die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Weg aus den Coronabeschränkungen heraus scheint manchmal schwierigerals der hinein. Was mit der alten Mitte Berlins passiert, ist entschieden – auf die Umsetzung muss geachtet werden. Und: Endlich gib es wieder Konzerte in Berlin – und erstmals sogar mit einer Chefdirigentin!

Das Auf- fällt schwerer als das Zumachen

Senat weist ärztlichen Lockerungsvorschlag zurück

Vermutlich gehört es zu einer Pandemie, dass man viele Schritte zum ersten Mal macht. Wie Lockdown geht, wissen wir inzwischen, dafür gibt es jetzt ein, zwei Blaupausen, auf die man bei Bedarf (hoffentlich nicht so schnell) wieder zurückgreifen kann. Was deutlicher schwerer fällt als das Zu- ist das Aufmachen. Da befinden wir uns immer noch auf dem langen Weg zurück zur Normalität.

Dass diese Normalität vermutlich noch lange eine mit Corona sein wird, hatten die zwölf AmtsärztInnen der Bezirke im Blick, als sie vergangenes Wochenende einen gemeinsamen Beschluss fassten: Sie wollten die Quarantäne für Schul- und Kita-Kinder abschaffen, die Kontakt zu Infizierten hatten. Im Klartext: Der Sitznachbar einer positiv getesteten Schülerin solle nicht mehr zu Hause bleiben müssen.

Die Gründe der AmtsärztInnen: Erstens könne man so Klassen und Kita-Gruppen offen halten und müsse die Schü­le­r*in­nen nicht ins (für viele Kinder und Familien belastende) Homeschooling schicken. Zweitens sei inzwischen klar, dass erstens Kinder in der Regel weniger schwere Krankheitsverläufe hätten und zweitens vulnerable Gruppen längst doppelt und bald dreifach geimpft seien. Man müsse also nicht davon ausgehen, dass diese auf absehbare Zeit noch ungeimpfte junge Altersgruppe, mit deren „sicherer Ansteckung“ angesichts der Deltavariante ohnehin zu rechnen sei, das Gesundheitssystem überlaste.

Der Aufschrei war erwartbar groß: Die AmtsärztInnen wollten lieber die Durchseuchung der Kinder in Kauf nehmen, statt ordentlich Kontaktnachverfolgung zu betreiben, hieß es von Elternverbänden. Wieder würden die Folgen der Pandemie zulasten der Schwächsten gehen. Die wahlkämpfende Franziska Giffey (SPD) sprang ihnen bei, einen solchen Schritt könne man sich jetzt nicht leisten. Am Ende habe man, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) mit dezenter Häme in Richtung der AmtsärztInnen, die Dinge im Senat „zurechtgerückt“. Die Quarantäne in Schulen und Kitas wurde nicht aufgehoben, aber von 14 auf 5 Tage verkürzt.

Die Argumentation der AmtsärztInnen war in sich durchaus logisch: Es stimmt, dass Kinder in aller Regel nicht im Krankenhaus landen. Und die Krankenhausauslastung ist, mit dem Inzidenzwert und der Intensivbettenbelegung, immerhin der zentrale Indikator, an dem Berlin künftig, wie ebenfalls am Dienstag im Senat beschlossen, sein Coronamanagement ausrichten will. Und es stimmt auch: Die vulnerablen Gruppen, die Omas zu Hause, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit längst geimpft.

Und doch ist da natürlich, neben der Ratio, noch die emotionale Seite: Der Sitznachbar eines positiv getesteten Mitschülers soll einfach weiter neben meinem Kind in der Mensa sitzen – das dann zum kleinen, ebenfalls nicht geimpften Geschwisterkind nach Hause kommt?

Die Überlegung der ÄrztInnen war logisch, aber der Schritt wäre vielleicht tatsächlich ein (zu) großer gewesen.

Anna Klöpper

Ist die neue Altstadt wirklich vom Tisch?

Oder droht auch Berlin die weitere Disneylandisierung?

Es gibt immerhin einen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Im Frühjahr 2016 verabschiedete das Berliner Parlament zehn Leitlinien, die zuvor in zahlreichen Diskussionen und Werkstätten erarbeitet worden waren. „Alte Mitte. Neue Liebe“ hieß das Beteiligungsverfahren. Es sollte einen seit der Wende schwelenden Streit beenden: Soll die Berliner Altstadt zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus wieder aufgebaut werden? Oder soll der Raum, der zu DDR-Zeiten vom Fernsehturm bis zum Marx-Engels-Forum an der Spree entstanden war, aufgewertet werden?

Fünf Jahre später haben nun auch Preisrichterinnen und Preisrichter entschieden. Ein grünes Band soll das Rathausforum mit dem Marx-Engels-Forum verbinden, zur Spree ist eine Freitreppe geplant. Es ist der Gegenentwurf zum grauen Umfeld des Humboldt-Forums, betont die Architektenkammer – und mahnt zur Eile bei der Umsetzung. Auch Bausenator Sebastian Scheel (Linke) warnt davor, „den langwierigen, demokratischen Prozess mit Füßen zu treten“.

Sind diese Sorgen berechtigt, könnte die neue Altstadt doch noch kommen? Schon Berlins inzwischen in den Ruhestand verabschiedete Senatsbaudirektorin Regula Lüscher warnte, dass die Fertigstellung des Humboldt Forums eine neue Diskussion über die Rekonstruktion der Berliner Altstadt auslösen könnte. Denn die Debatte schwelte immer weiter. Je unübersichtlicher das Leben in den Metropolen wird, desto größer das Bedürfnis nach einer „heilen“ Stadtwelt, die meist nur einer Fantasie des Alten entspringt.

