Mein gutes Leben, Teil II

Leben als Seereise von Kontinent zu Kontinent, ganz ohne Reiseführer

Das Leben ist eine Reise. Ich habe lange Jahre gebraucht, um den Sinn dieses Satzes zu begreifen. Seit ca. zwölf Jahren fahre ich jetzt auf Frachtschiffen um die Welt. Ich reise. Von Hamburg nach Russland, nach China, nach Nord- und Südamerika, in den Golf von Mexiko, nach Indien, in die Karibik und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Meine Aufenthalte in den Hafenstädten sind kurz, häufig nur nach Stunden bemessen. Aber sie sind intensiv. Ich habe sofort Kontakt mit den Einheimischen, muss mich durchschlagen durch den Hafen und irgendwie in die Städte. Kein Touristenführer stört meine Eindrücke. Zurück zur Reise – die findet auf See statt, in der ständig wechselnden Natur. Seegang, Wolken, Sonne, Regen und Sturm. Und im Kontakt mit der Mannschaft, häufig Filipinos. Ich reise und habe Zeit. Ich kann auf die Brücke kommen, fragen und schweigen. Ich höre Musik, laut und leise. Ich lese und schreibe und maile. Ich schwimme im Pool und jogge ums Schiff. Ich beobachte stundenlang das Meer. Eine Ruhe überkommt mich, weil mich jeder in Ruhe lässt. Das Leben ist eine Reise. Und hinterlässt keinerlei Spuren.

Jürgen Banse, 61, Psychiater aus Bremen, taz-Genosse seit 1997