Streik des Klinikpersonals in NRW: Zu lange beim Burnout zugesehen

Das Personal von sechs Unikliniken streikt mittlerweile seit mehr als zehn Wochen. Die Forderung: ein Tarifvertrag, der spürbare Entlastungen bringt.

Klinikpersonal auf einer Demo in NRW

Die Bezahlung kritisieren sie auch, aber aktuell geht es um Entlastung Foto: Christian Knieps/dpa

„Ich bin gerade wieder AU“, schreibt mir meine Freundin. Als ich gerade „Oh, nein, gute Besserung“ tippen will, erscheint eine zweite Nachricht: „Zum Glück.“ AU – arbeitsunfähig, krankgeschrieben. Inzwischen ist sie das häufiger. Sie hat Probleme mit den Knien und mit dem Rücken. Ihren Arbeitsalltag als Pflegerin im Krankenhaus kann sie so nicht durchhalten.

Noch vor einem Jahr hat sie es dennoch versucht, ihren Pa­ti­en­t*in­nen zuliebe. Inzwischen freut sie sich offen über jede längere Krankschreibung und denkt über eine Umschulung nach. Sich als Kindertagesbetreuerin selbstständig zu machen, ist für sie auch eine Option. Zu den körperlichen Belastungen sind bei ihr vermehrt Stresssymptome aufgetreten: Schwindel, Panikattacken. Als sie vor sechs Jahren mit der Ausbildung fertig war, hat sie ihren Job aus voller Überzeugung gemacht. Davon ist nicht mehr viel übrig.

Die Coronapandemie erhöhte die Belastung in ihrem Arbeitsalltag merklich. Aber auch zuvor machte sie Überstunden, war körperlich extrem gefordert, hatte oft Arbeitstage ohne richtige Pause. „Ich kann mich um niemanden gut kümmern, wenn es mir nicht gut geht“, sagte sie mal.

Der Alltag im Krankenhaus ist für die meisten Menschen erst dann richtig präsent, wenn sie selbst oder Angehörige gesundheitliche Versorgung dringend benötigen. Dann will man die ausgeruhte Ärztin, den freundlichen Krankenpfleger, das gut gekochte Kantinenessen und die sauberen Toiletten. Hin und wieder liest man die Schlagzeilen von zu hoher Arbeitsbelastung, von akutem und steigendem Personalmangel, von Notbetrieb in Kliniken. Aber das eben schon seit Jahren, das ist keine Neuigkeit.

Der Druck ist enorm

Auch das von Verdi organisierte Bündnis „Notruf NRW“ nahm man eher am Rande wahr. Dabei ist das ein inzwischen historischer Arbeitskampf. Schon seit dem 4. Mai läuft an den Klinikstandorten Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf, Essen und Münster ein unbefristeter Streik. Und die Beschäftigten fordern nicht mehr Geld. Sie wollen gemeinsam mit Verdi einen „Tarifvertrag Entlastung“ abschließen.

Schon jetzt haben zahlreiche Menschen im Gesundheitswesen gekündigt, um ihre eigene Gesundheit wahren zu können

Dieser soll für alle Arbeitsbereiche und Stationen konkret regeln, wie viele Beschäftigte notwendig sind, um die Arbeit ohne Überlastung durchführen zu können. Verkürzt zusammengefasst: Sie wollen nicht länger ausbrennen. Sie brauchen mehr Kolleg*innen. Zuvor hatte ein im Januar gestelltes 100-Tage-Ultimatum an die NRW-Landesregierung und den Arbeitgeberverband des Landes (AdL) keine Wirkung erzielt.

Dass das kein unerreichbares Ziel ist, wurde an der Berliner Charité vorgemacht. Die Belegschaft erstreikte erst im vergangenen Jahr einen erweiterten Tarifvertrag zur Entlastung. In Deutschland haben bislang 19 Großkrankenhäuser Vereinbarungen zur Entlastung getroffen. Inzwischen sind die NRW-Uni­kli­nik­mit­ar­bei­te­r*in­nen in der elften Streikwoche. Das ist besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, wie viel Druck bereits auf sie ausgeübt wurde.

Statt sich an den Verhandlungstisch zu setzen, versuchten die Bonner Unikliniken den Streik gerichtlich verbieten zu lassen. Ihr Eilantrag wurde zweifach abgelehnt, das Gericht sieht die Forderungen der Streikenden hinreichend begründet. Einziges Resultat: das juristische Vorgehen gegen ihren Notruf machte das Personal verständlicherweise noch wütender.

