Night out

BANKER Vor einem Jahr noch war London das Zentrum der Wirtschaftskrise. Niemand entkam der Endzeit- stimmung. Doch verändert hat das nur die, die ihren Job verloren haben. Wer oben geblieben ist, macht weiter wie bisher. Eine Nacht in der britischen Hauptstadt

■ Am Ende des Jahres 1 nach der Lehman-Pleite sind die Banker der Londoner City gespalten in Sieger und Verlierer. Von den fünf großen Banken machen Barclays und HSBC wieder Milliardengewinne. Die Halbjahresbilanzen beider Institute, die ohne Staatshilfen durch die Krise gekommen waren, wiesen jeweils rund 3 Milliarden Gewinn aus, Barclays in Pfund, HSBC in Dollar. Grund waren vor allem Gewinne im Investmentbanking. Auch wenn weiterhin platzende Kredite drohen: Die Krise scheint für diese Banken vorerst vorbei.

■ Anders ist die Lage bei den drei mehr oder weniger verstaatlichten Instituten. Die Royal Bank of Scottland, die zu 70 Prozent in Staatsbesitz ist, meldete einen Nettoverlust von 1 Milliarde Euro und kündigte für die kommenden zwei Jahre schwache Ergebnisse an. Die Nothern Rock, die nur durch die komplette Verstaatlichung gerettet wurde, leidet noch immer unter faulen Hypothekenkrediten und machte 724 Millionen Pfund Verlust.

■ Noch schlechter waren die Zahlen bei der Lloyds Banking Group, zu 43 Prozent im Staatsbesitz. Die Bank, die während der Krise die vom Konkurs bedrohte Bausparkasse HBOS übernommen hatte, meldete einen Verlust von 4 Milliarden Pfund. (step)

VON JUDITH LUIG

20 Pfund – das ist der Stand des Taxometers, als der Wagen um elf Uhr abends in Notting Hill vorfährt. „Warten Sie“, sagt Najeed. Er springt aus dem Taxi und schließt die Tür des klassisch-viktorianischen Hauses auf. Drinnen auf einer dunklen, ledernen Wohnzimmercouch liegen seine Mitbewohner und spielen Wii Golf auf einem riesigen Plasmabildschirm. „Los, los“, befiehlt Najeed. „Ich habe draußen das Taxi stehen.“ – Es ist Freitagabend. Thank God It’s Friday. Mitten in London. „Wer jetzt nicht das Partywochenende einläutet, der verdient es nicht, dass er unter der Woche Arbeit hat“, sagt Najeed.

Letzte Woche gab es die neuen Zahlen: Fast 8 Prozent der Briten sind arbeitslos. Von April bis Juni haben 220.000 Menschen ihren Job verloren. Angesichts der Veröffentlichung der Statistik gestand die Bank of England ein, dass die Rezession gewaltiger sei, als man noch vor drei Monaten vermutet habe. Aber die, die als Verursacher der Krise gelten, Banker wie Najeed und seine WG, die aus allen Ecken der Erde nach London gezogen sind, haben sich längst wieder gefangen. Und „Rezession“ ist mittlerweile schon ein Grund zu lachen und die am meisten bedachte Rubrik in den Leserwitzen auf der Homepage des Guardian.

8 Pfund später hat Najeed seine Mitbewohner endlich im Auto. Er hat sie mit einem simplen Trick aus dem Haus gekriegt: Wettbewerb. Der Investmentbanker hält den Freunden einfach seinen Tag vor: um vier Uhr morgens vom Chef geweckt, raus zum Flughafen, rein in den Flieger nach Madrid, Kunden neun Stunden lang vom Firmenzusammenschluss überzeugen, Deal abschließen, Geld von A nach B schieben und um neun Uhr abends zurück nach London. Najeed gilt bei seinem Arbeitgeber als Talent, und das hat er heute bewiesen. Er hat jetzt keine Lust auf Alltag.

„Und was habt ihr gemacht?“, hat er die anderen lachend gefragt. Das hat gezogen. In Tims Bank ist gerade nicht viel zu tun, er hat sich den ganzen Tag bemüht, nicht durch Untätigkeit aufzufallen. Emil ist seit der Lehman-Pleite arbeitslos, wenn er jetzt auch noch nicht mit ausgeht, dann gehört er endgültig nicht mehr zu der Bankerwelt, die gerade wieder Fahrt aufgenommen hat. Der erste Teil hat geklappt: Die Männer sind da, es fehlen die Frauen.

Auf den Straßen Großbritanniens wird seit Lehman laut über jeden, der im Finanzsektor etwas zu sagen hat, geschimpft. Aber auf den Straßen sind die, die es etwas anginge ja ohnehin nicht. Sie fahren Taxi.

Mit 28 Pfund auf dem Zähler fährt das Taxi bei Nada vor. „Sich irgendwo verabreden und dann jeden dahin kommen lassen, das machen nur die absoluten Proleten“, erklärt Najeed. Solche Sätze, das merkt man, gefallen ihm.

Najeed verhält sich gerne wie das Ebenbild all dessen, was die Menschen draußen um die Blase so an den Investmentbankern hassen. Er gibt sich überheblich, elitär, Freizeit heißt für ihn automatisch Konsum, Arbeit ist gleich Wettbewerb. Irgendwie scheint er zu glauben, dass die ironische Distanz, die er zu seiner Verkörperung aller Stereotypen über Banker einnimmt, ausreicht, um ihn aus der Verantwortung zu nehmen. Er weiß, dass es draußen ganz anders aussieht als in seiner Gehaltsklasse in guter Nähe zu den 500.000, ändern tut das für ihn aber nichts.

