die Befürchtung, dass Eltern der „Alten Zeiten“ dann ihre Kinder zu Pfuschern schleifen, darf kein Argument sein, diesen Schutz zu verweigern!

SABINE MIEHE, Marburg

„Keine religiöse Beschneidung“ lautete am 27. 6. der Titel einer kleinen Meldung in der taz. Das Kölner Landgericht hielt in seinem Urteil die religiös begründete Beschneidung eines Vierjährigen durch einen Arzt für strafbar. Und seitdem wird heftig debattiert, halten doch Juden, Muslime und Christen dieses Urteil für einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und ins Elternrecht. Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF) und 56 Prozent der in einer Umfrage Befragten befürworten dagegen die Entscheidung des Kölner Gerichts. Die taz berichtete und kommentierte unter den verschiedensten Gesichtspunkten, interviewte den Kinderchirurgen Hikmet Ulus ( „Die Beschneider reiben sich die Hände“, taz, 3. 7. 12), und ließ u. a. Hilal Sezgin („Beschnittene Meinung“) und Najem Wali („Beschneidung und andere Traumata“) zu Wort kommen.