Berlin konnte, vom Humboldt Forum abgesehen, dieser Versuchung bislang widerstehen. Anders als in Dresden, wo der Neumarkt und die Frauenkirche mit großer Entschiedenheit wieder aufgebaut wurden, war die Bewahrung der Ostmoderne in Berlin nicht nur das Anliegen einiger Ostalgiker, sondern auch junger Studierender der Architektur und von Aktivistinnen und Aktivisten. Diese besetzten den Palast der Republik oder Plattenbauten in Hellersdorf. „Generation Alex“ nannte die taz diese Bewegung, die nicht rückwärtsgewandt war, sondern in der Weitläufigkeit der Nachkriegsarchitektur auch ein Statement gegen die Durchkapitalisierung der Stadt sah. Denn nichts anderes waren Projekte wie der Dresdener Neumarkt: Disneyland gewordene Investorenträume.

In Berlin wurde stattdessen Wert darauf gelegt, was die Menschen vor Ort sagen. So folgte auf „Alte Mitte. Neue Liebe“ ein weiteres Werkstattverfahren, bei dem es auch um die Anbindung der benachbarten Quartiere und um den Verkehr ging. Im Wettbewerb zur Freiraumgestaltung, den nun das Büro RMP Stephan Lenzen gewonnen hat, werden die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger nach einem Ort, an dem die Stadt auch Luft holen darf, konsequent umgesetzt.

Dies infrage zu stellen, würde nicht nur das Parlament brüskieren, sondern auch die Menschen, die sich engagiert haben. Entwarnung ist dennoch nicht angesagt, eher erhöhte Wachsamkeit. Denn am 26. September könnten neue Mehrheiten neue Begehrlichkeiten wecken. Dass sich eine Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht an Absprachen hält, hat sie nicht nur beim Canceln der Bauordnung in letzter Sekunde gezeigt. Sie hat auch bereits angekündigt, das Votum eines Volksentscheids nicht anerkennen zu wollen. Uwe Rada

Dass sich eine Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht an Absprachen hält, hat sie nicht nur beim Canceln der Bauordnung in letzter Sekunde gezeigt

Uwe Radaüber Stadtplanung in Berlins alter Mitte

Ab jetzt
wieder: So
viele Noten!

Jetzt startet mit dem Musikfest die Konzertsaison: mit Maestra!

Mit dem Musikfest Berlin, das gerade begonnen hat, scheint endlich so etwas wie Normalität in den Berliner Kulturbetrieb zurückzukehren. Anders als im letzten Jahr, als internationale KünstlerInnen nicht anreisen konnten und die Zusammenrottung zu größeren Klangkörpern eh verboten war, ist nun wieder alles erlaubt. Natürlich, versteht sich, unter Auf­lagen.

An den Eingängen zur Philharmonie bilden sich lange Schlangen, denn vor dem Einlass steht die 3G-Kontrolle. Drinnen sitzt das ausgedünnte Publikum versetzt platziert. Auf den leeren Plätzen lassen sich Jacken ablegen, was viele gern wahrnehmen. Niemand schnauft einem in den Nacken, und sowieso traut sich kein Mensch mehr, in einem Konzert zu husten. Ein Schachbrettmuster aus weißen FFP2-Masken, die das ganze Konzert hindurch vom Publikum zu tragen sind, leuchtet matt im Halbdunkel des Konzertsaals. Die neue Normalität hat surrealistische Elemente.

Doch so schön das alles ist, muss man sich erst einmal daran gewöhnen, dass es nun wieder so viel zu verpassen gibt. Wie schon in jedem Jahr bis vor Corona läutet das Musikfest die Konzertsaison ein, die an allen Häusern der Stadt gleichzeitig beginnt.

Dieses Jahr mit besonderer Wucht, auch weil es Jubiläen zu feiern gibt: unter anderem im Radialsystem, das fünfzehn Jahre alt wird und sich aus diesem Anlass vom 10. bis zum 12. September ein dreitägiges multikulturelles Festprogramm gönnt. Ein deutlich älterer Jubilar ist das Konzerthaus, das bereits im Mai sein 200-jähriges Bestehen mit großem Programm hätte begehen wollen. Das durfte es jetzt zur Saisoneröffnung mit dem gebotenen Aplomb nachholen.

Und wie um die eigene Altehrwürdigkeit zu konterkarieren, wurde nur Tage später eine Pressemitteilung verschickt, der zu entnehmen war, dass ab der Saison 2023/24 dem Konzerthausorchester erstmalig eine Maestra vorstehen wird! Joana Mallwitz, bisher Generalmusikdirektorin in Nürnberg und 35 Jahre jung, folgt für mindestens fünf Jahre Christoph Eschenbach als Chefdirigentin nach. Das ist ein wahrhaft großer Coup. Mallwitz, eine tolle Musikerin und mitreißende Musikvermittlerin, wird die öffentliche Wahrnehmung des Konzerthauses enorm steigern.

Derweil lassen aber auch die Alten es noch richtig krachen. Martha Argerich (80) und Daniel Barenboim (78), die kommenden Mittwoch beim Musikfest mit der Staatskapelle und einem gemeinsamen Schumann-Abend auf dem Plan stehen, treten vorab an diesem Wochenende mit einem vierhändigen Debussy-Klavierprogramm im Boulez-Saal an. „Aufgrund der hohen Nachfrage“, verkündet dessen Website, habe sich das Duo spontan entschlossen, das Programm zweimal hintereinander zu präsentieren.

OMG, was für eine Energie! Und unsereins ist schon vom Studium der vielen Konzertprogramme erschöpft.

Katharina Granzin