Kirche in der Parklücke

Wenn nicht gerade Kirchentag ist oder der Papst stirbt, hört und sieht man nichts von der Kirche. Die Vereinigung „ProChrist“ versucht es jetzt mit offensivem Marketing

VON ANNE SEITH

Wildes Kurbeln und millimetergenaues Rangieren soll die kleinsten Kirchen der Welt in Stellung bringen. Die Missionare haben Parkplatzprobleme. Eng ist der Gehweg am ehemaligen Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie und auch sonst scheint der Platz für missionarische Tätigkeiten eher ungeeignet.

Zwischen dem riesigen Feld mit den Holzkreuzen für die Maueropfer und dem Stand mit DDR-Fahnen und Ostblockuniformen fallen die sieben quietschorangenen Smarts kaum auf. Doch die jungen Leute mit den „ProChrist“-Bändern um den Hals sind unermüdlich, mit strahlendem Lächeln ziehen sie Wasser, Cola und Flyer aus den Kofferräumen und sprudeln los, sobald jemand mit fragendem Blick nach den angebotenen Getränken greift: „Das sind die kleinsten Kirchen der Welt, wenn zwei drin sitzen, ist sie schon voll, wollen Sie sich mal rein setzen?“

70 Exemplare der Minikirchen gibt es insgesamt, 40 Wochen touren sie gelenkt von ehrenamtlichen Missionaren durch Deutschland. Sie parken vor Einkaufszentren oder bieten Gratisfahrdienste an, wie in dieser Woche, als in Berlin die U-Bahn- und Busfahrer streikten. „ProChrist“, eine von evangelischen und katholischen Gemeinden getragene Vereinigung, hat zu dem großen Werbefeldzug geblasen.

Die Kirche hat ihn bitter nötig. Allein 2003 kehrten über 310.000 Christen den beiden großen Kirchen den Rücken, nur rund 15 Prozent der Katholiken und etwa 4 Prozent der Protestanten besuchen noch den Gottesdienst.

Doch die einfachste Regel der Konsumgesellschaft – Bedürfnisse, die nicht da sind, muss man schaffen – beachten Kirchen und christliche Vereine immer noch selten. Und wenn, wirken die Aktionen oft ein bisschen müde. Aus einem alten Doppeldeckerbus wird ein „Bibelmobil“ mit Bibelausstellung und Filmetage, aus einem alten Campingbus wird das „Beichtmobil“. Durch Thüringen tourt derzeit eine aufblasbare Kirche, die ein bisschen nach Gargamels Schloss aussieht.

Geradezu skandalträchtig mutet dagegen schon die Aktion der Evangelische Landeskirche in Württemberg an. Im Stuttgarter Rotlichtbezirk ließ sie Plakate aufhängen: „Gottes Liebe dauert länger als acht Minuten.“

Dabei scheint der Moment günstig wie nie, endlich umfassend und deutschlandweit für das christliche Anliegen zu werben. Das weihrauchumwölkte Sterbe- und Inthronisationsszenario des Vatikan hat die christlichen Geister geweckt: Kirche lässt sich nach allen Regeln der Mediengesellschaft vermarkten.

Doch die Katholiken zeigen christliche Zurückhaltung. „Da muss man nüchtern bleiben“, sagt Martina Höhns, Pressesprecherin der Deutschen Bischofskonferenz, über den Hype um den Papst. Ob dieser Menschen tatsächlich zum Glauben bringen könne, sei zu hoffen, aber längst nicht sicher.

Und auch im Bistum Limburg will man trotz des offensichtlichen Marktwerts des „Papa Ratzi“ von schrillen Werbeaktionen nichts wissen. „Das können Sie für irgendeinen Rasenmäher machen, oder für ein Buch“, sagt Sprecher Michael Wittekind, „aber Kirche funktioniert anders.“ Die christliche Botschaft lasse sich nicht mit einer neuen Verpackung verkaufen.

Leicht ist das zumindest nicht, das bekommen auch die fahrenden Missionare von „ProChrist“ zu spüren. Nicht jeder lässt sich mit Cola und einem putzigen Auto auch noch die Nachricht von der Auferstehung andrehen. Am Checkpoint Charlie reißen Jugendliche den parkenden Missionaren die Becher aus der Hand und rennen weiter, ein Immobilienhändler mit schwarzer Plastiksonnenbrille und gegeltem Haar zieht spöttisch die Mundwinkel nach unten, als der Mann mit „Psalm 501“-T-Shirt im Levis-Stil von christlicher Verantwortung spricht. Beim Wort Russlanddeutsche zieht der Zuhörer die Sonnenbrille ab: „Da kommt einer und fünfe hängen dran“, sagt er und verabschiedet sich. Auch die drei Siebenjährigen, die sich später hinters Steuer setzen, interessieren sich mehr für die Knöpfe im Auto, als für die Geschichte von Moses, die ihnen der herbeigeeilte Helfer mit vielen „Ohs“ und „Wisst ihr was?“ schmackhaft machen will.

Dem missionarischen Eifer tut das keinen Abbruch. An der Berliner Uni zum Beispiel habe er tolle Gespräche gehabt, sagt ein Helfer. „Wir wollen hier ja niemanden dazu bringen, sofort auf die Knie zu fallen“, ein anderer. „Wenn jemand mal über den Sinn des Lebens redet, reicht das schon.“ Die Präsenz und der Wiedererkennungswert seien wichtig. Das glaubt auch der Münsteraner Theologieprofessor Karl Gabriel. „Die Befremdung gegenüber Religion, dieses Igittigitt wird überwunden“, findet er.

Manchmal funktioniert diese Logik an den ungewöhnlichsten Orten. Ausgerechnet in der Berliner Nachtwelt geht das Konzept der Minikirche auf. Vor dem Havanna-Club in Schöneberg ist sie in vierzehnfacher Ausführung geparkt, um den heimströmenden Gästen einen kostenlosen Fahrdienst anzubieten. Die Aktion ist klug vorbereitet: Vor allem junge Helfer, die auch selbst gern mal weggehen, wurden für die nächtliche Mission ausgewählt. Und aus der etwas biederen Salsa-Diskothek kommen die Leute meistens müde und nur selten total betrunken heraus. „Ist ja witzig“, sagen sie und lassen sich dankbar zu den Autos führen. Einzeln – schließlich hat neben dem Fahrer nur noch einer Platz. Die beste Voraussetzung für ein intimes und entspanntes Gespräch über Gott und die Welt.

Auch auf dem Parkplatz kommen Gäste und Missionare immer wieder ins Plaudern. Ein Besucher, der sich mit den Worten „born and raised in Spandau“ vorstellt, fängt wortgewandt an, aus der Bibel zu zitieren. Aus dem Mund des 28-Jährigen mit den Stoppelhaaren und der irgendwo in der Hüftgegend hängenden Hose klingen die sperrigen Bibelpsalmen ausgesprochen seltsam.

Genau das könne solche Werbung erreichen, sagt Henning von Vieregge, Geschäftsführer des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen. Dass christliche Sprache wieder überall gesprochen wird. „Ohne ein wesentlich besseres Angebot in den Gemeinden geht es aber trotzdem nicht.“

Das bisschen Schrammelrock, mit dem so manche Kirche dem Gottesdienst das Label „Jugendandacht“ verpasst, reiche da nicht. Zielgruppenorientierte Angebote müssten her, Heavy-Metal- oder HipHop-Messen beispielsweise. „Bei mir in der Gemeinde gibt es einen ‚Gottesdienst Kompakt‘, der garantiert nicht länger ist als eine Stunde. So was finden die Leute toll.“