Linke Sozialprotestbündnisse in Berlin: Choose your Fighter

Viele Bündnisse rufen zu Protesten für gerechte Teilhabe und Umverteilung auf. Wie massentauglich, antikapitalistisch oder hedonistisch darf es sein?

3 unterschiedliche Protestfiguren

Mit Molli oder Megafon – für jeden was dabei Illustration: Juliane Pieper

Quartiersmanagement Grunewald

Foto: Juliane Pieper

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Also ziehen die He­do­nis­t:in­nen von MyGruni erstmals außerhalb des Tages der Arbeit ins Villenviertel. Und wie immer: Es wird spaßig. Angekündigt ist ein Punkrock-Lampionumzug, der „Licht in die dunklen Ecken des Energieverbrauch-Hot-Spots“ bringen soll. Titel: Rabimmel, Rabammel, Rabumm – einen passenden Mitgrölsong haben „The Erbschleichers“ bereits aufgenommen. Die Fragen, die an die Reichen gestellt werden sollen: „Wie die Gasrechnung, wie die Pommes, wie das Monatsticket zahlen?“ Die Themen Energie, Lebensmittel und Mobilität werden sich dabei auch in der Blockstruktur widerspiegeln. So soll es einen Bademantel-Block geben, der die Einhaltung der Kurzfristenergieversorgungssicherheitsmaßnahmenverordnung kontrollieren möchte, die das Beheizen von privaten Schwimmbecken mit Gas oder Strom aus dem Stromnetz untersagt. Sollte sich dennoch ein heißer Pool finden, wollen die Teil­neh­me­r:in­nen gern mal reinspringen.

Demo: 2. 10., 17 Uhr; Hagenplatz, Grunewald,

Heizung, Brot und Frieden

Juliane Pieper Foto: Juliane Pieper

Richtungskämpfe und Abspalterei gehören ja bekanntlich zu den Lieblingsbeschäftigungen von Linken. Hier ist das Bündnis, das sich die Herkules­aufgabe zu eigen gemacht hat, diesen Spaß bis zum Ende auszuhalten. Um alle dabeizubehalten, ist zunächst alles erlaubt, wenn es zumindest nicht offensichtlich rechts oder sonst menschenfeindlich ist. Bei einer ersten Demo Anfang September führte dies dazu, dass man sich so viel darüber in den Haaren lag, ob die Nato nun abgeschafft gehört oder Waffen liefern soll, dass über die eigentlichen Forderungen hinterher kaum gesprochen wurde: Höhere Löhne, Preisdeckel, Krisengewinne besteuern, Vergesellschaftung von Energieunternehmen. Beim Protest am Tag der Deutschen Einheit soll das alles anders werden. Pandemieleugnende und Rechte, die beim letzten Mal noch von Antifas aus der Demo gedrängt werden mussten, ­würden konsequent ausgeschlossen, heißt es. Für pro-russische Positionen gilt das aber explizit nicht. Aus dem Bündnis heißt es, für die kommende Zeit würden wöchentliche Montags­demos geplant.

Demo, 3. Oktober, 14 Uhr, Potsdamer Platz

Die Linke

Wenn es doch eine linke Partei gäbe, die in Zeiten von Abstiegsängsten und massenhafter Verarmung die Klassenfrage neu stellen und aus der Opposition ordentlichen Druck auf die Regierung entfalten könnte. Ach ja, es gibt da noch die Linke, die, soviel sei ihr zugestanden, die Zeichen der Zeit erkannt hat. Quer durch die zerstrittene Partei sieht man in Protesten eines heißen Herbstes den Strohhalm, den es zu ergreifen gilt, um aus dem Tief hinauszukommen. Die Forderungen der Partei decken sich dabei im großen Teil mit jenen der außerparlamentarischen Akteure. Das hilft der Linken aber nur bedingt, denn nicht überall sind sie als Bündnispartner gern gesehen und vor allem wollen sie auch selbst als zentraler Akteur wahrgenommen werden. Vorerst versucht es die Partei in Berlin mit kleinen Kundgebungen bislang ohne großen Zulauf.

Kundgebungen: 1. Oktober, 13.30 Uhr Eastgate, 14 Uhr Alfred-Scholz-Platz, 15 Uhr Leopoldplatz

Genug ist genug

Foto: Juliane Pieper

Der ambitionierte Versuch, den Protesten einen Rahmen zu geben, stößt auf reges Interesse. Schnell sind die Social-Media-Kanäle der Kampagne aus dem Umfeld der Zeitschrift Jacobinexplodiert, an einem bundesweiten Online-Treffen am Mittwoch beteiligten sich mehr als 400 Menschen, in einigen Städten haben sich bereits Gruppen unter dem Namen zusammengefunden. Nach dem Vorbild der britischen Protestinitiative „Enough is enough“ geht es um die Organisierung und Einbindung möglichst vieler und die praktische Unterstützung von Arbeitskämpfen. Die Interessierten, die auf der Website ein Kontaktformular ausgefüllt haben, sollen bald zu großen Saalveranstaltungen eingeladen werden. Auf der Straße sollen Rallyes organisiert werden, Kundgebungen mit Vernetzungscharakter, auf denen vor allem die Krisenbetroffenen selbst zu Wort kommen. Inwiefern sich der Onlinewind dann zu einem realen Sturm ausbreiten kann, steht aber noch in den Sternen.

