„Sonst sind deutsche Roots pfui“

Beim 1. Edelweißpiraten-Festival am Sonntag werden 20 Bands die Lieder der Kölner Jugendgruppe spielen. Deren Musiktradition war zu Unrecht lange verschüttet, sagt Initiator Jan Ü. Krauthäuser

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT

taz: Herr Krauthäuser, Sie sagen, die Edelweißpiraten könnten musikalisch und moralisch ein Vorbild sein, das man wieder aufleben lassen sollte. Wieso eigentlich, was können sie uns heute noch sagen?

Jan Ü. Krauthäuser: Sie sagen uns, dass unsere Vergangenheitsbewältigung merkwürdige Lücken aufweist. Während die Linke das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat, hat die Rechte Dinge vereinnahmt, die ihr nicht zustehen. Ein Beispiel: Die Edelweißpiraten, die ich kenne, sind überwiegend Heino-Fans. Weil Heino der einzige bekannte Künstler ist, der einen Großteil ihres Liederrepertoires in den letzten Jahrzehnten interpretiert hat. Die Lieder waren ja nicht Edelweißpiraten-spezifisch, sondern kamen aus der bündischen Jugend- und Wandervogelbewegung. Heino ist also ihr Held. Gleichzeitig hat er mit seinen Liedern auch eine rechte Klientel bedient. Aber die linke Klientel hat sich von ihren eigenen musikalischen Wurzeln einfach abgewandt. Die Folge: Von Linken werden die Edelweißpiraten bis heute nur in einem politisch-moralischen Zusammenhang anerkannt, als edle Opfer – nicht als Kulturträger. Aber was den heute noch lebenden Edelweißpiraten wie Mucki Koch oder Jean Jülich am Herzen liegt, ist junge Leute kennen zu lernen, die mit ihnen ihre Lieder singen.

Aber musikalisch ist das doch sehr rückwärts gewandt?

Wo ist rückwärts und wo ist vorwärts? Die progressiven Musikbewegungen, auf die wir uns sonst beziehen, sei es Blues, Reggae, Jazz, gehen alle zu ihren Wurzeln zurück. Was die Afroamerikaner als erste und am breitesten praktiziert haben, ist von vielen übernommen worden: sich der verschütteten Musiktradition der Vorfahren zu widmen. Aber das ist ein Motiv, das wir hoch intellektuelles Kulturvolk von Deutschen nur den Anderen zubilligen, nicht uns selbst: Denn deutsche Roots sind pfui. Und das ist ein Denkfehler!

Die Edelweißpiraten haben ja allein schon mit ihrer Musik Widerstand geleitet. Inwiefern ist das heute noch politisch, wenn man solche Musik macht?

Die Rolle von Musik ist heute natürlich ganz anders. Aber was bei uns mehr verloren gegangen ist als es hätte sein müssen, ist der kommunikative Aspekt von Musik. Dass sich die Leute vor Ort zusammen tun, das ist für mich gerade bei regionaler Musik wichtig: sich treffen und gemeinsam singen und sich dadurch auch, ob emotional oder inhaltlich, in der Gesellschaft positionieren. Zum Beispiel mit diesem Edelweißpiraten-Festival. Wir singen deren Lieder, denn wir finden das toll, was die damals gemacht haben. Und wir finden es furchtbar, wie wenig das eine Rolle spielt in unserem Geschichtsbild, in unserem Kulturkalender. Mein Wunsch wäre deshalb, die Geschichte der Edelweißpiraten im aktuellen Brauchtum zu verankern.

Gerade wurden vier ermordete Edelweißpiraten vom Regierungspräsidenten als Widerstandskämpfer anerkannt. Für die Gruppe als solche steht das noch aus. Wie sehen Sie das?

Dass Jürgen Roters jetzt die Ermordeten ehrt, ist ein erster Schritt. Natürlich sagen böse Zungen, dass es einfacher ist, Tote zu ehren als sich mit den Lebenden auseinander zu setzen. Andererseits muss man sagen, dass so eine amtliche Ehrung überflüssig wäre, wenn den Leuten die Position in der Gesellschaft und Geschichte zugebilligt würde, die ihnen zusteht. Zwar gibt es heute nicht mehr viele Störfeuer von Rechts, aber trotzdem sind die Piraten immer noch mit einem großen Verdacht belegt. Nach dem Motto: Es wird schon seinen Grund haben, dass man sie immer als Asis diskriminiert hat. Und dann müsste man eigentlich auch fragen: Was heißt denn „ehren“? Eine Urkunde in die Hand drücken – oder ein musikalisches Fest veranstalten, so wie wir es jetzt machen?

Sonntag, 26.06. ab 14.30 Uhr im Konzert Parcours im Friedenspark (Titustraße) u.a. mit La Papa Verde, Klaus der Geiger, Werle & Stankowski, Eierplätzchenband, Microphone Mafia, Rolly Brings Band sowie Mucki Koch, Jean Jülich und anderen Zeitzeugen