Ist das Abfackeln von Luxusautos politisch?
JA

DAUERBRENNER Über 200 Brandanschläge auf Autos gab es in diesem Jahr allein in Berlin. In vielen Fällen ermittelt der Staatsschutz

Joachim Neubert (Name geändert), 26, ist in autonomen Gruppen in Rosenheim aktiv

Es ist typisch, dass gezielt versucht wird, „Gewalt an Sachen“ zu entpolitisieren. Dass so etwas bei Demonstrationen und Unruhen immer ein Mittel war, um Forderungen durchzusetzen, wird dabei ignoriert. Das Leben in Rosenheim ist von alltäglicher Repression geprägt. Zu ausgebrannten oder zertretenen Luxusautos und Neuwagen kommt es hier auch hin und wieder. Dass dahinter mehr als nur Alkoholismus steckt, ist natürlich ein Tabuthema. Aktuelle Beispiele gerade von großen Aktionen in Berlin zeugen doch offensichtlich von Taten aus Überzeugung und nicht aus blinder Wut – allein schon wegen ihrer Aufwendigkeit. Wenn ich „auf Tour“ bin, ist das nicht gerade ein Spaß, dafür sorgt schon die Angst vor Beobachtung und Strafverfolgung. Es ist für viele leider unvorstellbar, dass Menschen Dinge nicht nur aus Egoismus tun. Wenn Autos von Bonzen brennen, soll das ein Zeichen für die Menschen sein, dass sich noch Leute wehren und sie nicht alles schlucken. Dass es noch Hoffnung auf Veränderung gibt. Ich sehe mich als linksradikal, wobei radikal nicht für Gewalt steht, sondern für eine passendere Einstufung der Einstellung. Deutschland ist so anmaßend geworden, zu behaupten, dass es in diesem schönen Rechtsstaat nicht nötig wäre, Widerstand zu leisten, der nicht mit den Gesetzen konform ist. Die extrem präventive Repression gegen uns sagt da allerdings etwas anderes aus.

Julia Müller, 34, lehrt Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin

Wann ist eine Tat politisch? Wenn ihre Motivation darin gründet, gesellschaftliche Strukturen, die Verteilung von Macht zu problematisieren. Dabei dienen Gegenstände, wie Tee oder BHs, oft genug als Symbole für ein Unterdrückungsverhältnis. Deren Zerstörung wird zum politischen Akt und trifft den Nerv. Doch wenn die BrandsetzerInnen gar nicht durch Klassenkampf motiviert sind, sondern eher durch postpubertären Überschwang? Gewalt gegen Pkws ist mit Sicherheit kein emanzipatorischer Akt, doch wird sie zur politischen Tat – durch die Provokation staatlicher Gegengewalt und nicht zuletzt durch die große Resonanz der Öffentlichkeit.

Pedram Shahyar, 36, ist Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac

Politisch ist nicht nur, was sich in den staatlichen Organen oder in direkter Reaktion darauf abspielt. Ein Unbehagen gegen gesellschaftliche Zustände, die Ungleichheit produzieren, ist politisch, so auch ein Handeln, das daraus motiviert ist. Ethisch ist das Abbrennen von Luxusautos problematisch. Dennoch ist dieser Akt politisch, weil das Unbehagen gegen Gentrifizierung und Verdrängung der Armen aus Stadtteilen gesellschaftlich bedingt und real ist. Die Regierenden sollten, statt auf Verfolgung zu setzen, den politischen Kern des Problems ernst nehmen und für die Menschen in den Stadtteilen Konzepte der sozialen Sicherung schaffen. Dann werden auch die paar Luxusautos mit mehr Ruhe parken können.

Ali Zion, 23, schreibt in der Pariser Banlieue für einen Blog, der aus den Unruhen 2005 entstand

Wenn jemand sein Auto verbrennt, um eine Versicherungsprämie zu bekommen, ist das nicht politisch. Aber in der Pariser Banlieue während der Unruhen, die 2005 und 2007 auf den Tod von mehreren jungen Männern folgten, war die Sache anders. Zwar haben nicht alle Beteiligten anschließend von politischen Handlungen gesprochen. Aber angesichts der benachteiligten Lage, in der diese Banlieusards leben, haben ihre Taten eine Tragweite. Sie sind sich ihrer Situation bewusst und wissen, dass Menschen im Stadtzentrum anders leben. In diesem Sinne ist es ein politischer Akt, Autos zu verbrennen. So war auch die Antwort der Politiker nicht nur gerichtlich. Sie haben politische Maßnahmen ergriffen.