Rallye: 13. Oktober, Neukölln

#Ichbinarmutsbetroffen

Mit der Armut ist es so eine Sache. Oft wird über sie gesprochen, nur selten kommen die Betroffenen selbst zu Wort. Dabei gibt es in Deutschland 13,8 Millionen arme Menschen, so die offizielle Statistik. Seit dem Frühjahr brechen die Armutsbetroffenen das Schweigen und erzählen ihre Geschichten unter #Ichbinarmutsbetroffen auf Twitter. Während der Porscheminister sich über „Gratismentalität“ echauffiert, sagen sie, dass Geldmangel kein schambehaftetes Versagen, sondern per Gesetz geschaffen wird. Unmissverständlich warnt die Initiative: „Wenn die Regierung keinen Rettungsfallschirm schickt, werden Menschen in Deutschland verhungern.“ Seit Monaten machen die Ak­ti­vis­t:in­nen darauf alle zwei Wochen auf dem Alexanderplatz aufmerksam. Nun wollen sie einen größeren Protest auf die Beine stellen, mit dem Chancengleichheit, die Besteuerung von Reichtum, eine Wohnraum- und Energiegarantie gefordert werden. Linke, die es ernst damit meinen, die Verdammten dieser Erde zu vertreten, sollten sich darum reißen, den Protest zu unterstützen.

Kundgebung: 15. Oktober, 13 Uhr, Kanzleramt

Solidarisch durch die Krise

Die größte soziale Krise seit Jahrzehnten, aber die Gewerkschaften sind abgetaucht. Fast, denn immerhin ist Verdi Teil dieses neuen sozial-ökologischen Zusammenschlusses von Großorganisationen wie der Bewegungsplattform Campact, dem BUND oder dem Paritätischen Gesamtverband. Gefordert wird eine „Gesamtstrategie für eine nachhaltige, bezahlbare Grundversorgung sowie massive Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen“. Auch die kleine NGO „Bürgerbewegung Finanzwende“ und das einst große Attac sind dabei – und verkörpern die Idee, wie das alles bezahlt werden soll: durch die Abschöpfung von Übergewinnen und der Besteuerung von großen Vermögen. Nach der Auflösung von Unteilbar könnte der Zusammenschluss die Lücke der links-bürgerlichen Großmobiliserung füllen und der erste sein, der Massen auf die Straße bringt. Denn Verdi und Campact bringen mit, was den meisten linken Gruppen fehlt: ein ansprechbares Zielpublikum außerhalb der begrenzten linken Bubble. Gespannt darf man sein, wie bratwurstmäßig die geplanten Demos riechen werden oder ob auch ein Hauch von Widerstand in der Luft liegen wird.

Demo: 22. Oktober in Berlin und weiteren Städten

Umverteilen

Mit einem breiten Forderungskatalog ist das neu gegründete Bündnis Umverteilen an die Öffentlichkeit gegangen: Dieser reicht von einem Preisdeckel­ für Strom, Heizkosten und Mieten über die Vergesellschaftung von Immobilien- und Energiezahlungen bis zu einem Spekulationsverbot samt Preisbindung für Nahrungsmittel. Mit dem Bündnis ist es gelungen, die großen Bewegungsakteure der Stadt zusammenzubringen: die Mietenbewegung um Deutsche Wohnen & Co enteignen, Fridays for Future oder das Umverteilungsbündnis „Wer hat, der gibt“. Angeschlossen hat sich auch das während Corona gegründete Netzwerk „Nicht auf unserem Rücken“, das klassenkämpferische Akteure wie „Hände weg vom Wedding“ umfasst. Erwartet werden darf eine klassische linke Bündnisdemo, zu der sich die Einzelorganisationen wie Puzzle­teile zusammenfügen. Wie gut es außerparlamentarischen Linken gelingen kann, über ihre eigene Szene hinaus Menschen anzusprechen dürfte sich hier entscheiden.

Demo: 12. November; Infos zu Ort und Zeit auf umverteilen.jetzt

Der Preis ist heiß!

Sie organisieren sich in einer öffentlich zugänglichen Versammlung und wollen keine Reformen, sondern die Revolution: Unter dem Motto „Der Preis ist heiß“ ist am 23. September erstmals ein loser Zusammenschluss von Autonomen und An­ar­chis­t:in­nen durch Kreuzberg gezogen. Forderungen an die Regierung wurden dort nicht gestellt – vom kapitalistischen Staat erwartet man nichts, außer sein Ende. Die Devise lautet Selbsthilfe und Basisorganisation. Beim Protest schloss man sich deshalb der derzeit auch bei Po­li­ti­ke­r:in­nen beliebten Mode an, Tipps zum Umgang mit der sozialen Krise zu geben. „Leute lasst das Shoppen sein, steckt die Sachen einfach ein!“, schallte es zum Beispiel über Kreuzbergs Straßen. Der Anar­chismus besticht mit Simplizität: Wer keine Wohnung hat, der soll besetzen, wer kein Essen hat, der soll doch plündern. In der Offenen Versammlung soll eine Vernetzung an der Basis ermöglicht werden, „ohne die Einflussnahme von politischen Parteien oder Institutionen des Staats“, wie es auf auf Indymedia hieß. Mit kommenden Aktionen ist zu rechnen.

Offene Versammlung: Jeden Sonntag um 14 Uhr, Bethanien, Kreuzberg

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