Plötzlich schreit einer

PUNK-RESURREKTION „Potz“ dahinter statt „Post“ davor: Das Trio Frau Potz kommt aus dem Norden und lässt all die Thesen vom Verschwinden einer einenden, musikalischen Protest-Kultur vergessen. Jetzt stellen Frau Potz ihr Debüt „Lehnt dankend ab“ vor

Frau Potz vereint alles, was Punk mal zur aufregendsten Musik der Neuzeit gemacht hat

VON LARS BRINKMANN

Als alles vorbei ist, bekommt Punk die Endung „er“ verpasst und wird zum Synonym für Obdachlose mit bunten Haaren. Die letzten Reste beerdigt die erste Welle von Hardcore in Amerika. Doch damit fängt das Problem erst richtig an. Im Anspruch libertär, aber im Kern oft dogmatisch, droht Hardcore ständig in verschiedene ideologische und lokale Kleinstszenen zu zerfallen. In anderen Winkeln der Welt sieht es nicht besser aus. Hinzu kommen Ausdifferenzierungen von Straight Edge über Emocore bis zu Hatecore, Metalcore, Crustcore und Grindcore. Am Endpunkt der Entwicklung sorgt Emo als Widergänger ohne Core im Namen für übellaunige Teenager mit tiefen Scheiteln und einem gemeinsamen Hang zur Selbstverstümmelung. Daraus entwickelt sich Screamo. Danach kommen nur noch Revivals und der ominöse Postcore – die Hölle ist ein Plattenladen mit Fächern für jedes Genre

Es bedarf jedoch nur eines Lebenszeichen einer unbekannten Band aus Norddeutschland und schon sind all die Thesen vom Verschwinden einer einenden, musikalischen Protest-Kultur vergessen. Im Video zum Song „Ach, Heiner“ sehen wir Frau Potz auf einer öden WG-Party. Plötzlich schreit einer: „Mann sind wir peinlich und kleinlich und komplett isoliert. Ohne Zeitgeist und Weitsicht, kein bisschen kultiviert.“ Das ist Felix, zwischen 2009 und 2011 auch Sänger bei Escapado. Er weiß, wie man Menschen mit der Kraft einer Sturmfront den Kopf zurecht rückt. Und spätestens wenn er die Zeile „Wenn wir Dir zu uncool sind, studier doch in Berlin!“ bellt, ist es um jeden aufrechten Norddeutschen geschehen.

Frau Potz geben ungern Interviews. Ihr erstes Album in sechs Jahren trägt den Titel „Lehnt dankend ab“. Die Release-Party ist im Februar unter Ausschluss der Medien über die Bühne gegangen. Telefoniert man der Plattenfirma hinterher, landet man irgendwann auf dem Handy einer netten Frau, die sich damit entschuldigt, dass sie „gerade an der Uni“ ist. Nach seiner momentanen Lektüre gefragt, erwähnt Hauke, Bassist der Band, dass er momentan das Buch „Kinder, die hassen“ für die Uni liest. Sind Frau Potz eine Studentenband? „Ich kann Dich beruhigen, wir haben noch nicht mal Abitur“, entgegnet Hauke mit einem Lächeln in der Stimme.

Dank unseres informellen Gesprächs weiß ich inzwischen, dass das Trio aus dem Norden kommt und Hauke seit ein paar Monaten in Hamburg an der Fachhochschule Soziale Arbeit studiert. Felix und Hauke kennen sich seit der Schule – Frau Potz war übrigens eine ihrer Lehrerinnen –, dennoch haben sie ihre Nachmittage nicht damit verbracht, sich gegenseitig Musik vorzuspielen. „Ich wünschte, es wäre so gewesen“, bekennt Hauke und erzählt mir, dass im Tourkombi meistens Hörbücher laufen.

Bei der Beschreibung von Frau Potz und ihrer Musik erschöpft sich die Kreativität der Schreiberlinge in der Verwendung des Präfixes Post. Aber auch die alles-und-nichts versprechende Zuschreibung Postcore hilft nicht wirklich weiter. Weil Frau Potz aus dem Zeitkontinuum fallen. Bei ihnen werden nicht Core-Varianten auseinander dividiert, es werden keine Grabenkämpfe angezettelt – vielmehr vereint Frau Potz alles, was Punk und Hardcore mal zur aufregendsten Musik der Neuzeit gemacht hat. Ihr Schmirgeln, der Drive und die gut versteckten Melodien erinnern an alte Helden wie Hüsker Dü, an anderen Stellen scheinen die mächtigen Wipers nicht weit und mit dem Sound macht Produzent Kurt Ebelhäuser (Blackmail) sogar einem Steve Albini und seinen Shellac Konkurrenz. Ich könnte noch ewig so weitermachen, von der alten Boston-Legende Proletariat schwärmen, an At The Drive-In und Refused erinnern, Neurosis danken und ca. 100 alte Bands als Vergleich bemühen. Ich mache es lieber kurz: Hört Frau Potz! Euer Leben wird danach nicht mehr dasselbe sein.

■ Kiel: Do, 12. 4., 21 Uhr, Schaubude, Legienstraße 40; Osnabrück: Mi, 18. 4., 20 Uhr, Bastard Club, Buersche Straße 8; Bremen: Do, 19. 4., 19.30 Uhr, Lagerhaus, Schildstraße 12-19; Flensburg: Fr, 20. 4., 21 Uhr, Volxbad, Schiffbrücke 67