Befreiung aus dem Parkhaus, Retter von der Rennbahn

Seit Anfang des Jahres wird die linke Zeitung „Libération“ mit dem rechten Geld des Edouard de Rothschild betrieben. Sorge um die Unabhängigkeit und Hoffnungen auf die Zukunft halten sich bislang noch die Waage

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Elisabeth Roberts, 32, ist ebenso alt wie die Zeitung, bei der sie als Medienredakteurin arbeitet. Als „Kind von Alt-68ern“ ist sie mit Libération aufgewachsen: „Es war die Zeitung, die mich aufgerüttelt und die mich empört hat“, sagt Roberts. Und „traurig“ macht es sie, dass ihr Blatt nun eine umstrittene Liaison eingegangen ist.

Sie, die Braut, heißt „Befreiung“. Trat einst an, die Monopole und den Mief der bürgerlichen Gesellschaft zu bekämpfen. Zahlte Einheitslöhne. Lehnte Werbung ab. Verzichtete auf Chefs. Und erklärte programmatisch: „Unsere Armut ist unsere Unabhängigkeit.“

Er, der Bräutigam, hat als Finanzkapitalist Karriere gemacht. Stammt aus einer der ältesten europäischen Bankiersfamilien. Trägt einen Adelstitel. Leistet sich einen Pferderennstall. Und pflegt Freundschaften mit rechten Politikern.

Zusammen wollen Libération und Edouard de Rothschild in die Zukunft gehen. Im Januar gab die Belegschaft des Blattes dem 47-jährigen Bankier ihr „Jawort“. Er brachte 20 Millionen Euro mit. Wurde Mehrheitsaktionär und bekam sechs Aufsichtsratsposten. Die Kapitalanteile der Belegschaft sackten von 36,4 auf 19 Prozent ab. Zugleich sicherten sich die Mitarbeiter eine Sperrminorität. Rothschild, der Erfahrungen als Bankier in den Unternehmen seiner Familie und als Präsident der Pferdewettgesellschaft „France Galop“ mitbringt, aber nie im Zeitungsgeschäft war, will einen „europäischen Medienpool“ aufbauen. Er plant Wochenendbleilagen für Libération, die Verbesserung ihres Vertriebs und die Senkung des Verkaufspreises. Inhaltlich einmischen will er sich nicht. In dem Parkhaus an der Rue Béranger, das Libération seit Mitte der Achtzigerjahre mietet, sorgte der Einstieg von Rothschild für große Aufregung.

Im Frieden mit dem Geld

„Wir brauchen frisches Kapital für neue Projekte“, argumentierten die Befürworter. „Wir verlieren unser letztes Stück Unabhängigkeit“, konterten die Gegner und wiesen darauf hin, dass bereits 70 Prozent der französischen Printmedien der Rüstungsindustrie gehören und es daneben keine unabhängigen Tageszeitungen mehr in Paris gibt. Beide Seiten hefteten ihre Plädoyers an die Betonwand auf der Innenseite der Rampe, auf der früher Autos im Parkhaus nach oben fuhren. „In das Gewinde“, wo auch die Löhne der Mitarbeiter ausgehängt sind. Schon seit Anfang der Achtzigerjahre veröffentlicht Libération Anzeigen. Beinahe gleichzeitig verschwand der Einheitslohn, das Kollektiv gab sich eine formale Hierarchie. Schon zuvor hatten die meisten Linksradikalen der Gründergeneration das Blatt verlassen. Bloß einer ist ununterbrochen geblieben, hat alle Krisen überlebt und ist heute unumstrittener Chef des ganzen Hauses, Redaktion und Verwaltung inklusive: Serge July.

Der frühere Maoist und Mitgründer der vom Staat aufgelösten „Gauche Prolétarienne“ ist heute „Président Directeur Général“, quasi ein Posten auf Lebenszeit. Der Vertrag zwischen Libération und Rothschild garantiert, dass July bis ins Jahr 2012 im Amt bleiben kann. Mit Verlängerungsmöglichkeit. July ist heute 62 Jahre alt. Ein großer Teil der Redakteure ist zwei bis drei Jahrzehnte jünger. Am 20. Januar votierten, aus Angst um den Arbeitsplatz, 196 von ihnen für die 20 Millionen. 130 dagegen.

Dann hat die Entführung der Libération-Reporterin Florence Aubenas und ihres Übersetzers Hussein Hanun im Irak diese Diskussion wie auch alle anderen Themen im Parkhaus überlagert. 157 Tage lang waren die Konterfeis der beiden Entführten täglich auf der Eins von Libération abgebildet. Mehrere Redakteure waren für die Unterstützungsarbeit freigestellt. Die Pläne für die Zukunft der Zeitung kehrten erst mit der Befreiung der beiden Geiseln vor zwei Wochen wieder auf die Tagesordnung zurück. In einem öffentlichen Begrüßungsbrief an die befreite Florence Aubenas spöttelte die Zeitung Canard Enchaîné: „Dein neuer Boss heißt Rothschild.“

Hoffen auf aufgeklärte Kapitalisten

Libération-Chefredakteur Antoine de Gaudemar nennt den Kapitaleinstieg eine „Art Mäzen“ und spricht von einer „langen gemeinsamen Geschichte“ zwischen dem Blatt und „aufgeklärten Kapitalisten“. De Gaudemar: „Sie kommen zu uns, weil sie Libération für wichtig für die französische Gesellschaft halten.“ Dabei nähmen sie in Kauf, „dass ihre Rentabilität niedriger ist“.

