Naturentfremdetes Getier

AUSSTELLUNG Das naturkundliche Landesmuseum in Hannover zeigt in seiner Schau „Im Reich der Tiere“ 200 Präparate und 100 Kunstwerke rund ums Tier – und bleibt dabei doch sehr leblos

Die Bilder und Skulpturen wirken allemal lebendiger als das ganze ausgestopfte Bestiarium

Eine Ausstellung, die mit Albrecht Dürers Rhinoceros beginnt, gibt die Richtung vor: Der Mensch macht sich ein Bild vom Tier. „Im Reich der Tiere“, wie die Ausstellung im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover betitelt ist, aber gibt es nicht das Tier an sich.

Das dürersche Rhinoceros von 1515 hat kein Vorbild, Dürer hat nie ein Panzernashorn gesehen, er hat sich beschreiben lassen, wie es aussieht. Anderen Exponaten aber liegt Anschauung zugrunde und mehr als das: Die haben alle mal gelebt! In Zoo und Wildpark, in der so genannten freien Wildbahn, im Haus, auf dem Hof. Und hier stehen sie, um das Reich der Tiere zu repräsentieren. 200 Tierpräparate und 100 Kunstwerke sind versammelt, viele der Präparate zur Gegenüberstellung und Verbindung arrangiert und einem Gemälde zugeordnet.

Da finden sich etwa beim Bild „Vogelpredigt des Heiligen Franziskus“ von Taddeo di Bartolo Ente, Elster, Sperling, Specht, Dompfaff wieder, neben Max Liebermanns und Max Slevogts Bildern „Papageienmann“, beide von 1901, sind es Kakadu, Aras, Graupapagei oder Wellensittiche, oder neben Carl Hagemeisters „Erlegter Eber“ das Wildschwein. Und wo es auf den Bildern um die Jagd geht, darf er nicht fehlen: der Kopf des Würgers vom Lichtenmoor, diesem legendär gewordenen Wolf der niedersächsischen Nachkriegszeit. Zu manchen abartigen Exponaten haben Zollämter verholfen, zu Handtaschen aus den Ledern gefährdeter Arten, Wolfspelzmantel oder Elfenbeinobjekten. Nicht zu verhindern im Reich der Tiere.

Mit Themenräumen will das Museum zur Entdeckungsreise einladen, und Themen sind unter anderem „Geliebt und genutzt: Hunde und Pferde“, „Auf dem Bauernhof“, „Im Studierzimmer“ – auch mit dem monströsen Nachweis menschlichen Sammeleifers in Form von Insektenkästen mit aufgespießten Käfern oder Faltern – oder „Untiere“ mit Drachen, apokalyptischen Reitern, Faun, Hydren und anderen der Fantasie entsprungenen Wesen.

Dazu haben Studierende des Studiengangs Mediendesign der Hochschule Hannover den computeranimierten Kurzfilm „Nachts im (Landes-)Museum“ gedreht, dem der Spaß an der Arbeit ebenso wie die handwerkliche Genauigkeit anzusehen ist: Der Drache aus dem Kreuzigungsaltar von Hans Raphorn verfolgt einen Nachtwächter durchs Museum.

Die Tierpräparate in der Ausstellung sollen das künstlerisch Dargestellte lebendig erscheinen lassen. Aber das Lebendige zu zeigen, ist bei aller guter Absicht nicht unbedingt Sache von naturkundlichen Museen. Diese Ansammlung von Präparaten in den Räumen hat etwas Naturentfremdendes. „Hautnahe Begegnung mit Tieren“, wie es im Pressetext heißt? Vielmehr ist es die hautnahe Begegnung mit abgezogenen Häuten, mit Tieren in Erstarrung.

Und so fällt das Gezeigte seltsam auseinander. Die Bilder und Skulpturen wirken allemal lebendiger als das ganze ausgestopfte Bestiarium. Denn die bewegte Auseinandersetzung mit dem Tier findet in der Kunst statt, auch dort, wo sie nichts sein will als wirklichkeitsabbildend. August Gauls kleine Skulpturen, Heinrich von Zügels Kuhbilder, Maria Sibylla Merians Kupferstiche von Faltern und ihren Metamorphosen, Julia Schmids Bleistiftzeichnungen von Wölfen und die anderen: Sie machen anschaulich, wie der Mensch auf das Tier blickt.

Dann fällt allerdings auch auf, was in diesem Reich der Tiere fehlt: Es ist der humananimalische Aspekt. Der Mensch kommt als Objekt, so wie die Tiere, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Und doch ist es ganz und gar sein Reich. Denn wer hier Blicke und Bilder bestimmt, ist der Mensch. Ein Tier, das sich für etwas Besseres hält, doch, wie Friedrich Nietzsche befürchtet, von den Tieren nur „als das wahnwitzige, als das unglückselige Tier“ betrachtet wird.

Der Mensch, der in dieser Ausstellung den Blick von Tieren erleben will, muss in den Museumsinnenhof gehen, zu Deutschem Zwerg-Reichshuhn und Hannoverschem Tümmler, Raritäten unter den Hühnerrassen. Von ihnen zumindest kurz angesehen zu werden, ist ein Glück.  CLAUDIA TOLL

„Im Reich der Tiere. Streifzüge durch Kunst und Natur“: Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, bis 12. August 2012. Katalog zur Ausstellung: Wienand Verlag Köln, 25 Euro