Nach Wagenknecht-Rede im Bundestag: Der Letzte macht das Licht aus

Ulrich Schneider, der prominenteste Soziallobbyist der Republik, ist aus der Linken ausgetreten. Anlass ist die Bundestagsrede Sahra Wagenknechts.

Ulrich Schneider am Montag in der Bundespressekonferenz

Hat seinen Austritt aus der Linkspartei erklärt: Soziallobbyist Ulrich Schneider Foto: Jörg Carstensen/dpa

Nun also auch noch Ulrich Schneider. Während sie lautstark einen „heißen Herbst gegen die soziale Kälte der Regierung“ propagiert, hat ausgerechnet der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Linkspartei verlassen. Gegangen ist der wohl prominenteste Soziallobbyist der Republik wegen einer nicht minder prominenten Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzenden, die seit Jahren behauptet, die Linke würde sich nicht mehr um die soziale Frage kümmern. Klingt verrückt, oder? Es ist aber nachvollziehbar.

Anlass für Schneiders Austritt ist der unsägliche Auftritt von Sahra Wagenknecht am vergangenen Donnerstag im Bundestag, bei dem sie in einer vor Nationalismus triefenden Rede behauptet hatte, die Bundesregierung habe einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun“ gebrochen. Was sie dort vom Stapel gelassen habe, sei zu viel für ihn gewesen, twitterte Schneider am Montagabend.

Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Denn zu der gehört auch, dass er seiner bisherigen Partei noch eine Chance gegeben hatte. Sie hat sie nicht genutzt. Am Samstag nahm Schneider als Gast an der Klausurtagung des Parteivorstandes im brandenburgischen Rathenow teil. Dort hörte er sich auch die Diskussion mit dem unbelehrbaren Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch an. Erst danach ist Schneider gegangen. Es war mehr als ein räumlicher Abschied.

Die erst im Juni neugewählte Parteiführung um Martin Schirdewan und Janine Wissler hätte am Wochenende ein klares Zeichen setzen können, dass sie nicht bereit ist, eine Fraktionsspitze zu tolerieren, die Wagenknecht und ihrem Fanclub weiter ein Forum für ihr zerstörerisches Handeln bietet. Wenn Schirdewan und Wissler mutig gewesen wären, dann hätten sie sich die Forderungen des Offenen Briefes der ostdeutschen Landespolitikerinnen Katharina König-Preuss, Jule Nagel und Henriette Quade, zu eigen gemacht: Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion und Rücktritt von Bartsch und Amira Mohamed Ali. Sie waren nicht mutig.

Spaltung nur noch nicht offiziell vollzogen

Die Parteiführung hätte begreifen müssen, dass es nicht mehr reicht, konsequenzenlos herumzulamentieren. Sie hat es nicht begriffen. Stattdessen wurde ein zahnloser Beschluss gefasst, in dem vor einer Spaltung der Partei gewarnt wurde. Ohne Ross und Rei­te­r:in zu nennen. Und als wäre diese nicht ohnehin schon da. Tatsächlich ist die Spaltung nur noch nicht offiziell vollzogen.

Das Wagenknecht-Lager hat mit der Linken gebrochen. Es schaut nur noch mit Verachtung auf all jene, die in der Partei seinen deutsch-nationalen und gesellschaftspolitisch konservativen Kurs nicht mitgehen wollen. Mit ihm ist eine demokratisch-sozialistische Alternative links von SPD und Grünen nicht mehr möglich. Da hilft auch nicht, wenn die Parteiführung die Einheit der Partei beschwört. Da geht nichts mehr zusammen.

Hinter den Kulissen arbeiten die Wa­gen­knech­tia­ne­r:in­nen längst an der Trennung. Wobei einer ihrer Fanatischsten, der Ex-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, auf dem Berliner UZ-Pressefest der DKP bereits das Ziel verraten hat: eine Konkurrenzkandidatur zur Europawahl 2024. Das weiß auch die Linken-Führung, zieht aber die falschen Schlüsse daraus. Sie will auf Biegen und Brechen keinen Vorwand für die ohnehin bevorstehende Abspaltung liefern. Damit möglichst wenige mitgehen, will sie es Wagenknecht & Co. möglichst schwer machen, sich als Ausgrenzungsopfer zu inszenieren.

Weckruf oder Kipppunkt?

Dieser Taktizismus hat einen gravierenden Fehler: Er führt dazu, dass sich immer mehr derjenigen frustriert von der Linkspartei abwenden, die sie dringend bräuchte, um noch eine Zukunft zu haben. So wie Ulrich Schneider. Denn er und zahlreiche andere integere demokratische Linke halten es mit dem rechtsoffenen Populismus von Wagenknecht & Co. schlicht nicht mehr in einer Partei aus.

Ihr Abschied ist ein schleichender. Schneider ist nicht der Erste und wird ganz sicher nicht der Letzte sein. In dieser Woche geht der eine, in der nächsten die andere. Die Partei zerbröselt. Zur Freude der Wa­gen­knech­tia­ne­r:in­nen. Die werden irgendwann mit einem Knall gehen – wenn nur noch ein Scherbenhaufen übrig geblieben ist. Und der Linkenvorstand schaut immer noch treudoof zu.

Es ist tragisch: In den Umfragen schien sich die Linkspartei gerade wieder etwas zu berappeln. Die erfolgreiche Demonstration in Leipzig gegen die unsoziale Krisenpolitik der Ampelkoalition gab vielen Mitgliedern neuen Mut. Dann kam die Rede Wagenknechts, die dokumentierte, dass keines der innerparteilichen Probleme gelöst ist. Die aufkeimende Hoffnung ist Frustration gewichen.

Der Austritt Schneiders müsse ein „Weckruf“ sein, hat ein Bundesvorstandsmitglied gewittert. Weckrufe gab es schon viele, ohne dass sie erhört wurden. Schneiders Entscheidung könnte mehr sein: ein Kipppunkt.

Angesichts der sozialen Verheerungen, die die Ampelkoalition augenscheinlich in Kauf nehmen will, wäre eine starke linke Opposition auf der Straße und im Bundestag dringender denn je erforderlich. Aber es wird immer düsterer für die Linkspartei. Selbstverschuldet. Der Bruch mit Wagenknecht & Co. hätte längst erfolgen müssen. Dafür fehlt jedoch auch der derzeitigen Parteiführung offenkundig der Mut und die Kraft. Und Dietmar Bartsch macht zum Schluss das Licht aus.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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