Gute Kumpels unter sich

Das Strafgericht verurteilt am Montag zwei verantwortliche Manager im Bankenskandal. Ihr Auftritt im Prozess zeugt von Geldgier, fehlender Einsicht und dem Glauben, trotz allem Ehrenleute zu sein

„Das ist eine regelrechte Pogromstimmung gegen uns“, hat Banker Ulf-Wilhelm Decken am Anfang des Prozesses gesagt

VON MAREKE ADEN

Sie sehen sich nicht als Kriminelle. Ulf-Wilhelm Decken und Jochem Zeelen haben oft auf dem Gang des Strafgerichts in Moabit gestanden und konnten es nicht fassen, dass sie dort stehen mussten. Um sie herum tobte die Justiz, mit Mördern, Vergewaltigern und Dieben ging sie ins Gericht. Menschen wie Decken oder Zeelen gehörten nicht zur „Klientel“, wie die Staatsanwälte und Richter liebevoll nennen, wen sie strafen. Dann gingen die beiden wieder in den Gerichtssaal 618, wo Karin Garz-Holzmann ihnen zeigte, dass sie eben doch Klientel sind. Bankmanager, die ihre Bank in die Misere ritten. Zwei Vorstandsmitglieder eines Unternehmens – schon möglich –, aber darum noch lange nicht besser als die gemeinen Betrüger ein paar Säle weiter.

Die Vorsitzende Richterin der Wirtschaftsstrafkammer hat ihre Anträge abgeschmettert und mit den Augen gerollt bei jedem Versuch der beiden, sich als falsch platzierte Ehrenleute darzustellen. Manchmal schnalzt sie auch mit der Zunge, wenn ihre Anwälte Anträge stellen, oder schweigt, wenn es an ihr wäre, den Prozess voranzutreiben, und dieses Schweigen ist von einiger Verachtung. Einmal hat sie Decken attestiert, er würde sich mit „Wut und Hass“ gegen sie verteidigen. Die Richterin und ihre beiden Angeklagten mögen sich nicht. „Ich habe ja geglaubt, dass die Richter die Vorwürfe objektiv prüfen“, sagt Ulf-Wilhelm Decken in einer der Verhandlungspausen. „Aber nix da.“

Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Strafgericht Manager einer Landesbank mit Jahresgehältern von mehreren hunderttausend Euro wegen riskanter Geschäfte zu Angeklagten macht. Sie haben einen Immobilienfonds verkauft, der den Abnehmern zu Steuervorteilen verhalf, wie es sie sonst nur auf den Virgin Islands gibt. Nur reich mussten die Anleger sein, um sich einen Anteil für 100.000 Mark leisten zu können. Schon nach einem Jahr sollten sie ihr Geld über Steuergutschriften wieder drinhaben und trotzdem später die 100.000 Mark zurückbekommen plus Zinsen. Das war der Plan.

1993 war ein fettes Jahr, und ein besonders fettes für diejenigen, denen die LBB das Angebot per Brief machte. Denn nicht jeder durfte bei diesem Reibach dabei sein, sondern nur ein erlesener Kreis, deswegen der Name „Promi-Fonds“. Richtiger wäre der Ausdruck „Guter-Kumpel-Fonds“. Berühmt waren die Männer nur, wenn man die Wirtschaftsseiten der Zeitungen als Maßstab nimmt. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie es zu Bankchefs gebracht hatten. Der frühere Leiter der WestLB, der Chef der Nord/LB, Boss der Berliner Volksbank, Vorstand der Berlin Hyp durften mitmachen, auch die LBB-Manager Decken und Zeelen selbst investierten. Ein Geschäft wie aus einem Managermärchen.

Der Ernst-Arndt-Weg 12 verhinderte das Ganze. Hier stehen die Häuser, in die das Geld aus dem Fonds floss, ihr Verkauf sollte jene traumhaften Gewinne für die Anleger bringen. Georgia und Vasilios Tzababazi rauchen eine Zigarette nach der anderen und können dabei klären, warum es anders kam: „Leerstand“, sagt Georgia immer wieder. Sie und ihr Mann haben hier ein Restaurant gepachtet und sitzen nun in ihrer Taverne „Herkules“ zwischen korinthischen Plastiksäulen. Der Bus 179 endet vor der Tür. Führe der Fahrer noch ein Stückchen geradeaus, würde er die Berliner Stadtgrenze passieren und auf einem Brandenburger Feld stecken bleiben. Ringsum Großbaumärkte und riesige Gartenfachhandel. Mittendrin steht das Haus. Wasser läuft in die Keller und regnet durch die Oberlichter, die Hitze will im Sommer dafür nur rein und nicht raus.

Es wundert Vasilios und Georgia nicht, dass ihr Haus in einem großen Prozess wichtig ist. Ein bisschen verbrecherisch ist das alles schon. Der Prozess und das Haus, sie gehören zusammen, weil der Kaufpreis zu hoch angesetzt war, die Mieteinnahmen auch, die Baukosten zu niedrig. Dann kamen auch noch Baumängel hinzu, und 1999 stand fest, dass das Haus kaum etwas wert war und die 100.000-Mark-Anteile nichts mehr.

