Klimaforscher über Ampel-Verhandlungen: „Der Geist ist ein offener“

Hans Joachim Schellnhuber spricht darüber, was die nächste Bundesregierung liefern muss – und wann er fürs Klima in den Hungerstreik geht.

Schellnhuber

Deutschlands wohl renommiertester Klimaforscher: Hans Joachim Schellnhuber Foto: Stefan Boness

taz: Herr Schellnhuber, sehen Sie manchmal die brennenden Wälder in Kalifornien und denken: Ich hab ’s euch doch gesagt?

Hans Joachim Schellnhuber: Ich empfinde keinerlei Genugtuung. Es ist einfach todtraurig, das zu erleben. Je öfter man diese ebenso desaströsen wie vorhersehbaren Entwicklungen sieht, desto verzweifelter wird man.

Obwohl die Klimakrise immer greifbarer wird, bleiben die politischen Mehrheiten für einen harten Nachhaltigkeitskurs aus – das zeigt auch das Ergebnis der Bundestagswahl. Bringt der Klimakollaps unsere demokratischen Strukturen an ihre Grenzen?

Wir können unsere Demokratie noch ein bisschen ausbauen, auch wenn solche Gedanken oft belächelt werden. Das eine ist offensichtlich, nämlich dass wir junge Menschen ab 16 oder sogar 14 Jahren wählen lassen. Eine Option wäre auch, Eltern für jedes Kind eine weitere Stimme zu geben. Man kann aber noch ein bisschen weiter gehen.

Der Mensch: Deutschlands renommiertester Klimaforscher wurde 1950 im bayrischen Ortenburg geboren. Er ist Mitgründer des Potsdam-Instituts für Klima­folgen­forschung, das er bis 2018 leitete, und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umwelt­veränderungen (WBGU).

Das macht ihm Angst: Die Wahnvorstellung immerwährenden materiellen Wachstums

Das macht ihm Hoffnung: Die Überlebensfähigkeit und der Erfindungsreichtum der Natur

Soll heißen?

Im antiken Athen gab es eine spannende Phase, in der wichtige Ämter per Losverfahren verteilt wurden. Ich glaube, dass eine Demokratie dadurch belebt werden kann, dass man dem Zufall eine Chance gibt. Wenn jemandem etwa per Los für sieben Jahre Verantwortung übertragen wird, ohne Aussicht auf Wiederwahl und finanzielle Vorteile, dann würden vermutlich mutigere Entscheidungen getroffen.

Sie als Klimaexperte meinen, dass wir das Gegenteil einer Ex­per­t:in­nen­re­gie­rung brauchen?

Fachleute brauche ich auch, aber ich muss sie institutionell so einrahmen, dass ihre Macht klar begrenzt bleibt. Der Zufall würde langfristige Seilschaften und damit die Expertokratie verhindern. Wobei eine solche Reform aber für die akute Klimakrise wohl zu spät kommt.

Ein Mittelweg wäre ein zufällig ausgeloster Bürger:innenrat, der verbindlich eingebunden wird.

Ja, das wäre ein Schritt in diese Richtung. Man hat in Irland bei der Abschaffung des Abtreibungsverbots gesehen, wie hilfreich so ein Rat sein kann. Aber bisher steht man immer noch vor der roten Linie, dass diese Gremien beraten, aber nicht entscheiden dürfen. Vielleicht sollten wir nach über 2.000 Jahren wieder ein wenig attische Demokratie wagen.

In Deutschland reden wir viel über die gerechte Verteilung von Transformationskosten. Ist das der Knackpunkt, der die Mehrheiten spaltet?

Selbstverständlich müssen wir krasse soziale Härten vermeiden. Das kann zum Beispiel durch Ausgleichszahlungen sichergestellt werden, wie sie jetzt diskutiert werden. Ich glaube aber, dass nur eine nachhaltige Politik der Mehrheit auf lange Sicht einen guten Lebensstandard garantiert. Es gibt verschiedene soziale Gerechtigkeiten, die bei den Klimaverhandlungen polemisch gegeneinander ausgespielt werden.

Ist es eine Zumutung, wenn wir drei – in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und deshalb enorm privilegiert – einen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen? Es gibt eine internatio­nale Elite, die selbst eine um 4 Grad oder 6 Grad wärmere Welt bequem aushalten würde. Mir scheint, dass die Besitzstandswahrung einer Minderheit nicht so schwer wiegt wie die nackte Existenzsicherung für Milliarden Menschen im Globalen Süden.

Gerade verhandeln SPD, Grüne und FDP über eine gemeinsame Regierung. Für das Ergebnis der Sondierungen haben Umweltverbände teilweise lobende Worte gefunden. Was erwarten Sie?

