Zustimmung für Gaza-Abzug geht zurück

Trotz wachsender Kritik hält Israels Premier am Rückzug der Siedler aus dem Gaza-Streifen fest. Bei ihrem anstehenden Besuch will die US-Außenministerin eine Kooperation mit den Palästinensern sicherstellen. Warnung vor israelischen Extremisten

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Der Countdown zum israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen läuft. Täglich veröffentlichen die israelischen Tageszeitungen die Zahl der noch verbleibenden Tage bis zum Beginn am 15. August.

Nach anfänglichem Sympathiehoch für den Initiator des Plans, Premierminister Ariel Scharon, sank die Unterstützung im Volk vergangene Woche zum ersten Mal unter die 50-Prozent-Hürde. Zwei Monate, bevor rund 9.000 jüdische Siedler im Gaza-Streifen und im nördlichen Westjordanland aufgerufen sind, ihre Häuser zu verlassen, ist für die überragende Mehrheit der Betroffenen noch unklar, wo sie unterkommen werden und was aus den zurückgelassenen Gebäuden werden wird. Die Regierung muss darüber entscheiden, ob die Häuser der Siedler stehen bleiben oder abgerissen werden.

Zur Debatte steht, dass die Weltbank die verlassenen Gebäude aufkauft, um sie anschließend Mitarbeitern des öffentlichen palästinensischen Dienstes, darunter Sicherheitsleuten zugängig zu machen. Eine Option, die auf den Widerstand der rechts-nationalen Minister in Jerusalem stößt. Schon jetzt kündigte Finanzminister Benjamin Netanjahu an, gegen den Abzug zu stimmen. Laut Plan, müssen die Minister unmittelbar vor jeder Räumungsphase erneut ihr Okay zur Umsetzung geben.

Der Prozess geht mühsam voran. Warnende Stimmen sowohl von Seiten der Armee als auch den Universitäten, die wie Exstabschef Mosche Jaalon meinen, es könne nach dem Abzug zu einer dritten Intifada kommen, spiegeln sich auf israelischer Seite in der immer ablehnender werdenden Haltung genauso wieder, wie die jüngsten palästinensischen Raketenangriffe auf die vom Abzug betroffenen Siedlungen. Dazu kommt, dass die Zusammenarbeit mit der neuen palästinensischen Führung vorläufig auf die Errichtung von bilateralen Arbeitsgruppen beschränkt ist. Am 21. Juni ist jedoch ein erneutes Treffen zwischen Scharon und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angesetzt.

Die Kooperation zwischen beiden Parteien zu garantieren, ist das Hauptanliegen der US-Außenministerin Condoleeza Rice, die am Samstag in der Region erwartet wird. Abbas genoss bei seiner US-Reise Ende Mai einen herzlichen Empfang im Weißen Haus mit finanziellen Zusagen und gleichzeitig überraschend wenig Kritik, was in Israel mit Skepsis verfolgt wurde. Die Kooperation mit den Palästinensern sei „keine Bedingung“, so erklärte der neue Stabschef Dan Chalutz am Dienstag gegenüber der Online-Ausgabe von Yediot Achronot. Selbst Feuerüberfälle könnten die Räumung nicht aufhalten. „Wenn geschossen wird, werden wir uns darum kümmern“, sagte Chalutz. Bislang hatte man sich in Jerusalem an das anderslautende Motto „Kein Abzug unter Feuer“ gehalten.

Doch die israelischen Sicherheitskräfte beschäftigt inzwischen längst nicht mehr nur der palästinensische Terror. „Es gibt solche, die hoffen, dass der Abzug nicht stattfinden wird“, meinte Scharon mit Blick auf seine Gegner unter den jüdischen Siedlern und kündigte noch im gleichen Atemzug an, die festgelegte Zeittafel einzuhalten: „Nichts, auch keine illegalen Aktionen, wird die Umsetzung des Abzugsplans verzögern. Israel wird Gaza und das nördliche Samaria verlassen.“ Awi Dichter, ehemals Chef des Nachrichtendienstes Shin Beth, warnte am Wochenende erneut vor einem möglichen Mordanschlag gegen den Premierminister.

Der Versuch, den Abzug auf dem Rechtsweg zu stoppen, scheiterte Ende letzter Woche, als zehn der insgesamt elf Richter am Obersten Gerichtshof in Jerusalem das letzte juristische Hindernis aus dem Weg räumten. Mit vier kleinen Änderungen, darunter einer Regelung, auch die unter 21-Jährigen in den Genuss der Reparationszahlungen beim Gaza-Abzug kommen zu lassen, entschieden die Obersten Richter über die Korrektheit des im Januar ratifizierten „Räumungs- und Wiedergutmachungsgesetzes“.

Eine Gruppe jüdischer Siedler hatte das Gericht davon zu überzeugen versucht, dass das Gesetz gegen die israelische Verfassung verstoße. In dem Urteil heißt es nun, dass Westjordanland und Gaza-Streifen „unter Besatzung“ stehen und nicht unter israelisches Recht fallen. Die Richter zielen damit bereits auf mögliche weitere Abzüge aus dem Westjordanland ab.

Der stellvertretende Premierminister Schimon Peres kündigte bereits wiederholt an, dass „mit Gaza angefangen, aber nicht aufgehört werden wird“. Doch die erst vor wenigen Wochen von der Regierung beschlossene Neuerrichtung mehrerer tausend neuer Wohneinheiten für jüdische Siedler im Westjordanland lässt allerdings das Gegenteil befürchten. Und erst vor zwei Wochen beschied die Stadtverwaltung von Jerusalem den Abriss von 88 Gebäuden im arabischen Ostteil Jerusalems an. Eine Entscheidung, die Bürgermeister Uri Lupolianski indes derzeit einer erneuten Prüfung unterzieht.