NEIN

Klaus Wowereit, 55, SPD-Politiker, ist seit 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin

Ich kann darin keinen irgendwie gearteten politischen Anspruch entdecken. Es handelt sich beim Anzünden von Autos um Brandstiftung, und damit einzig und allein um Kriminalität. Da kommt es auch nicht darauf an, ob das Fahrzeug zur Luxusklasse zählt, einem Unternehmen gehört oder einem Arbeitslosen. Diese Frage erinnert mich an die Diskussion nach 1968, in der man glaubte, Gewalt gegen Sachen von Gewalt gegen Menschen abgrenzen zu können. Ich lehne Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ab. Ohne Wenn und Aber. Davon abgesehen: Wer ein Auto in der Innenstadt anzündet, nimmt die Gefährdung von Menschen in Kauf. Das darf der Staat nicht hinnehmen, so etwas ist durch nichts zu legitimieren. Der einzige, der Gewalt kontrolliert und auf der Grundlage von Gesetzen ausüben darf, ist der Staat. Ich hoffe sehr, dass es der Berliner Polizei gelingt, mehr und mehr die Täter ausfindig zu machen. Wenn die Brandstifter behaupten, da zögen die falschen Leute in ihre Kieze, dagegen müssten sie sich wehren, dann ist das Ausweis ihrer Intoleranz – so etwas hat in einer offenen und toleranten Metropole wie Berlin keinen Platz!

Michael „Bommi“ Baumann, 62, war Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, die 120 Anschläge verübte

Wahllos Autos anzuzünden, die in der Gegend herumstehen, ist nicht mehr politisch. Selbst wenn es ein Jaguar oder ein Mercedes ist, es könnte auch einem Musiker gehören, der einfach gern sein Geld für große Autos ausgibt. Ein Mercedesbesitzer ist nicht automatisch Yuppie oder Kapitalist. Und die fortschreitende Gentrifizierung, die eine Sauerei ist, lässt sich damit sicher nicht aufhalten. Wirklich politisch wäre das Anzünden sowieso nur, wenn ich genau weiß, wem das Auto gehört. Würde zum Beispiel mal das Auto von Josef Ackermann brennen, dem Inbegriff des kapitalistischen Horrortyps, würde jeder sagen: Hurra, da hat’s endlich mal den Richtigen getroffen. Also wenn schon Nacht-und-Nebel-Aktion, dann sollte man überlegt und gezielt handeln. Anders ist das reine Randale. Und das schadet der linken Szene! CDUler sagen jetzt, die linke Bewegung besteht nur aus Randalierern, man hört sogar von einer Gleichstellung mit den Rechten. Das Abfackeln der Autos ist somit kontraproduktiv bis zum Umfallen!

Katja Kipping, 31, ist Vizebundesvorsitzende der Linken und sozialpolitische Sprecherin

Das Abfackeln von Luxusautos ist zunächst einmal unökologisch. Nachhaltiges Recycling sieht anders aus. Außerdem: Was bringt’s? Klappert die Bourgeoisie vor Angst mit den Zähnen? Ist anzunehmen, dass BesitzerInnen von Luxusautos unterversichert sind? Finden sich die Betroffenen nun in Selbsthilfegruppen, sitzen im Kreis, sprechen sich mit Vornamen an und suchen die Ursachen für ihre schändliche automobile Kaufentscheidung in schlimmen Kindheitserlebnissen? Ist eine Solidarisierung der werktätigen und erwerbslosen Massen mit den Zündlern zu beobachten? Wankt gar im nächtlichen Feuerschein das „Schweinesystem“ in seinen Grundfesten? Da kämpf ich doch lieber für ein Sozialticket oder kostenlosen Bus- und Bahnverkehr, damit alle mobil sein können. Dennoch, völlig unpolitisch ist die Sache nicht: gäbe es keine Zündler, müsste Schäuble sie erfinden.

Peter Heiduschka, 48, ist Chemiker in Münster und hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Für mich ist das Abfackeln von Autos hirnloser Vandalismus. Mit solchen Aktionen kommt man einer gerechten Welt keinen Zentimeter näher. Ich fahre selbst einen Mittelklassewagen, weil er als Familienauto praktisch ist. Das Geld dafür habe ich mir als einfacher Angestellter über Jahre zusammengespart. Bin ich deshalb nun ein Kapitalistenschwein, dessen „Statussymbol“ man zerstören muss?