Vor vier Jahren ist der 30-jährige Pakistaner nach London gekommen. Davor hat er auf einem Eliteinstitut in Frankreich seinen MBA gemacht, nach fünf Jahren als Ingenieur, studiert hat er in den USA, seine Mutter ist Model, sein Vater ist der wichtigste Arbeitgeber der 2,5-Millionen-Stadt, aus der er kommt.

Nada ist eine sichere Adresse, wenn man noch was losmachen will, egal um welche Uhrzeit und an welchem Tag. Sie steigt mit ihrer Cousine ins Taxi, wartet schmallippig, bis Najeed sagt: „Du siehst toll aus.“ Nada managt eine Galerie – das heutige Äquivalent zu einer Boutique – man verkauft zu obskuren Öffnungszeiten ein bisschen überteuerten Schischi. Nada hatte mal ihre eigene Galerie– in Dubai. „Credit Crunch – say Dubai to that“, so hieß der Spruch dazu, aber Dubai reimt sich eben nur mäßig auf Goodbye, und das Ganze stellte sich eh als Irrtum raus, und Nada landete wieder in London.

Für mittlerweile 70 Pfund durchquert das Taxi einmal London – aber es geht ja ohnehin auf Firmenrechnung, da die Fahrt ja mal am Flughafen begann, als Najeed aus Madrid zurückkam. „Ich habe keine Ahnung, wo wir sind“, sagt er beim Anblick einer Art Stadtautobahn und grinst, so als wäre Orientierungslosigkeit Ausweis einer Großartigkeit. Das Verhältnis zwischen England und dem internationalen Finanzsektor, dem hier seit der Thatcher-Ära großzügige Steuervorteile eingerichtet wurden, ist gespannt. In den Edelgettos, die sich die Neuankömmlinge schufen, duldete man sie. Aber wenn sie bei den Events der „English Season“ aufkreuzen, nimmt man es ihnen übel. Als die Finanzmenschen zu Royal Ascot pilgerten, schrieb das Society Magazin Tatler: „Der Glanz der Vergangenheit ist verloren.“

Die, die als Verursacher der Krise gelten, die aus allen Ecken der Erde nach London gezogen sind, haben sich längst wieder gefangen

Sobald das Taxi bezahlt ist, nimmt der Abend Fahrt auf. Jede der Bars in der Gegend um Covent Garden kann mit einem besonderen Gimmick aufwarten, und Najeed hat sie alle raus. In der ersten muss man unbedingt einen ganz bestimmten Cocktail trinken, der natürlich nicht auf der Karte steht, in der zweiten gibt es extra eingelagerten Spezialitätenwodka, für 80 Pfund können sich Stammkunden in einer beleuchteten Regalwand ihre Flaschen hinstellen, aus denen sie sich bei jedem Besuch ihre Drinks mixen lassen, in der dritten verkehrt angeblich Prinz William, der heute aber was Besseres vorhat. In knapp zwei Stunden sind die entscheidenden Bars besucht, jetzt müssen die Clubs ran.

Mit dem nächsten Taxi geht es zu Sketch, einem Restaurant Club Bar Cafe Lounge in Mayfair, wo sogar die Toiletten etwas Besonderes sind: Auf der zweiten Etage in gedämmtem Licht erstreckt sich eine Landschaft aus Rieseneiern, die dem Besucher den Eindruck vermitteln, man betrete gerade eine Marslandschaft mit einem Raumfährenparkplatz. Drinnen sind die Kloeier genauso plastikgegossen wie ein Flugzeugklo – nur dass eben alles rund ist. „Da zu koksen ist eine echte Herausforderung“, verrät Tim. Unter der Eierkloetage ist in einer Vertiefung eine ovale Bar eingegossen, in der die Luft zwar fürchterlich ist, aber man auf jeden Fall das gute Gefühl bekommt, in einem exklusiven Ding dabei zu sein. „Die ganze Finanzwelt lebt ja ohnehin in einer Blase“, bringt Nada ihren Kunsthintergrund ein: „Das hier ist so was wie die Gestaltwerdung dieses Bildes.“

Najeed quetscht sich durch den Pulk Designerklamotten an die runde Theke und bestellt Wodka Shots – auch wenn Nadas Cousine eigentlich so aussieht, als würde sie sich gleich übergeben. Najeeds Abendbudget dürfte mittlerweile 200 Pfund überschritten haben, aber so genau weiß er das nicht mehr: Bezahlt wird hier ausschließlich mit Kreditkarten. Die kleinen Kartenlesegeräte blinken ihr Grün unablässig durch die Gegend, und man hat fast das Gefühl, sie gehörten zum Beleuchtungskonzept – ähnlich wie die Mobiltelefontasten, die ständig bemüht werden, damit man auf dem Laufenden bleibt, was sonst noch so passiert in der Stadt, man will ja nichts verpassen. Tatsächlich ruft irgendwann Paolo an und erklärt, dass er gerade in der heißesten Scheiße des Universums sei. Najeed sammelt seine betrunkene Schar, und die Stadtrundfahrt geht weiter. Vor dem Club stehen Leute Schlange, die aussehen wie Models bei einer Modenschau und auf ihren Auftritt warten. Najeed geht sofort zum Türsteher, drückt ihm 100 Pfund in die Hand, und drin sind wir. „Ich habe nix gegen Bestechung“, erklärt er, „aber wenn man über 150 Pfund bezahlt, dann beschädigt das das Ego.“

Irgendwann um sechs Uhr morgens ist Nada verschwunden, ihre Cousine auf einem Sofa eingeschlafen, Tim hat sich mit seiner Freundin, die auf einmal auftauchte, zerstritten, und Emil hat seine Jacke verloren. „Ein schöner Abend“, sagt Najeed und steigt ins Taxi.