Große Klappe, zarte Stimme

Liebe für eine merkwürdige Welt: Der amerikanische Produzent und Labelmacher Jay Haze mischt die Berliner Technoszene auf

VON PATRICK BAUER

Es ist dann der Bildschirmschoner, der eigentlich alles sagt. Do what you feel – love what you do. Die roten Lettern ziehen immer wieder über den Monitor. Bis Jay Haze hastig zur Maus greift: Er muss noch ein paar CDs brennen. Er hat keine Zeit, er hat sich verbarrikadiert hinter Laptops und Plattenkoffern, hinter Arbeit. In einem kleinen Erdgeschossstudio, Berlin-Mitte, eine Dopepfeife liegt rum, und der wacklige Bürostuhl knarzt. Jay Haze ist sehr groß und ziemlich schlaksig in seiner XXL-Lässigkeit. Er sagt: „Etwas Gutes hat die ganze Geschichte – einige Leute meiden mich jetzt. Leute, von denen ich eh nichts wissen will.“ Jay Haze hat Streit. Und er ist ein wenig wütend, auch, wenn er erwidern würde, keinerlei Hass zu verspüren. Auf niemanden.

Ellen Allien, jene Grand Dame des großmaschigen Technos, bemerkte unlängst auf Jay Haze angesprochen: „Das ist nicht Berlin-Style, wenn so ein Ami herkommt und sein Maul aufreißt.“ Dieser Ami nämlich hatte dem Szeneblättchen Groove kurz vor Veröffentlichung seines aktuellen Albums ,,Love For A Strange World“ (Kitty-Yo/Rough Trade) allerlei Angriffslustiges diktiert. Vor allem das mächtige Kölner Plattenlabel- und Vertriebsimperium Kompakt um den Technoproduzenten Michael Mayer musste einstecken. „Mischael Mayer“, wie Jay Haze sagt, hatte über Haze gelästert. Der würde auf seinem Online- und seinen drei Vinyllabels zu viel Musik herausbringen, man müsse ihn vor sich selbst schützen. Mayer riet anderen Vetrieben von Jay Haze ab. Dabei braucht der im Gegensatz zur Kölner Instanz jeden Cent. „Diese Kompakt-Leute sind ein Haufen Arschlöcher, sie rennen rum wie kopflose Hühner“, sagt Haze nun.

Jay Haze redet laut und oft in Sätzen, die an Wände gesprüht sein könnten. So fundamental klingen sie, so wunderbar amerikanisch. Sie enden dann mit einem verhallenden „fuck“. Jay Haze sagt das oft: „fuck“. Er, geboren in einem der trostlosesten Käffer Pennsylvanias, hat in den sonst so abgeklärten Berliner Kreisen elektronischer Musik für Ärger gesorgt. Nicht nur das, er hat für einen Ausnahmezustand gesorgt. Für Kontroversen. Haze hat sich mit dem Establishment angelegt. Im HipHop nennt sich so etwas wohl Dissen: „In Deutschland machen viele nur noch dieselbe elektronische Musik, es gibt viele Egos, die ihren Zenit überschritten haben und nun innerhalb einer Woche irgendwelche Tracks zu Alben zusammenwerfen. Es steckt nichts dahinter.“

Schnell hieß es, Jay Haze wolle mit seiner impulsiven Kritik lediglich ein bisschen Aufmerksamkeit erreichen. Dabei ging unter, dass der 26-Jährige nicht nur verbal überrascht, sondern auch künstlerisch. „Love For A Strange World“ ist ein bemerkenswertes Stück durchaus verkopften, aber vor allem ungewohnt zarten Minimaltechnos. Fragmenthafte Melodien, die sich fast schüchtern gegen die brüchige Dominanz von zerstörerischen Effekten auflehnen. Verzerrt, erschreckend, krächzend. Es ist typischer Minimaltechno: monoton also, durchaus atonal und hypnotisch in der nur angedeuteten Veränderung dahinklopfender Bässe.

Aber bei Jay Haze ist nicht das Hypnotische entscheidend – sondern das Pathetische. Er selbst singt, in diesen geradezu intimen Momenten so gar nicht mehr in typischer Sprachverve, von zerreißenden Schmerzen. „Feel the pain“, sprachliebkost er, oder: „The troubles I’ve seen.“ Immerzu gewillt, den quasimasochistischen Vollrausch der Gefühle auszudehnen, aber nie weinerlich. Stattdessen setzt plötzlich ein munterer Beat ein. Und sofort ist es innigster Funk, den Jay Haze herausfrickelt. Elektronischer Soul, optimistisch und voller Black Roots. Und ja: Roots sind es, die dieses düsteres Konzeptalbum auf der sehnsuchtsvollen Suche nach Liebe authentisch machen. White roots, white trash.

