vor 14 jahren: götz aly über katastrophenhilfe
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Es ist gerade ein halbes Jahr her, da „retteten“ wir die Sowjetunion vor einer drohenden Hungerkatastophe. Mit Erfolg. Es ging um politische Stabilität auf der nördlichen Halbkugel, um ein Problem im Europäischen Haus. Die Aktion „Helft Rußland“ war gut plaziert: Zwischen Vorweihnachtszeit und Kriegsschuld, zwischen Wiedervereinigung und Gorbimanie.

Dann zerschnitt der Golfkrieg die ungeteilte Solidarität. Es folgten die Rußnacht über Kuwait, Ölteppiche, die fliehenden Kurden. Die Hilfe war zunächst schleppend, doch waren einzelne Helfer, Staaten, Organisationen motiviert: Es galt, eine Kriegsfolge abzumildern, ein seit ewigen Zeiten unterdrücktes Volk zu unterstützen, gegen die Menschenverachtung des Diktators in Bagdad ein Exempel der Humanität zu setzen, die im Golfkrieg beschworene „Moral der Völkergemeinschaft“ zu legitimieren. Politik, Eigeninteresse und Samaritertum standen in einem gewissermaßen vernünftigen Verhältnis zueinander.

Ganz anders die Flutkatastrophe in Bangladesch, die Aids-Epidemie in Afrika, die Cholera in den Anden, der Hunger in Somalia. Von Zeit zu Zeit übt sich die Erste Welt in Hilfe und Barmherzigkeit. Wann und wie das geschieht, unterliegt konjunkturellen Schwankungen, den Gezeiten der Nachrichtenflut – der tatsächliche Umfang eines Unglücks ist dabei eher zweitrangig.

Halbherzig werfen wir moralischen Ballast ab, gewähren sporadisch Hilfe. Noch klammern wir uns an die Idee der glücklichen Insel. Im Angesicht von Bildern wie denen aus Bangladesch, wo ein ganze Stadt wie Nürnberg oder Hannover vom Hurrikan verschluckt wurde, wird aber die Unangemessenheit solcher Hilfsaktionen und -einsätze deutlich. Es entsteht – und das ist nicht schlecht – ein Zustand existentieller und moralischer Starre. Dieser nackten condition humaine nicht auszuweichen, könnte ein Ansatzpunkt für jenes neue Denken sein, ohne das die Menschlichkeit nicht überleben kann. (13. 5. 1991)