Mehr Druck auf das Personal

Auch versuchen Klinikleitende den Druck durch die Öffentlichkeit zu erhöhen. Gegenüber der Presse sprechen sie von „akut bedrohlichen Situationen“. In ­einem offenen Brief werfen Ärz­t*in­nen und leitende Uni­pro­fes­so­r*in­nen den Beschäftigten vor, dass sie den Streik „auf dem Rücken von verunfallten Patienten sowie dem ärztlichen Personal“ austragen. Als wären die Streikenden nicht gerade an der besseren Versorgung kranker Menschen interessiert.

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Auch einige Medienberichte können emotionalen Druck auf die Streikenden ausüben. Etwa kürzlich der über die wegen des Streiks verschobene Chemotherapie des zweijährigen Emils. In der Rheinischen Post sieht man Bilder von ihm und seinen Eltern. Natürlich wünscht man ihm die bestmögliche Behandlung. Doch bei den Forderungen der Streikenden geht es auch um die bessere Versorgung von kranken Kindern wie Emil. Aufgrund des Streiks – aber auch aufgrund des hohen Krankheitsstands wegen Corona – werden gerade viele Ope­ra­tio­nen verschoben. Doch ändert sich an den Arbeitsbedingungen nichts, wird immer mehr Personal ­fehlen.

Schon jetzt haben zahlreiche Menschen im Gesundheitswesen gekündigt, um ihre eigene Gesundheit wahren zu können. Jahrelang wurden die Belastungen angekreidet. Geändert hat sich zu wenig. Beim Burnout wurde zugesehen.

Der Intensivpfleger Ricardo Lange, der sich während der Coronapandemie häufig in Talkshows zur Belastung der Pflegekräfte geäußert hat, kommentiert auf seinem Twitterprofil zum Streik der Unikliniken in NRW: „Für mich ist der monatelange Streik des medizinischen Personals eine Art Offenbarungseid: Es wird einmal mehr deutlich, wie sehr auf Patienten und Mitarbeiter gepfiffen wird!“

Licht am Ende des Tunnels?

Vonseiten der Politik gab es in den vergangenen Jahren zu oft nur ein „Danke“ und warme Worte in Richtung der Pflegekräfte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte jetzt an, dass er zum 1. Januar 2024 eine neue Pflegepersonal-Regelung (PPR 2.0) einführen werde.

Die solle dazu führen, dass Kliniken so viele Pflegekräfte einstellen müssen wie benötigt. Sank­tio­nen bei Nichterfüllung werde es jedoch erst ab 2025 geben. Wie die aussehen werden, ist noch unklar. Der Gesundheitsminister hofft darauf, dass mit dieser Regelung Pflegekräfte in den Job zurückkehren, die diesen wegen der belastenden Arbeitsumstände ganz oder teilweise verlassen haben.

Dazu sind laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung in Deutschland rund 300.000 ehemalige Vollzeitkräfte bereit. Allerdings gab es die Pläne, die Lauterbach jetzt umsetzen will, bereits seit 2020. Vier Jahre müssen also ins Land ziehen, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wen kann da ein Streik verwundern?

Vor der Landtagswahl in NRW sagte der dort nun wiedergewählte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU): „Es ist ganz klar, es wird diesen Tarifvertrag geben.“ Ende Juni sagte er im Namen der schwarz-grünen Regierungs­koa­li­tion dann auch die strittige Übernahme der Kosten für die Bereiche, die nicht von Krankenkassen übernommen würden, zu. Ein möglicher Türöffner für eine baldige Einigung?

Bis zum Redaktionsschluss konnte sich Verdi-Verhandlungsführerin Katharina Wesenick dazu noch nicht äußern. Noch bis Freitagnacht sollte weiterverhandelt werden. Das Angebot, das bislang unterbreitet wurde, dividierte das Personal auseinander. Die Klinikvorstände boten eine pauschale Regelung mit bis zu sieben Entlastungstagen pro Jahr für pflegende Berufe an. Dabei wären einige in der Belegschaft leer ausgegangen.

Es macht Mut zu sehen, wie solidarisch die Streiks in den nordrhein-westfälischen Unikliniken mit dem gesamten Krankenhauspersonal sind. „Krankenhaus ist Teamarbeit. Nur wenn alle Bereiche zusammenarbeiten und funktionieren, können wir unsere Pa­ti­en­t*in­nen gut versorgen. Doch überall fehlt es an Personal“, wird die Servicekraft Elli zitiert. Pflegende, Köch*innen, Reinigungskräfte streiken zusammen. Für eine bessere Gesundheitsversorgung für alle.

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