Ich habe das Sondierungspapier angeschaut und bin nicht gerade hingerissen. Es enthält gequälte Kompromisse, kaum transformative Schritte. Aber der Geist dahinter ist ein offener. Ich könnte mir vorstellen, dass man in den Koalitionsverhandlungen, aber auch im Laufe der Legislaturperiode einige Dinge in Gang bringt, die man sich bis vor Kurzem nicht vorstellen konnte.

Was genau könnte das sein?

Das Allerspannendste, was jetzt vielleicht möglich wird, ist das Voranbringen sektorübergreifender Innovationen. Der unvermeidbare Übergang zu einer regenerativen Kreislaufwirtschaft erfordert, dass wir alle Sektoren miteinander verbinden. Da passen gerade Digitalisierung und Dekarbonisierung gut zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Ampel sich nach und nach an sich selbst begeistert und merkt: Oha, wir schreiben ja Geschichte! Wäre schön, wenn die drei Parteien sich jetzt über ein entsprechendes gemeinsames Narrativ Gedanken machen würden, statt um Posten zu schachern.

Würde es helfen, für Klimaschutz das Kanzleramt zuständig zu machen, wie es Umweltbundesamtschef Dirk Messner gern sähe?

Die Überlegung ist reizvoll, aber nur in einer Weise zielführend: Grundvoraussetzung muss ein Transformationsministerium sein, das Energie, Industrie, Landnutzung, Bauen und Mobilität zusammenbringt. Das hätte das größte Potenzial, die verschiedenen Bereiche systemisch zu verbinden. Eine Person im Kanzleramt, der vielleicht zehn Leute zuarbeiten, ist dieser Aufgabe nicht gewachsen.

Im schlimmsten Falle agiert derjenige als Schleuse, durch die alle Klimainnovation auf dem Weg zum Kanzler muss. Wenn es jedoch eine Staatsministerin gäbe, die als koordinierende Verbündete die übrigen Ministerien einbinden würde – gute Sache. Aber die ganze Klimapolitik im Wesentlichen vom Kanzleramt aus zu steuern, halte ich für eine Illusion.

Sie haben sich in letzter Zeit des Projekts „Bauhaus der Erde“ angenommen und wollen damit den Holzbau vorantreiben. Warum diese Nische?

Ich halte das Vorhaben, die gebaute Umwelt auf biobasierte Materialien umzustellen, für ähnlich groß und wichtig wie die Förderung der erneuerbaren Energien.

Aber ist das nicht ein Projekt der Zukunft? Wir haben doch jetzt schon Holzmangel und der Aufbau neuer Wälder kostet Zeit, sofern es nicht nur um Plantagen geht.

Zunächst ist es eine romantisierende Vorstellung, dass Bäume ausschließlich natürlich wachsen dürfen. Seit 1.000 Jahren bewirtschaften wir Wälder, und das geht sehr wohl auch nachhaltig. Das Siedlungswesen ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir verschiedene Wirtschaftsbereiche verbinden müssen.

Es ist problematisch, dem Bausektor ein bestimmtes Klimaziel zu geben und dem Forstsektor ein gesondertes. Denn was geschieht? Die großen Bauunternehmen werden es mit “grünem“ Beton versuchen und daran aus physikalischen und chemischen Gründen scheitern. Und die Förster legen ein paar Wälder still, ziehen Zäune darum und machen sie damit zu Kohlenstoff-Museen. Irgendwann ist da aber Ende der Fahnenstange, denn die Wälder sind reif und gesättigt…

… binden also gar keinen neuen Kohlenstoff mehr.

Wenn Sie stattdessen beides zusammendenken, dann schaffen Sie für die Waldpflege einen attraktiven Nachfragemarkt. Dann haben Förster einen dauerhaften Anreiz, Biomasse umweltgerecht aufzubauen. Das wäre unbedingt ein Projekt für die nächste Bundesregierung.

Wir müssen nämlich die Senkenleistung der Biosphäre stärken und dadurch der Atmosphäre CO2 entziehen. Auch die Szenarien des Weltklimarats für die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C sehen sogenannte negative Emissionen vor. Allerdings mit ungeheuren Mengen von BECCS (Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung, Anm. d. Redaktion)– ich wundere mich, dass die Öffentlichkeit das kauft.

Das heißt: Man baut Mais oder andere Pflanzen an, extrahiert in industriellen Verfahren die Energie der Biomasse, fängt das dadurch freiwerdende CO2 ab und lagert es unterirdisch. Die Technologie gilt als riskant, teuer und im großen Stil unerprobt.