Es wäre fair gewesen, wenn die Manager-Promis gehaftet und Geld verloren hätten. Aber der Grundsatz „mitgefangen, mitgehangen“ galt hier nicht: Für die Verluste mussten sie nicht aufkommen, stattdessen beschloss die LBB im Jahr 2000, dass die Bankiers 75 Prozent des investierten Geldes zurückerhalten würden – auch Decken und Zeelen selbst. 224.000 Gewinn sollen sie so gemacht haben. Veröffentlicht haben sie die Rückabwicklung nicht.

So kommt es zu dem Vorwurf „Untreue“, für den Jochem Zeelen am Montag eine satte Geld-, vielleicht sogar die von der Staatsanwaltschaft geforderte Bewährungsstrafe bekommen wird. Das ist absehbar, weil Richterin Karin Garz-Holzmann Zeelen und Decken Anfang Februar schon wegen Bilanzfälschung verurteilt hat. Die Fronten sind seither verhärtet. „Das ist eine regelrechte Pogromstimmung gegen uns“, hat Decken schon am Anfang des Prozesses gesagt.

Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Die Presse hat die beiden in Ruhe gelassen. Der größte Bankenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik interessiert einen Wirtschaftsexperten von der Welt. Für die Gerichtsreporter sind Mordverfahren interessanter. Niemand kann es ihnen verdenken. In welcher Aufsichtsratssitzung, in welchem Telefonat zwischen der Controlling-Abteilung und dem Finanzvorstand haben die angeklagten Banker über die Rückabwicklung von Fondsanteilen gesprochen? Das ist zum Gähnen langweilig, und manchmal denkt man, dass die beiden Herren tatsächlich Opfer waren, weil sie mit ihrem Job schon gestraft genug waren.

Allerdings haben sie nicht umsonst gearbeitet. Deckens Gehalt war so hoch angesetzt, dass 60 Prozent davon ihm auch nach seiner Entlassung noch 19.000 Euro im Monat einbringen, Zeelen bekommt noch knapp 15.000 Euro. Bescheiden geschätzt, hatten sie als Manager jeweils ein Jahresgehalt von mehreren hunderttausend. Aber auch das verstärkt noch ihr Opfergefühl. Dass überhaupt im Prozess über ihre Gehälter geredet wurde, hat für Zeelen vor allem einen Grund: „Da wird doch nur der Neidkomplex in der Gesellschaft geschürt“, sagt er. Den nicht berechtigten Neidkomplex, selbstverständlich, es gibt so etwas wie einen gefühlten Reichtum. „Wir hätten natürlich viel mehr verdient gehabt“, sagt Zeelen. Er misst sich nicht an den Empfängern von Arbeitslosengeld II, er misst sich mit Josef Ackermann, dem Chef der Deutschen Bank, mit seinen geschätzt 10 Millionen Euro Jahresgehalt.

Das ist einer der Gründe, warum verschiedene linke Bündnisse immer mal wieder vor dem Gerichtssaal aufkreuzen. Einmal brachten sie Rosensträuße für die Angeklagten mit und eine Grußkarte: „Danke. Für die Plünderung Berlins. Die Berlinerinnen und Berliner“. Eine Bewährungsstrafe wäre für sie ein Witz. Sie machen die Manager verantwortlich für den sagenhaften Berliner Schuldenberg von 60 Milliarden Euro.

Den Schuh mit der Finanzmisere, den wollen Decken und Zeelen sich aber nicht anziehen. Selbst Karin Garz-Holzmann hat in ihrem ersten Urteil gegen die beiden zu Protokoll gegeben, dass die Bilanzfälschung nur potenziell gefährlich war für die Stadtkasse, aber nicht tatsächlich. Und die „Untreue“ hat die Landesbank laut Staatsanwaltschaft zwar tatsächlich belastet mit 900.000 Euro Miesen, aber das ist wenig im großen Skandal.

Es waren viele ähnlich riskante Geschäfte, die zum Beinahebankrott der mehrheitlich landeseigenen Bank führten. Die Staatsanwaltschaft hat eine ganze Turnhalle mit fast 6.000 Ordnern gefüllt und einen Server mit 4 Millionen Dateien, in denen es um die hundertfachen Verfehlungen der Banker geht.

Trotzdem hat der Prozess Decken zum Nachdenken gebracht über Armut und Reichtum. Er hat sich mit Zeelen gestritten in einer Verhandlungspause. Am Abend zuvor war eine Fernsehsendung gelaufen, die „Knapp bei Kasse“ hieß und von den Donner-Kirchners handelte, einer siebenköpfigen Familie, die auf 49 Quadratmetern wohnt. „Einem Arbeiter kann schon das Messer in der Tasche aufgehen, wenn er hört, wie viel Geld wir kriegen.“ Zeelen sah das anders: „Wir arbeiten auch 70 Stunden die Woche.“ Decken: „Ein Meister arbeitet für seinen Betrieb genauso viel.“ Zeelen: „Aber wir haben auch eine Riesenverantwortung und ein Haftungsrisiko und stehen jetzt hier vor Gericht.“ Decken: „Wenn ein Handwerker die Leitung falsch verlegt und es gibt einen Kurzschluss und ein Mensch stirbt, dann muss er doch auch vor Gericht.“ Ulf-Wilhelm Decken hat sich den Prozess zu Herzen genommen. Er hat einen Infarkt erlitten und ist seither verhandlungsunfähig. Er wird wahrscheinlich nicht verurteilt werden.