KOMMENTAR VON TOM STROHSCHNEIDER
: Der Lack des Neuen

Mit jedem Erfolg werden die Piraten etwas vom Charme des Andersseins verlieren

Vor ein paar Jahren machte eine Partei Schlagzeilen mit dem Einzug in Landtage, die für sie bis dahin unerreichbar waren. Sie wollte anders sein als die „Etablierten“. Dann begann der Lack des Neuen abzuplatzen. Als sie sich erstmals Wiederwahlen stellen musste, redete niemand mehr von neuen Siegen, man raunte eher über verhinderte Abstürze.

Natürlich muss die Geschichte der Linkspartei, wie sie hier erzählt wird, nicht zur Blaupause für die Entwicklung der Piraten werden. Trotzdem drängt sich der Vergleich mit der Anti-Rot-Grün-Sammlungsbewegung im Westen auf: Zu stark ist auch der Erfolg der Politfreibeuter allein daran geknüpft, dass die Konkurrenz alt aussieht. 85 Prozent der Wähler haben die Piraten aus Frust über die anderen Parteien angekreuzt, nur 7 Prozent wegen ihrer Inhalte. Es gibt noch andere Zahlen, doch die weisen in die gleiche Richtung: Zwei Drittel stimmten aus Enttäuschung über die Politik im Allgemeinen für die Piraten, nur ein Drittel wählte sie aus Überzeugung.

„Die anderen Parteien liefern ein schlechtes Bild ab“, frohlockte ein Saar-Pirat – ein Vorteil, der mit jedem Erfolg kleiner wird. Für die Partei sind darum die drei Neuwahlen in diesem Jahr Glücksfall und Bürde zugleich. Einerseits verschaffen sie ihr die unverhoffte Chance, eine gegenwärtig hohe Zustimmung in Landtagseinzüge umzumünzen. Andererseits wird sich die Partei, in den Parlamenten angekommen, um programmatische Konsolidierung und arbeitsfähige Strukturen bemühen, sie wird sich dem medialen Raster der Politik anpassen – und mit jedem Schritt der Professionalisierung etwas vom Charme des Andersseins, des Unfertigen verlieren.

Womit wir wieder bei der Linkspartei wären. Die war der Aufsteiger der Jahre nach 2005. Und heute? „Ich hätte gerne etwas mehr gehabt“, sagt Oskar Lafontaine, „aber die Piraten haben uns ein paar Stimmen geklaut.“ Mit dem netzpolitischen Image oder dem basisdemokratischen Ruf der neuen Partei hat das so wenig zu tun wie einst der Westerfolg der Linkspartei mit dem Sozialismus.

Aber mit Protest: Heute ist es nicht mehr die Linke, die von der Verdrossenheit über die „normalen Parteien“ profitiert, sie gehört für viele längst dazu. Ein großer Teil der Linkspartei-Wähler von 2009 blieb im Saarland diesmal zu Hause – oder hat die Piraten angekreuzt. Und wie lange wird Orange erste Wahl sein, es „denen da oben“ zu zeigen?