Effekthascherei statt Visionen

RASANT Beim Flensburger Strafpunktesystem soll künftig für schwere Vergehen ein Höchstsatz von drei Punkten gelten. Zu mehr Sicherheit wird das aber kaum führen

Ein schärferes Tempolimit findet in Umfragen Mehrheiten, aber nicht im politischen Betrieb

VON OLE SCHULZ

Linker Blinker raus, Bleifuß auf dem Gaspedal und dem vor ihm fahrenden Pkw ganz nah auf die Pelle gerückt – gegen solche nervtötenden wie gefährlichen Auffahrer dürfte es bald wenigstens eine bessere rechtliche Handhabe geben als bisher.

Denn schwere Nötigung durch zu dichtes Auffahren soll bei der Reform des Flensburger Strafpunktesystems, die voraussichtlich zur Bundestagswahl im Herbst 2013 in Kraft tritt, mit dem neuen Höchstsatz von drei Punkten belegt werden.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erklärte Ende Mai, dass die angekündigte Neugestaltung der Verkehrssünderkartei in Flensburg noch einmal verschärft werden soll – durch die Einführung einer dritten Kategorie von drei Punkten. Diese sollen zur Anwendung kommen bei Straftaten wie unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Fahren im Vollrausch, unterlassener Hilfeleistung oder schwerer Nötigung durch zu dichtes Auffahren. Sie sollen zehn Jahre registriert bleiben. Da der Führerschein künftig bereits mit acht Punkten (bisher mit 18) weg sein soll, kann man von einer Verschärfung sprechen.

Angeregt zu den Nachbesserungen wurde Ramsauer nach eigenen Aussagen durch die Ergebnisse eines von seinem Ministerium eingerichteten Diskussionsforums im Internet, an dem sich rund 30.000 Menschen beteiligt haben. „Bemerkenswert“ nannte der Verkehrsminister das „gesunde Rechtsempfinden vieler Bürger“. Denn diese hatten sich mehrheitlich für zusätzliche Punkte bei schweren Vergehen ausgesprochen. Andere hätten auch eine Erhöhung der Bußgelder für Autofahrer gefordert, die an Schulbussen vorbeirasen oder während des Fahrens mit dem Handy telefonieren. Diese Forderungen seien nicht in den Änderungskatalog aufgenommen worden, gleichwohl aber ein „Denkanstoß“, so Ramsauer.

Verkehrsexperten begrüßen zwar die angekündigte Vereinfachung des Strafpunktesystems – bislang gibt es zum Beispiel sieben Punktekategorien –, halten das Reformvorhaben insgesamt aber für kaum förderlich zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Roland Huhn, Abteilungsleiter Verkehr beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), nennt das geplante System „einfacher und transparenter“, glaubt jedoch: „Zu mehr Verkehrssicherheit wird es nicht führen.“

Auch die Grünen sprechen von Effekthascherei: „Es geht dabei allein um die öffentliche Aufmerksamkeit“, sagt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), „denn es gibt schwerwiegendere Probleme bei der Verkehrssicherheit als die Reform des Punktekatalogs.“ Hofreiter zählt zu den wichtigsten Fragen zu schnelles Fahren auf „einstreifigen“ Landstraßen und Autobahnen sowie Alkohol am Steuer – zusammen führen sie weiter zu den mit Abstand meisten Unfällen.

Im Vergleich zum Beginn der 70er Jahre gibt es aber dennoch deutliche Fortschritte: 1970 waren auf den deutschen Straßen bei weitaus weniger dichtem Verkehr über 20.000 Verkehrstote zu beklagen, heute liegt ihre Zahl unter 4.000. Dazu kommen allerdings noch 60.000 Schwerverletzte, und 2011 stieg die Zahl der Verkehrstoten erstmals seit 20 Jahren um fast 10 Prozent.

Die Grünen plädieren darum wie auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) für eine konsequente Umsetzung der Strategie „Vision Zero“. Das meint eine koordinierte Vorgehensweise, das Verkehrssystem so zu gestalten, dass es zu keinen lebensbedrohlichen Verletzungen seiner Nutzer mehr kommt.

Neben striktem Alkoholverbot am Steuer gehört dazu ein schärferes Tempolimit (30/80/120 km/h). Doch der grüne Verkehrsexperte Hofreiter hält die Einführung von Tempolimits in Deutschland „im Moment politisch für sehr schwer durchsetzbar“. Gesellschaftlich sei man da schon weiter, wie Umfragen belegen, doch von den parlamentarischen Mehrheiten immer noch „sehr weit weg“.

Doch gerade Raser könnten nun von der angekündigten Flensburger Punktereform profitieren, wie der ADFC bemängelt: Weil normale Geschwindigkeitsverstöße ohne Fahrverbot mit einem Punkt eingetragen und nach zweieinhalb Jahren gelöscht werden sollen, könnte sich ein Autofahrer im Jahr bis zu drei solcher Verstöße leisten. Denn wenn im dritten Jahr ein weiterer Punkt hinzukommt, wäre der älteste von sieben Altpunkten bereits gelöscht. „Autofahrer, die durch Tempo-30-Zonen und geschlossene Ortschaften rasen, müssen also künftig weniger um ihren Führerschein fürchten“, sagt Roland Huhn vom ADFC.