bürgerhaushalt
: Die Macht der Ebene

Es hat schon etwas, sich von politischen Erdbeben überhaupt nicht beeindrucken zu lassen und stattdessen auf die Schnecke Fortschritt zu setzen. In Lichtenberg, wo viele Westberliner noch immer Altstalinisten und Neonazis vermuten, ist die Schnecke sogar ein gutes Stück weitergekommen. Am Mittwochabend hat die BVV den Weg frei gemacht für einen Bürgerhaushalt. Porto Alegre lässt grüßen, die Bundespolitik soll doch machen, was sie will.

KOMMENTAR VON UWE RADA

Der Möglichkeiten, den Lichtenberger Bürgerhaushalt politisch und demokratietheoretisch zu verorten, gibt es viele. Die einen werden ihn zu bürokratisch, die andern zu klein kariert finden. Linke Kritiker wiederum werden spotten, dass man die da unten das Wenige verteilen lässt, was die da oben ihnen noch zugestehen. Nicht zuletzt wird von einer Spielwiese die Rede sein oder von der Distanz zur repräsentativen, die durch einen Einstieg in die direkte Demokratie noch vergrößert werde. Woher bloß die Mutlosigkeit?

Der Bürgerhaushalt in Lichtenberg, dem in Bälde noch weitere folgen sollen, ist ein großer Schritt nach vorne. Anders als die Beteiligungsverfahren in den Siebziger- und Achtzigerjahren, bei denen es Bürgerinitiativen und Berufsbetroffene waren, die sich gegenüber einer traditionell bürgerfeindlichen Verwaltung aufstellten, nimmt das Lichtenberger Verfahren die Bewohner beim Wort. Das ist mutig, weil keiner von vornherein sagen kann, was dabei rauskommt: mehr Kitas und weniger Kultur? Mehr Straßen und weniger Jugendarbeit?

Es ist gerade diese Beteiligung mit offenem Ausgang, die den Beteiligten das Gefühl vermittelt, nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern Akteur zu sein. Das stärkt den Bürgersinn, auch wenn das Verfahren so kompliziert ist wie die politische Entscheidung selbst.

Gleichwohl hat auch die Macht der Ebene ihre Grenzen. Mitreden über die Bezirkseuros können die Lichtenberger nur da, wo der Etat nicht von Beginn an gesetzlich festgelegt ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Schnecke Fortschritt an den Bezirksgrenzen nicht Halt macht. Nicht nur Lichtenberg, auch Berlin braucht einen Bürgerhaushalt.