Extrem nah dran am Kern der Fotografie

Mit „Mining Photography“ zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, wie sehr die Kunstform des Hochkapitalismus Mensch, Natur und Umwelt schadet und verbraucht

„The Nanjing Particles“ wirken wie eine Plastik. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um den Ausschnitt eines historischen Fotos: Durch millionenfache Vergrößerung lässt Simon Starling die Silberpartikel des Abzugs in den Raum treten Foto: Simon Starling/MKG

Von Falk Schreiber

Was für ein schönes Bild! „Moorblumen“ von Theodor und Oscar Hofmeister ist 1897 entstanden, zu sehen ist eine moorige Gegend im Hamburger Umland, eine Wiese mit weiß blühendem Wollgras als Vordergrund einer lieblichen Landschaft. Was als stilisierte Idylle fast wie ein Gemälde wirkt, ist allerdings eine frühe Fotografie, ein Gummidruck, der das Bild mittels von Pigmenten darstellt, Ruß, Kohle, Torf. Torf, der durch Trockenlegung und Zerstörung von Mooren abgebaut wird. In „Moorblumen“ fallen Darstellung und Dargestelltes ineinander, und dass das Bild in seiner idyllischen Schönheit eben auch die Zerstörung dieser Schönheit beinhaltet, ist bei Licht betrachtet ein ziemlicher Mindfuck.

Hamburg hat mit der „Triennale der Photographie“ die Foto­kunst unter dem Motto „Currency“ als globale Währung gefeiert, unabhängig davon, ob nun Wissen, Ästhetik oder Emotionen gehandelt werden. Das Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) spielt ein wenig den Spaßverderber in dieser Begeisterung fürs Genre: Die Ausstellung „Mining Photography“ beschäftigt sich mit dem „ökologischen Fußabdruck der Bildproduktion“. Und der war schon zu Beginn der Fotografie ziemlich groß.

Im 19. Jahrhundert wurden Salzpapierabzüge und Kupferplatten als Bildträger verwendet, später gab es Silbergelatineabzüge, was die Fotoindustrie zur weltweit wichtigsten Abnehmerin für Silber machte, Gelatine wurde aus Tierkadavern hergestellt – Fotografie existiert nur durch den massiven Verbrauch von Rohstoffen, und es ist ein Verdienst der Ausstellung, wenn sie auf die ökologischen wie auf die sozialen Verwerfungen hinweist, die der Gewinn dieser Rohstoffe mit sich bringt. „Die Geschichte der Fotografie ist verknüpft mit Industrialisierung und Kapitalismus“, beschreibt MKG-Direktorin Tulga Beyerle hier eine Kunst des Kapitalozäns.

Wobei die Fotografie nicht nur eine Rohstoffverbraucherin ist, sie ist auch in der Lage, diesen Rohstoffverbrauch zu dokumentieren. Die Ku­ra­to­r*in­nen Esther Ruelfs und Boaz Levin haben die Ausstellung (die später auch in Wien und Winterthur zu sehen sein wird) zu diesem Zweck in fünf Kapitel unterteilt, jeweils in einem Raum werden verhandelt: Kupfer/Gold, Kohle/Bitumen, Papier, Silber und Seltene Erden/Energie. Und in jedem Kapitel sieht man historische Dokumente wie die „Moorblumen“-Idylle der Hofmeister-Brüder, aber darüber hinaus gibt es Interviews mit Ex­per­t*in­nen – und es gibt zeitgenössische künstlerische Positionen, die die stoffliche Basis der Fotografie thematisieren.