Darüber, was er mit dem frischen Kapital machen will, gibt der 53-jährige Chefredakteur erst im September Auskunft. Vorerst berät eine interne Kommission hinter verschlossenen Türen. De Gaudemar nennt Libération die „Zeitung der Zivilgesellschaft in Bewegung – links, engagiert, unabhängig, kritisch und frei“, eine „Radaranlage für die französische Gesellschaft“.

Die täglich verkauften 150.000 Exemplare – 20.000 weniger als zu den besten Zeiten von Libération – nennt er „gar nicht so schlecht“. Die dümpelnde Auflage begründet er mit der allgemeinen Tageszeitungskrise in Frankreich, der Konkurrenz durch die Gratisblätter, den Lesegewohnheiten junger Leute und der Konkurrenz durch das Internet.

Auf der Straße wird die Krise von Libération anders erklärt. Inhaltlich. Jene französischen Linken, die in den vergangenen Wochen mehrheitlich den EU-Verfassungsvertrag kritisiert haben, fühlen sich von dem Blatt im Stich gelassen. Wer auf linken Demonstrationen die Zeitung Libération erwähnt, kann einen Sturm der Entrüstung auslösen: „Sprechen Sie bloß nicht von Libération“, sagt ein führender Sozialist. „Das ist ein Propagandablatt der Herrschenden“, sagt eine Trotzkistin.

Ein Echo dieser massiven Kritik an der Berichterstattung zur EU-Verfassung dringt elektronisch auch bis ins Parkhaus vor. Hervé Marchon, der das Internet-Diskussionsforum der Libération moderiert, hat allein während der Verfassungskampagne zum EU-Thema 50.000 E-Mails bekommen, „davon die Mehrheit verfassungskritisch“. Auch seit dem 29. Mai, als 55 Prozent der Franzosen gegen die Verfassung gestimmt haben, versiegt der Diskussionsbedarf nicht. 8.721 Mails sind bislang in dem Forum über die Frage „Wie weiter nach dem Non?“ erschienen.

Der Geschäftsführer von Libération, Louis Dreyfus, kommt aus einer ganz anderen Szene. Der heute 32-Jährige hat früher in Marseille für eine Tageszeitung des Hachette-Konzerns gearbeitet. Davor war er in New York für das People-Magazin George des abgestürzten Kennedy-Sohns tätig. Als er zu Libération kam, versuchte das Blatt gerade, sich von einem unternehmerischen Fiasko zu erholen, das sich Mitte der Neunzigerjahre ereignet hatte: 1994 hatte Libération ihren „Formule 3“ genannten Relaunch lanciert und sich massiv verhoben. Das vielfarbige, 80 Seiten dicke Blatt, das den Übergang von der früheren politischen Militanz zu einer breit gefächerten Themenvielfalt zeigen sollte (Slogan: „Von Ruanda bis zur Matratze“), musste Anfang 1995 wieder eingestellt werden.

Dreyfus brauchte zwei Jahre, bis er in Rothschild den geeigneten Investor fand. Der Geschäftsführer beschreibt Libération als „linkes tägliches Magazin“, als „aktuelle Zeitung der Zivilgesellschaft“ und als attraktive Investition: „Wenn wir überhaupt Geld verlieren, dann nur wenig.“ Die Schulden des Blattes belaufen sich nach Dreyfus’ Angaben auf insgesamt 8 Millionen Euro. Im Vergleich zu den 50 Millionen Schulden von Le Monde nimmt sich das tatsächlich bescheiden aus.

Bedrohung durch die Kostenlosen

Französische Tageszeitungen verkaufen sich am Kiosk. Libération hat nur 25.000 Abonnenten, am Kiosk kostet sie 1,20 Euro – genauso viel wie die liberale Abendzeitung Le Monde und die kommunistische Zeitung L’Humanité. Und 20 Cent mehr als der konservative Figaro. Gefährlicher als diese Blätter sind die beiden täglichen Gratiszeitungen, die seit zwei Jahren direkt neben den Kiosken verteilt werden, allen voran 20 Minutes, dessen Chefredakteur Fréderic Filloux früher die Redaktion von Libération leitete und besonders das junge, städtische und konsumfreudige Publikum sucht. Während kostenpflichtige Zeitungen ihr Personal ausdünnen, hat 20 Minutes im vergangenen Jahr seine Redaktion von 30 auf 60 Beschäftigte verdoppelt. Dreyfus gibt zu, dass Libération durch die Gratisblätter „rund 5.000 Exemplare“ verloren habe, urteilt aber milde über die neue Konkurrenz: „Die meisten ihrer Leser haben vorher keine Zeitung gelesen.“

Elisabeth Roberts verdient 2.000 Euro im Monat, schlechter als Medienredakteure anderer Pariser Zeitungen. Dennoch verspricht sie sich von der Liaison mit dem Kapital eine Renaissance früherer Zeiten, „als Libération trotz Fremdkapital ihre Unabhängigkeit gewahrt hat“. Im Großraumbüro neben der Rampe im Parkhaus ist es manchmal so laut, dass Roberts Ohrenschützer von der Baustelle aufsetzen muss, um sich konzentrieren zu können. Anderswo zu arbeiten als bei „der Zeitung meiner Träume“, das kann sie sich nicht vorstellen: „Wegen der Freiheit.“