„Der größte Moment meines Lebens“, sagt Jay Haze, „war, als ich vor drei Jahren das erste Mal in den Spiegel schaute und mich nicht wie ein Stück Scheiße fühlte. Ich konnte mich endlich selbst lieben.“ Die Flucht aus der Enge eines Trailerparks: Alkoholabhängige Eltern, kriminelle Geschwister, keine Perspektiven. Manchmal, wenn er gerade wieder von dieser so fernen und doch immer noch so präsenten Armut spricht, dann breitet Jay Haze seine langen Arme aus. „So nah lag die Chemische Fabrik neben meinem Elternhaus.“ Alles war verseucht, reihenweise erkrankten die Dorfbewohner an Krebs. Auch seine Mutter.

Damals war Jay Haze, der schon immer raus wollte, längst abgehauen. Er war obdachlos durch San Francisco gestreunt, klar: hatte Übles erlebt. Aber er kehrte nach Hause zurück und pflegte seine Mutter. Eines Abends setzte er sich dann in die Garage, nahm ein Buch und brachte sich die Glasbläserei bei. Jay Haze, der Autodidakt. „Die Kunst war es, die mein Leben ordnete“, sagt er. Dann atmet er schwer aus. In solchen Momenten sagt er nicht „fuck“, er sagt „shit“. All die Scheiße, die er erlebt hat.

Und nun sitzt er hier vor irgendwelchen Drumcomputern und redet über Eitelkeiten von Musikproduzenten. Strange World – Jay Haze hat gelernt, sie zu lieben. Dann sagt er: „Das neue Video von Eminem ist wunderschön.“ Eminem im Wohnzimmer, Eminem mit seinen Kindern. „Er zeigt Abgründe und kein Bling Bling. Es gibt wenige, die es wie wir aus der Gosse geschafft haben.“ Davon, von diesem Weg aus der totalen Tristesse, singt Jay Haze. Oder besser: Er erzählt sie, diese schaurig-schöne Geschichte.

Jay Haze wirkt einsam in Europa. Einsam inmitten recht sorgloser Kollegen und deren recht sorglosen Bombastproduktionen. „Ich will aber nicht der Ankläger sein. Ich sage nicht: Ihr könnt gar nicht so intensiv fühlen wie ich, seht wie schlimm alles war“, sagt er. Jedoch: Das Gros aktueller Veröffentlichungen nennt Haze „Werkzeuge“ und zelebriert dabei den Gestus eines Straßenmusikers. „Die Kids haben nicht gemeinsam getanzt seit den großen Love Parades. Dabei können wir Künstler doch etwas bewegen, wenn wir wollen.“ Nun werden aber etwa im Club höchstens die Hüften bewegt – und Jay Haze ist ein gefragter DJ. Nachts, an dunklen Bars oder auf blitzenden Tanzflächen, hören ihm Leute zu, denen er ansieht, dass sie kein Wort verstehen. Sagt Jay Haze. Leute, die vielleicht in antiautoritäre Kinderläden gingen und später ihre Hände statt in Wasserfarben auf Synthesizer klatschten. „Ich musste mir vieles erarbeiten“, sagt Haze. In verschwitzten Clubs Philadelphias, jede Platte zusammengespart. Jay Haze traf Techno-Stars wie Richie Hawtin oder Ricardo Villalobos und wusste 1998: „Musik ist es, Musik hilft dir.“ In Berlin schrecken viele schon verwundert zurück, wenn er zur Begrüßung seine große Hand öffnet. Gimme five eben. Danach die Faust ans Herz. Deutschland schön und gut, meint Haze, aber bewegen könne man nur woanders etwas. „Sagen wir: in Afrika.“

Jay Haze ist ein von der Vergangenheit Getriebener – rastlos. Als Labelbetreiber überemsig, kämpft seine Musik stets um Gewichtigkeit und Aussage. „Zeigt mir jemand anderen, der so viel macht wie ich“, schimpft er. Schon als er 2003 nach Europa kam, betrieb er drei Plattenlabels. Tuning Spork als Plattform für verästelte Höraufgaben, Future Dub suchte nach dem Reggae im Techno und ,Contexterrior wollte alles sein, jeder Track ein Experiment. In Berlin war Jay Haze dann Mitgründer des erfolgreichen Techno-Netlabels Textone – und er scheitert daran, alle seiner Veröffentlichungen zusammenzuzählen, als er gerade einige Schallplatten versandfertig macht.

Als Haze vor kurzem eine Tsunami-Charity-CD plante, sagten einige Künstler ab. Er war beleidigt. Und stemmte das Projekt dennoch. Auch der Streit mit Michael Mayer resultiert letztlich aus der Gekränktheit eines Mannes, der schon immer mehr kämpfen musste als andere und empfindlich auf fehlende Anerkennung für seinen Kraftakt reagiert. „Ich fühle mich nicht als schwarzes Schaf, weil ich schon immer das schwarze Schaf war“, sagt Haze. Es klingt grundüberzeugt, vielleicht gutmenschlich: „Ich will mit meiner Musik etwas sagen: Es ist alles nicht einfach. Aber seht, ich bin immer noch da. Die Menschen müssen aufmerksamer werden, was auf der Welt passiert.“ Dann fragt er, warum denn mehr Geld für Waffen ausgegeben werde, als für hungernde Kinder. Warum? Fucking warum. Es ist alles nicht einfach.