Seilschaften in Marokko

KLETTERN Sieben Berliner Nachwuchssportler brechen heute in den Süden Marokkos auf, um im dortigen Atlasgebirge neue Kletterrouten zu erschließen – so soll die touristische Entwicklung gefördert werden

Die letzten Kilometer werden auf Maultieren zurückgelegt

VON MORITZ FÖRSTER

Wenn die Jugendexpedition des Deutschen Alpenvereins am heutigen Freitag in Richtung Marokko aufbricht, wird sie im Fluggepäck haben: Bohrmaschinen, Schrauben, Haken und Seile – und eine Mission. Die Berliner Nachwuchssportler wollen zwei Kletterrouten im Atlasgebirge bauen. Die sollen zukünftig Individualtouristen in die bisher kaum erschlossene Taghia-Schlucht locken.

250 Höhenmeter

Die sieben Kletterer zwischen 16 und 22 Jahren und ihre beiden Betreuer haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: „Wir wollen die Attraktivität des Klettergebiets steigern und damit nachhaltig die touristische Entwicklung im benachteiligten Hinterland Marokkos stärken“, sagt der 19-jährige Adrian Lechel. Zehn Tage lang werden Lechel und seine Mitstreiter an zwei Mehrseillängenrouten arbeiten – Routen, die länger sind als eine Seillänge. Mit ihren rund fünf Kilo schweren Bohrmaschinen bohren sie dazu Löcher in die Felswand und hämmern bis zu 250 Haken hinein. Zehn und acht Seillängen sollen die Routen schließlich jeweils messen und über 250 Meter Höhenmeter überbrücken.

Der Tourismus ist für Marokko ein wichtiger Wirtschaftszweig. 2011 gaben nach Angaben des staatlichen marokkanischen Fremdenverkehrsamts mehr als neun Millionen internationale Touristen rund 5 Milliarden Euro aus – immerhin gut 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Allerdings profitieren vom Tourismus insbesondere Hochburgen wie die Hauptstadt Marrakesch oder die Küstenstadt Agadir. Das soll sich nun ändern: Unter dem Slogan „Vision 2020“ will das Fremdenverkehrsamt Touristen nun auch verstärkt für das Hinterland interessieren. „Für die Entwicklung der ländlichen Regionen ist die Initiative im nachhaltigen Tourismus von größter Wichtigkeit“, sagt Hatim El Gharbi, Geschäftsführer des marokkanischen Fremdenverkehrsamts.

In die Taghia-Schlucht im Atlasgebirge, in der vor allem Halbnomaden, Hirten und Landwirte leben, verirren sich noch selten Ausländer – Kletterpioniere jedoch schon. Fließendes Trinkwasser und Elektrizität gibt es dort nicht. Von Marrakesch aus wird die Berliner Expedition zunächst 200 Kilometer gen Osten reisen, bevor sie für die letzten Kilometer auf Maultiere umsattelt, um das auf 1.900 Höhenmeter gelegene Berber-Dorf Taghia zu erreichen. Immerhin 230 Kilogramm Kletterausrüstung werden die Maultiere dabei schleppen. „ Und notfalls müssen wir zum Aufladen der Akku-Bohrmaschinen abends auch mal in die nächste Ortschaft laufen“, sagt DAV-Jugendtrainer und Expeditionsleiter Jürgen Lembcke.

Im Urlaub entdeckt

Lembcke war es auch, der die Taghia-Schlucht während einer Urlaubsreise im vergangenen Jahr für das Projekt auserkoren hat. Zwar existierten in der Region bereits rund 150 Mehrseillängenrouten – viele davon seien aber von französischen Spitzensportlern errichtet und dementsprechend anspruchsvoll. Andere leichtere Routen hätten keine Bohrhaken. Diese Lücke sollen die DAV-Routen – gleichzeitig gut gesichert und weniger anspruchsvoll – künftig schließen.

Der DAV hat bereits 2008 mit einem ähnlichen Vorhaben Kletterrouten in Montenegro gebaut. Im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit beauftragten Projekts „Förderung von touristischen Standorten im Hinterland von Montenegro“ entwickelte unter anderem die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) seit 2006 touristische Trekking- und Wander-Angebote. Der DAV wurde von der GIZ dabei mit der Errichtung von Routen in der Gemeinde Plav im Osten Montenegros beauftragt. 25.000 Euro kostete es damals, die Routen zu bauen.

In Marokko ist der DAV nun auf eigene Faust aktiv. Kosten soll das Projekt 9.000 Euro, finanziert wird es vor allem vom DAV selbst. Die Herausforderungen sind nun jedoch größer als vor vier Jahren: Die Routen sind länger, die Umstände widriger. Nichtsdestotrotz ist die neunköpfige Expedition zuversichtlich, dass ihre beiden Kletterrouten zukünftig Individualtouristen aus aller Welt in die Taghia-Schlucht locken. Wieso ihre Reise nicht nur Abenteuer ist, sondern auch Mehrwert hinterlässt? „Wir machen das, was wir können“, sagt Jürgen Lembcke, „klettern und Routen bauen.“