Tempo 30 auf Hauptstraßen: Weniger Speed, weniger Tod

Gilt in Hamburg bald überall Tempo 30? Die Stadt prüft einen Beitritt zur Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“.

Vier Tempo-30-schilder liegen nebeinander auf Asphalt

Werden womöglich in Hamburg bald gar nicht mehr gebraucht: Tempo-30-Schilder Foto: Paul Zinken/dpa

HAMBURG taz | Wer auf viel befahrenen Straßen Tempo 30 einführen will, braucht bislang gute Gründe. Die Hamburger Linke will die Beweislast nun umkehren: In Zukunft soll Tempo 30 auf allen Straßen die neue Regelgeschwindigkeit sein. Wenn Tempo 50 gelten soll, soll das begründet werden. Derzeit gilt Tempo 30 auf vier Prozent der Hamburger Hauptverkehrsstraßen. Die Stadt, so fordert die Linke, soll Teil der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ werden.

Sieben Städte haben die Initiative im Juli 2021 gegründet. Organisiert vom Thinktank „Agora Verkehrswende“ mit Beteiligung des Deutschen Städtetages machen bereits 170 Städte und Gemeinden mit. Prominentestes Mitglied ist seit Kurzem Berlin, aber auch andere große Städte wie Köln, Frankfurt und Bremen haben sich zu den gemeinsamen Zielen bekannt.

Vom Bund fordert die Initiative als Bestandteil eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts eine rechtliche Grundlage, um Tempo 30 als neue Regelgeschwindigkeit einzusetzen. Im Kern geht es dem Bündnis auch um die eigene Deutungshoheit und Handlungsbefugnis, da die aktuelle Straßenverkehrsordnung den Kommunen die Ausweisung von Tempo-30-Zonen auf Hauptverkehrsstraßen nur in einem engen bürokratischen Korsett ermöglicht, zum Beispiel vor sozialen Einrichtungen oder Krankenhäusern.

„Dass der Antrag nicht sofort abgelehnt wurde, zeigt, dass Rot-Grün sich nicht einfach vor der Tempo-30-Frage drücken kann“, sagt Heike Sudmann, Fachsprecherin der Linken für Verkehr, gegenüber der taz. Aus der Hamburger Bürgerschaft wurde der Vorschlag an den Verkehrsausschuss überwiesen, der aller Voraussicht nach am 23. Juni über eine mögliche Mitgliedschaft in der Initiative diskutieren wird.

Unfälle verlaufen glimpflicher

Auf taz-Anfrage bekennen sich die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen zu mehr Tempo 30 und weniger Tempo 50 und versprechen eine Prüfung und Diskussion. „Als grüne Bürgerschaftsfraktion unterstützen wir die Forderung nach mehr Freiheiten für Kommunen, Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstraßen anzuordnen oder die Regelgeschwindigkeit in der ganzen Stadt entsprechend zu reduzieren“, so die Sprecherin für Mobilitätswende der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Rosa Domm.

Bei der SPD-Fraktion klingt das etwas anders: Man möchte zwar, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, insbesondere vor Schulen und Kitas mehr 30er-Zonen einrichten, will an der Regelgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde für Hauptverkehrsstraßen aber weiter festhalten.

Außerhalb des Rathauses findet der Antrag der Linken breite Unterstützung, so etwa beim BUND Hamburg. Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC fordert schon seit Jahren mehr Straßen mit Tempo 30 als Limit. Unfälle würden bei geringerer Geschwindigkeit glimpflicher verlaufen, so der ADFC in einem Positionspapier. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern überleben etwa 90 Prozent der Fuß­gän­ge­r:in­nen einen Unfall, bei Tempo 50 sind es nur 20 Prozent.

Verkehrssicherheit ist ein zentraler Aspekt in der Debatte um Tempo 30. Im Hamburger Koalitionsvertrag von SPD und Grünen ist die Reduktion von Verkehrstoten festgeschrieben, die „Vision Zero“. Dass eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 im Stadtgebiet zu einer signifikanten Reduktion von Verkehrstoten führen würde, glaubt Christian Hieff vom ADAC Hamburg aber nicht. Die meisten Unfälle passierten an Knotenpunkten wie etwa beim Abbiegen an Kreuzungen. Weil das Tempo dort in der Regel geringer sei, wäre eine Drosselung auf Tempo 30 nicht zielführend, sagt er.

Doch das Vorhaben soll nicht nur Leben retten, sondern auch die Lebensqualität erhöhen. Tempo 30 bedeute weniger Lärm, weniger Schadstoffe, mehr Aufenthaltsqualität – dieser Gleichung widerspricht Hieff. Bei Tempo 30 gebe es einen höheren Schadstoffausstoß durch Verbrennungsmotoren und eine zusätzliche Abwanderung der Au­to­fah­re­r:in­nen in Wohngebiete, wo es in der Folge dann auch lauter und dreckiger werde. Zudem werde auch der Busverkehr ausgebremst, 220 Millionen Euro für Busoptimierung habe man dann umsonst investiert.

Tatsächlich gibt es Studien, die zeigen, dass bei Tempo 30 die Feinstaubbelastungen ansteigen können. Andere Untersuchungen kommen hingegen auf positivere Ergebnisse. In Berlin sank bei einer Untersuchung die Belastung mit Stickstoffdioxid durch die Einführung von Tempo 30 um bis zu 12,8 Prozent, auch die Kohlenstoff- und Feinstaubbelastung waren rückläufig.

Kein Problem für Busse

Eine wichtige Determinante ist immer auch der Verkehrsfluss. Wenn er aufrechterhalten oder verbessert werden kann, wie etwa durch intelligente Ampelschaltungen, dann werden durch eine Temposenkung auch Schadstoffe reduziert. Eine Untersuchung aus Madrid kommt zusätzlich zu dem Ergebnis, dass sich die Fahrzeit in Innenstädten durch die Umstellung von Tempo 50 auf Tempo 30 nicht verändert, während alle Emissionswerte und der Spritverbrauch deutlich abnehmen.

Dass der Busverkehr von einer Geschwindigkeitsregulierung beeinträchtigt würde, glaubt Heike Sudmann, die auch dem Verkehrsausschuss vorsitzt, nicht. Die Abstände zwischen den Haltestellen seien teilweise so gering, dass die Busse Tempo 50 nur kurzzeitig erreichen würden. Das Busoptimierungsprogramm habe zudem Faktoren wie Fahrkartenautomaten oder die Optimierung von Abbiegesituationen gefördert, die unabhängig von der Höchstgeschwindigkeit Auswirkungen zeigten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Busse in Hamburg liegt aktuell bei 17 Stundenkilometern, je nach Linie können die Werte aber stark abweichen.

„Als vor einem Jahr die Städte­initiative startete, ging ich davon aus, dass ein grüner Verkehrssenator in Hamburg selbstverständlich dafür sorgen würde, dass Hamburg der Ini­tiative beitritt“, so Sudmann. Dass es dafür jetzt die Opposition brauche, zeige, wie stark der Einfluss der Auto­lobby noch immer sei.

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