Klagen für den Volksentscheid

Oppositionsfraktionen und Bürgerinitiativen wollen sich kastrierte Volksgesetzgebung nicht bieten lassen und rufen Verfassungsgericht an

Seit gestern muss sich das Hamburgische Verfassungsgericht mit der Beschneidung der Volksgesetzgebung befassen. Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und GAL klagen gegen das von der CDU-Mehrheit beschlossene Verbot, Volksabstimmungen an Wahltagen abzuhalten. Drei Volksinitiativen pochen auf Vertrauensschutz: Es gehe nicht an, dass die CDU mit dem neuen Gesetz für bereits laufende Verfahren die Spielregeln ändere. Der CDU-Verfassungsexperte Manfred Jäger warf SPD und GAL in einer dünnen Pressemitteilung „Effekthascherei“ vor.

Die Änderung der Volksgesetzgebung hat die CDU-Mehrheit am 27. April in der Bürgerschaft in zweiter Lesung verabschiedet. Die Idee, Volksentscheide und Wahlen zu entkoppeln, begründete Jäger inhaltlich mit dem Gebot der Gleichbehandlung: Volksentscheide, die an Wahlterminen stattfinden, hätten größere Chancen auf eine hohe Beteiligung als Volksentscheide an anderen Tagen. Eine Entkoppelung sei rechtlich einwandfrei. Jäger: „Es gibt keine Verpflichtung aus der Verfassung, dass Wahl und Volksentscheid zwingend am selben Tag durchzuführen sind.“

Die Fraktionen von SPD und GAL wollen diese Position mit einer Normenkontrollklage überprüfen lassen. Sie beziehen sich auf Artikel 50,5 der Hamburgischen Verfassung, wo es heißt: „Während eines Zeitraumes von drei Monaten vor dem Tag einer allgemeinen Wahl in Hamburg finden keine Volksbegehren und Volksentscheide statt.“ Ziel der damaligen Bürgerschaft sei es aber gerade gewesen zu vermeiden, dass Volksabstimmungen und Wahlen kurz hintereinander abgehalten würden, sagte der GAL-Abgeordnete Farid Müller.

Weitere Änderungen der CDU beziehen sich auf das Verfahren der Volksgesetzgebung. Bürgerinitiativen dürfen nicht mehr auf der Straße Unterschriften sammeln. Wer das Volksbegehren unterstützen will, soll eine „bezirkliche Dienststelle“ aufsuchen und dort unterschreiben. „Wenn ich hinter einer Sache stehe, kann von mir auch erwartet werden, dass ich diese Mühe auf mich nehme“, findet Jäger.

Die drei Volksinitiativen „VolXUni – Rettet die Bildung“, „Rettet den Volksentscheid“ und „Stärkt den Volksentscheid“ befürchten, dass es mit einer solchen Regel sehr schwer würde, genügend Unterschriften zu sammeln. Damit werde „die Volksdemokratie in Hamburg de facto abgeschafft“, kritisierte Manfred Brandt vom Verein „Mehr Demokratie“. Das sei zwar nicht verfassungswidrig, argumentieren die Initiativen, wohl aber der Versuch, diese Regel auf Initiativen anzuwenden, die bereits angemeldet waren, als das Gesetz geändert wurde. Sie plädieren auf Vertrauensschutz.

Während Jäger schlicht behauptet, darauf könnten sich die laufenden Volksinitiativen nicht berufen, sprang für diese mit Jürgen Kühling ein ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht in die Bresche. Der Vertrauensschutz ergebe sich aus dem Rechtsstaatsgebot, sagte Kühling. Maßgeblich sei dafür, ob das Volksgesetzgebungsverfahren am 17. Mai, als das neue Gesetz in Kraft trat, bereits in Gang war. Gernot Knödler