Und man müsste dafür weltweit eine gigantische Infrastruktur aufbauen, “nur“ um CO2 aus der Atmosphäre herauszumelken. Also ohne andere Wertschöpfung. Ist das nicht ökonomischer Unsinn? Dass wir die Wiederentfernung von CO2 aus der Atmosphäre angehen müssen, ist klar. Aber wir sollten dies mit einer Mehrgewinnstrategie tun, insbesondere, indem wir den Kohlenstoff langfristig in Gebäuden aus biobasierten Materialien speichern.

Wie groß ist denn das Potenzial?

Wenn wir nur die zwei zusätzlichen Milliarden Menschen, die bis 2050 auf diesem Planeten erwartet werden mit organischer Architektur behausen würden, hätte das schon einen mächtigen Effekt. Das würde nämlich ca. elf Prozent des Kohlenstoff-Budgets freigeben, das wir weltweit noch haben, um die Erderhitzung auf 2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Wir reden also über eine systemrelevante Größe. Gleichzeitig würden wir einfach besseren und schöneren Wohnraum schaffen.

In einer Woche findet die Weltklimakonferenz in Glasgow statt, eine Stunde der Wahrheit für das Paris-Abkommen. Die Vereinten Nationen haben berechnet, dass die Klimaziele der Staaten noch auf 2,7 Grad Erderhitzung bis zum Jahr 2100 hinauslaufen. Scheitert „Paris“ gerade?

„Paris“ war zweifellos ein Wunschkonzert und ist trotzdem von größter historischer Bedeutung. Ich war damals extrem froh, dass dort die Zwei-Grad-Grenze völkerrechtlich vereinbart wurde.

„Deutlich unter zwei Grad“ und möglichst sogar unter 1,5 Grad soll die Erderhitzung gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt werden, steht im Abkommen.

Ja, die 1,5 Grad hatten verschiedene Staaten plötzlich ins Spiel gebracht. Das hat mich zunächst irritiert, denn das kriegen wir leider nicht mehr hin – so sinnvoll es auch wäre.

Sie halten es also für ausgeschlossen, dass wir das 1,5-Grad-Ziel noch schaffen?

Wir haben dafür praktisch keinen CO2-Spielraum mehr. Ich gehe sogar davon aus, dass wir zwischenzeitlich über die zwei Grad hinausschießen. Aber mit der Stärkung der Kohlenstoffsenken durch Wiederaufforstung, Rückgewinnung von Feuchtgebieten, organische Architektur können wir uns langsam in einen erträglichen Temperaturbereich zurückarbeiten. Hoffentlich sogar wieder unter 1,5 Grad.

Haben Sie noch Hoffnung in die internationale Klimadiplomatie, die die Emissionen im globalen Schnitt bislang nicht gesenkt hat?

Die Vereinten Nationen sind leider keine machtvolle Institution. Und Innovationen wie das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Stromwende weltweit angetrieben hat, entstehen nicht auf Klimakonferenzen. Aber man braucht das Forum, um solche Neuerungen zu verbreiten und Allianzen zu schmieden.

Zum Beispiel?

Um jemanden wie den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zu überzeugen, die Zerstörung der heimischen Regenwälder nicht weiter zu provozieren, könnte sich ein Dutzend reicher Staaten zusammenschließen und sagen: Wir pachten große Teile des Amazonasgebiets für 99 Jahre. Wir zahlen dafür einen jährlichen Zins, der mindestens so hoch liegt, wie man durch die Zerstörung erwirtschaften könnte. Brasilien würde also die territoriale Souveränität nicht aufgeben, Gewinn machen und sein Naturkapital bewahren. Klingt wie kindliche Fantasie, aber unterschätzen wir unsere Kinder nicht meistens?

Als kürzlich einige junge Menschen fürs Klima in den Hungerstreik getreten waren, baten Sie sie um Abbruch – signalisierten aber, dass Sie sich perspektivisch auch selbst einen Hungerstreik vorstellen könnten. Wann ist der Tag dafür gekommen?

Es geht einem an die Nieren, wenn so junge Menschen in den Hungerstreik gehen. In dem Alter soll man sich verlieben, Spaß haben und Pläne schmieden, aber um Gottes Willen nicht sich selbst Gewalt antun. Mit meinen 71 Jahren sähe das schon anders aus. Ich habe in einem offenen Brief an die Hungerstreikenden versucht, meinen tiefen Respekt auszudrücken und andererseits zu betonen, dass sich gerade viele politische Türen öffnen. Der Tag der Ultima Ratio kommt vielleicht in zehn Jahren. Dann werden wir wissen, ob wir die Klimakurve noch kriegen oder nicht.

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