TOM STROHSCHNEIDER ZUR DEBATTE ÜBER EINE DEUTSCHE EU-VOLKSABSTIMMUNG
: Aus verfassungspolitischer Not

Wann ein Referendum über die Weitergabe von Hoheitsrechten an die EU stattfindet, mag noch offen sein – doch es wird kommen. Die Regierung wird aus verfassungspolitischer Not eine Tür aufreißen, an der die Befürworter von bundesweiten Volksabstimmungen lange vergeblich rüttelten. Auch die Verfassungshüter in Karlsruhe drängen. Grund zum Jubel über die Direktdemokratie besteht trotzdem nicht.

Natürlich gibt es gewichtige Argumente, endlich das Grundgesetz an die Kompetenzverschiebungen von der nationalen zur europäischen Ebene anzupassen. Und selbstverständlich ist es ein Gebot der Demokratie, über so wichtige Dinge wie die Verfassungsidentität eines Landes seine Bürger entscheiden zu lassen – und nicht allein Angela Merkel sowie ein paar Regierungsbeamte und Bankberater, denen das Grundgesetz auf irgendwelchen Euro-Notgipfeln bei der Durchsetzung ihrer angeblich alternativlosen Rettungsmaßnahmen bloß störend im Wege steht.

Doch Schäuble und Co. geht es mit ihrem Referendumsvorstoß um etwas anderes – es geht ihnen vor allem darum, der falschen Krisenpolitik mehr Legitimation zu verschaffen und den schon jetzt Übermächtigen das Durchregieren auf Brüssler Parkett zu erleichtern. Weder ist davon die Rede, die sozialen und politischen Rechte aller zu stärken, noch würde das derzeit verfolgte Austeritätsdiktat schon dadurch besser, dass es hierzulande weniger rechtliche Bedenken hervorruft. Kein Fehler der europäischen Integration würde dadurch behoben, kein Schritt zu einer gerechteren und ökologischeren Union getan.

Wenn sich die Bundesregierung jetzt an ein Referendum heranrobbt, geht es ihr nicht um die Vertiefung der Demokratie „von unten“, sondern um deren Instrumentalisierung: um das Ziel einer vertieften EU-Integration „von oben“ leichter zu erreichen.