Im Kapitel „Papier“ ist also die Serie „Black Box Wolfen“ von Tobias Zielony zu sehen, die die Arbeitsbedingungen der ehemaligen ORWO-Filmfabrik Wolfen in Sachsen-Anhalt in den Blick nimmt, Wolfen, das schon zu DDR-Zeiten ein bedeutender Standort der Fotoindustrie und nicht zuletzt deswegen ein ökologisch massiv belasteter Ort war. Im „Kohle/Bitumen“-Raum sind Naturfotografien von Susanne Kriemann zu sehen, bei denen die Fotografin radioaktiv belastete Pflanzenpigmente für den Druck verwendete – die fotografierten Landschaften dokumentieren den Uranbergbau in der DDR. Und im „Silber“-Raum steht Simon Starlings Skulptur „The Nanjing Particles“, ein großformatiges, amorphes Objekt, das erst einmal auf rätselhafte Weise ästhetisch wirkt.

Tatsächlich zeigt „The Nanjing Particles“ zwei Silberpartikel aus einer historischen Fotografie, in millionenfacher Vergrößerung. Gefertigt wurden die beiden Objekte in China, während die ursprüngliche Fotografie chinesische Wanderarbeiter zeigte, die 1870 als Streikbrecher in einer Fabrik in Massachusetts eingesetzt wurden. Ein Kunstwerk, das tief eindringt in die Globalisierung und die mit ihr einhergehenden Ungerechtigkeiten.

Zumindest die analoge Fotografie ist also ein globalisierter Albtraum, verknüpft mit Ausbeutung, Gewalt und Umweltzerstörung. Der Horrorcharakter der Ausstellung findet schließlich seinen Höhepunkt in den Schlachthofbildern von Madame d’Ora: „Als Veganer kann man eigentlich nicht fotografieren“, meint Kuratorin ­Ruelfs lakonisch und verweist so auf den Einsatz von Gelatine, ohne den beispielsweise Silbergelatineprints nicht funktionieren würden. Und während man sich durch diesen Albtraum kämpft, erscheint der Siegeszug digitaler Fotografie im neuen Jahrtausend wie eine Erlösung.

Fotografie ist ein Horror, von Anfang an eng verknüpft mit Ausbeutung, Gewalt und Zerstörung

Denkste. Der letzte Raum, „Das Gewicht der Cloud“, beschäftigt sich mit Ressourcen, die bei der Herstellung und Präsentation digitaler Bilder verbraucht werden, und viel besser sieht es auch da nicht aus. Seltene Erden werden in Smartphones eingesetzt, die Speicherung von Daten verbraucht große Mengen CO2, und am Ende steht Elektro­schrott, der hauptsächlich im globalen Süden verklappt wird. Zudem stehen die Handelswege für diese Rohstoffe, die Abbaubedingungen und die mit diesen einhergehenden sozialen Verheerungen ihren Entsprechungen im Analogen in nichts nach. Es hilft nichts: Fotografie ist ein Horror.

Aber ein Horror, der sich selbst zu thematisieren in der Lage ist. „Die Fotografie ist nicht alleine verantwortlich für die Klimakatastrophe“, meint Kurator Levin. „Aber Fotografie ist etwas, das man häufig für selbstverständlich nimmt.“ Die Ausstellung stellt diese Selbstverständlichkeit infrage, mit den eigenen Mitteln. Denn nicht zuletzt ist Fotografie auch ein Medium, das die Bedingungen des Mediums hinterfragen kann.

Das macht „Mining Photography“ zu einer ungemütlichen, widerborstigen Ausstellung, und die Tatsache, dass die Schau dabei immer wieder gnadenlos schöne Exponate wie die Hofmeister-Moorblumen oder Starlings riesige Silberpartikel hervorbringt, ist dabei auch nicht beruhigender. Der Qualität der Präsentation tut das aber keinen Abbruch.

Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 31. 10.Künstler*innengespräch: F&D Cartier im Gespräch mit Papierrestaurator Maximilian Muncke, 2. 10., 15 Uhr

Workshop: „Creating Natural Chemistry Chemigrams“, mit Hanah Fletcher (London), 15. 10., 14 Uhr

Führung durch die Ausstellung: 6. 10., 19 Uhr